Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl in Trudering-Riem:Elf auf einen Streich

Lesezeit: 3 min

Auf dem einstigen Flughafen-Areal ist ein Stadtviertel entstanden, an dem munter weitergebaut wird - auch Hochhäuser sind geplant. Die Nachverdichtung in mehreren Quartieren kommt noch dazu. Die Bevölkerungsexplosion verstärkt die Verkehrsprobleme zusehends

Von Renate Winkler-Schlang

Elf Hochhäuser an der Willy-Brandt-Allee,...

...Wohnungen am Rappenweg.

Und der Verkehr nimmt zu, etwa im Ortskern von Trudering.

Wenn es "nur" diese elf Hochhäuser für die Messestadt wären - eine Idee, die überraschend und für viele Bewohner höchst verstörend in die Sommerpause des vergangenen Jahres geploppt war... Wachstum, Wachstum, Wachstum lautet das Zukunftsthema für den gesamten Stadtbezirk Trudering-Riem. Laut dem städtischen Demografiebericht soll die Bevölkerung in diesem Stadtbezirk bis zum Jahr 2040 um 34,5 Prozent, also um mehr als ein Drittel, wachsen. Erwartet werden 25 000 neue Bewohner. Ob da die Menschen, die in diese Hochhäuser ziehen könnten, schon mitgerechnet sind, erscheint fraglich. Aus der Messestadt waren postwendend ablehnende Anträge bei der Bürgerversammlung gekommen. Manche Messestädter allerdings ließen wohl über das eine oder andere Hochhaus mit sich reden - wenn die Stadt es nur täte, also den Dialog mit den Bürgern suchte.

Schwerpunkt der Entwicklung in Münchens östlichstem Stadtbezirk bleibt so oder so die Messestadt, und zwar zuvorderst deren fünfter Bauabschnitt ganz im Westen, eigentlich meist treffender als Arrondierung Kirchtrudering bezeichnet. Dort ist mit 3000 weiteren Wohnungen zu rechnen, früher plante man mit allenfalls 600. Neu hinzu kommt der Rappenweg auf der anderen Seite des Riemer Parks. Das illegale Gewerbegebiet, das das Kommunalreferat seit Jahrzehnten nicht zu ordnen vermochte, wird nun nach und nach von Bauträgern aufgekauft, die dort ebenfalls Potenzial für 3000 Wohnungen sehen.

Vor nicht allzulanger Zeit war die CSU noch belächelt worden, als sie dort statt des Gewerbes Wohnungsbau vorgeschlagen hatte: Der Untergrund berge Altlasten und sei wegen der mit allem Möglichen verfüllten Kiesgruben auch gar nicht ausreichend belastbar, hieß es aus der Stadtverwaltung. Nun plötzlich scheint sich Wohnungsbau dort auch unter erschwerten Bedingungen zu rechnen. Eine neue Grundschule mit dem Arbeitstitel Rappenweg steht bereits in den Schulbauprogrammen, sie wird laut dem Bezirksausschuss-Vorsitzenden Otto Steinberger (CSU) aber in Kirchtrudering platziert.

Klar, dass weitere Verkehrsprobleme die Folge dieser Vorhaben sein werden, zumal man sich in diesem Zipfel Münchens mit der Nachbargemeinde Haar um Verbindungen streitet. Die Grünen fordern vorsorglich bereits einen neuen S-Bahn-Halt Schwablhofstraße als Grundvoraussetzung. Eine Antwort auf diesen Wunsch steht noch aus.

Die Aufzählung der Neubaugebiete und Nachverdichtungsmöglichkeiten ist damit aber nicht zu Ende. Da wäre noch das Gebiet rund um die Heltauer Straße, anvisiert werden 2000 Wohnungen, obwohl dort eine Frischluftschneise verläuft. Der Bezirksausschuss verlangt, dass in diesen Projekten überall wenigstens Genossenschaften oder Baugemeinschaften zum Zug kommen und dass man daran denkt, günstigen Wohnraum für Auszubildende und Menschen in Mangelberufen zu schaffen.

Erhebliches Nachverdichtungspotenzial sieht die Stadt ferner entlang der Wasserburger Landstraße, die der Truderinger liebevoll Wabula nennt. Für die Gartenstadt in Waldtrudering wird es dafür einen "Rahmenplan" geben, der den maßlosen Bauboom im Bestand einbremsen soll - doch viele befürchten, dass ein solch unverbindliches Instrument den Erbengemeinschaften und Investoren egal ist. Stefan Ziegler (CSU), ein möglicher neuer BA-Vorsitzender, hält es sogar für wahrscheinlich, dass hohe Wohnblöcke entlang der Wabula letztlich zum im Bezirksausschuss unerwünschten Präzedenzfall für Bauwillige in zweiter und dritter Reihe werden könnten.

Georg Kronawitter (CSU) versucht derzeit, aus der Wachstumsspirale wenigstens ein Argument zu machen für all seine Anträge auf mehr Nahverkehr, mehr Radlständer, mehr Infrastruktur. Mantraartig fügt er jeder Forderung den Hinweis auf explodierende Bevölkerungsprognosen an.

Bauen verhindern will eine Bürgerinitiative an der Fauststraße, im Wasserschutzgebiet, doch sie scheint schlechte Karten zu haben. Anders war es bei der Unnützwiese, dort konnten Nachbarn ein Wohnen-für-Alle-Projekt stoppen, die Wiese soll nun attraktiv gestaltet werden.

Attraktiver wird 2020 endlich auch die Straßtruderinger Einkaufsmeile, lange genug hat es gedauert. Auch das Sozialbürgerhaus beim Bahnhof soll kommen, fürs BRK hat man wohl eine neue Fläche gefunden. Vielleicht weiß man auch irgendwann, was künftig mit dem alten Rathaus an der Truderinger Straße geschehen soll.

Als geradezu bedrohlich empfinden viele die Aussicht, dass Trudering mit dem Ausbau von Truderinger Kurve und Spange zum hoch frequentierten europäischen Güterverkehrsknoten der Bahn werden soll. Eine rührige Bürgerinitiative hat sich protestierend in die Materie eingearbeitet.

Bei aller Veränderung scheint dies also immerhin gleich zu bleiben: In Trudering, in Riem und der Messestadt, rund um die insgesamt acht Kirchengemeinden und fünf Feuerwehren des Flächenstadtteils gibt es viele Engagierte, die sich einsetzen fürs Gemeinwohl, gibt es die "Buam" und die "Burschen", die Flüchtlingshelfer und Chorsänger, die Organisatoren von Kultur- und Umweltschutzprojekten.

Stellvertretend herausgegriffen seien zum Beispiel die Aktiven um den Künstler Michael Lapper, die nicht hinnehmen wollen, wie die Stadt den denkmalgeschützten Kopfbau der früheren Besuchertribüne des Flughafens vergammeln lässt. Kreative Aktionen sollen den Erfolg bringen. Immerhin, beim Schulcampus hat sich der Kampf der Messestädter ja gelohnt: Der Spatenstich für Gymnasium, Realschule, Sport- und Schwimmhalle ist getan. Man darf nun gespannt sein, wie die Messestädter sich letztlich zu den Hochhäusern positionieren werden.

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Quelle:
SZ vom 17.01.2020
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