Von einigen Riesen ist überliefert, sie hätten ihre Größe erst ganz allmählich selbst entdeckt. So ähnlich verhält es sich mit dem Bewusstsein der Leute im Münchner Süden für die Dimensionen, die ihr Stadtbezirk Thalkirchen-Obersendling-Forstenried-Fürstenried-Solln nach Jahren stürmischen Wachstums inzwischen aufweist. Die 100 000-Einwohner-Marke kommt konturenreich in Sicht, Rang drei in München. Frei übersetzt heißt das: Der Stadtbezirk 19 ist eine Großstadt in der Großstadt. Welche politische Bedeutung sich davon ableitet, dämmert den Parteien gerade noch rechtzeitig vor der Kommunalwahl im März. Zum einen bemühen sie sich intensiv darum, profiliertes Personal für ihre Bezirksausschuss-Wahl zu gewinnen. Zum anderen wird das allgemeine Erschrecken darüber spürbar, dass es dem Stadtbezirk fast völlig an personellen Verbindungen in den Münchner Stadtrat fehlt. So richtet sich der Blick nicht nur auf die künftige Zusammensetzung des Bezirksausschusses, sondern ebenso darauf, wie dieses "Missing link" geschlossen werden könnte. Die Antworten heißen Micky Wenngatz (SPD) und Veronika Mirlach (CSU). Beide rangieren auf sicheren Listenplätzen ihrer Parteien, anders als etwa Alexander Aichwalder (Grüne) oder Richard Ladewig (FDP). Johann Altmann von der Bayernpartei könnte in den Stadtrat zurückkehren, doch die BP ist wiederum im BA nicht vertreten.
Das Dilemma hat sich schleichend angekündigt. Erst verabschiedete sich Stadtrat Christian Amlong (SPD) von der Kommunal- und Lokalpolitik; er wurde Geschäftsführer der städtischen Baugesellschaft GWG. Dann errang Michael Kuffer (CSU) ein Bundestagsmandat, und Manuela Ohlhausen (CSU) zog sich aus der Politik zurück. Als Kontaktperson zwischen Basis und Oberhaus ist einzig Christian Vorländer (SPD) übrig geblieben, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Rathausfraktion. Doch inzwischen deutet sich an: Der Einfluss des Stadtbezirks 19 im Rathaus wird wachsen.
Zunehmen dürfte auch die Zahl der Fraktionen im derzeitigen Bezirksausschuss. Bisher sind im Stadtteilgremium lediglich CSU, SPD, Grüne und FDP vertreten, wobei die CSU die meisten Sitze (15 von 37) hält. Mit dem erstmaligen Einzug der FW/ÖDP ist zu rechnen, ebenso könnte es die AfD schaffen, sofern es ihr gelingt, Kandidaten zu finden. Auf München-Liste, Linke und Bayernpartei würde man eher keine Wetten abschließen.
Seit der Kommunalwahl 2014, die einen spektakulären Wechsel an der Spitze des BA mit sich brachte und die 27-jährige Ära von Hans Bauer (SPD) beendete, richtet sich die gesteigerte Aufmerksamkeit auf die Frage, wer künftig der Stadtbezirksvertretung vorsteht. Dem amtierenden Ludwig Weidinger (CSU) darf man gute Chancen einräumen, seinen Posten zu verteidigen, vor allem, wenn Grüne und SPD ihre Animositäten so innig pflegen wie bisher. Vor sechs Jahren ist Weidinger mit einigen Stimmen der Grünen gewählt worden. Das empörte die Sozialdemokraten langfristig derart heftig, dass bis heute fraglich erscheint, ob sie jemals einen grünen Bewerber mittragen würden. Dabei ist mit dem Erstarken der Grünen fest zu rechnen, wie die Landtagswahl 2018 gezeigt hat. Zur Zeit verfügen sie über sieben Sitze im BA.
Die einstige Frustration der SPD über den Verlust des BA-Vorsitzes ist auch in den Reihen der CSU nicht vergessen. "Die haben mir damals jegliche Kompetenz abgesprochen", erinnert sich Ludwig Weidinger, "so etwa nach dem Motto: Einer wie der kann es nicht." Mittlerweile hätten sich die Verhältnisse normalisiert, "man kann vernünftig miteinander reden". Das mag daran liegen, dass die Zeit Wunden heilt, oder auch am Auftritt des Vorsitzenden. Der 61-jährige IT-Berater überrascht mit einem ausgeprägten Sinn für Logik und Kompromisse, mitunter ebenso durch Eigenwilligkeit. Seine Fraktion kann jedenfalls nicht damit rechnen, dass Weidinger brav die Hand hebt, wann immer die CSU es gern hätte. Weidinger hat seinen eigenen Kopf und eine eigene Philosophie: Es müsse genügen, wenn man zu etwa 70 Prozent auf Parteilinie liegt. Ideologie habe in der Kommunalpolitik ohnehin nichts verloren. Privat würde ihm die Wiederwahl prima ins Konzept passen, beruflich wie altersmäßig, daraus macht Weidinger keinen Hehl. Erfahrung bringt er jedenfalls in ausreichendem Maße mit: Von 1990 bis 1993 und dann wieder ununterbrochen seit 1999 gehört Weidinger Bezirksausschüssen an, zeitweise in Ramersdorf, weit überwiegend im Stadtbezirk 19.
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Eine Sorge treibt den Bezirksausschuss-Vorsitzenden aus Neu-Forstenried schon heute um: Wie soll man sich verhalten, wenn es die AfD tatsächlich ins Gremium schaffen und die konstruktive Stimmung trüben sollte? In dieser Hinsicht könnte noch einiges auf den Bürgersaal Fürstenried zukommen, wo die meisten BA-Sitzungen stattfinden. Zumal mit Sicherheit Micky Wenngatz, Weidingers Stellvertreterin von der SPD, dem BA 19 weiterhin angehört. Wenngatz will ihr BA-Mandat auch dann antreten, wenn sie zur Stadträtin gewählt wird. Sie ist aktuell die BA-Beauftragte gegen Rechtsextremismus und Vorsitzende des Vereins "München ist bunt". Und sie warnt permanent vor rechtsextremen Strömungen in der AfD, wollte den Rechtspopulisten auch mal den Zutritt zum Bürgersaal verwehren. Ob sich vor diesem Hintergrund Konfrontationen ausschließen lassen? Andererseits sind die Probleme nicht ganz neu, einst waren die Republikaner in mehreren Bezirksausschüssen vertreten. "Das ging einigermaßen glimpflich ab", erinnert sich Weidinger.
Die Spitzenkandidaten (soweit bekannt): CSU: 1. Ludwig Weidinger, 2. Veronika Mirlach, 3. Beate Meyer. SPD: 1. Micky Wenngatz, 2. Michael Kollatz, 3. Dorle Baumann. Grüne: 1. Henriette Holtz, 2. Alexander Aichwalder, 3. Nicole Bartsch. FDP: 1. Richard Ladewig, 2. David Meuer, 3. Gabriele Weißhäupl. FW/ÖDP: 1. - 2. Loraine Bender-Schwering, 3. Conrad Lausberg.