Paul Ruban sitzt in seinem Garten in Ottawa, als er sich zu diesem Gespräch zuschaltet. Den Großteil des Jahres lebt der Drehbuchautor und Schriftsteller in München, im Westend. Alle paar Monate fliegt er in sein Heimatland, um von dort aus zu arbeiten. Paul Ruban trägt Kopfhörer mit Kabel und ein Festivalband am Handgelenk. Sein Deutsch ist nicht so gut, entschuldigt er sich zu Beginn des Gesprächs. Früher habe er gestottert und deshalb schreibe er eigentlich lieber, als dass er spreche. Mehrmals wird er lange nach Wörtern suchen. Und sich trotz Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache gewählt und präzise ausdrücken.
SZ: Herr Ruban, wie wahrscheinlich ist ein Schneeball in der Hölle?
Paul Ruban: Sie spielen auf die Aussage des ehemaligen kanadischen Premierministers Justin Trudeau an.
Genau. Bei einem Treffen in Mar-al-Lago verkündete Trump, dass er Kanada zum 51. Bundesstaat der USA machen wolle. Und Trudeau entgegnete, dass ein Schneeball in der Hölle wahrscheinlicher sei.
Ich glaube, damit wollte Trudeau die Kanadier beruhigen. Es war eine bildhafte Art zu sagen, dass es nie zu einem Anschluss an die USA kommen wird. Dass Kanada ein souveränes Land bleibt. Dieses absurde Szenario wäre vor Kurzem noch undenkbar gewesen. Trump scheint den neuen kanadischen Premierminister Mark Carney aber zu respektieren. Die beiden sind nun offenbar in direktem Gespräch, um den Handelskrieg zu beenden. Ich hoffe also, dass Trumps Drohung nichts weiter ist als eine wahnhafte imperialistische Fantasie.
Wie beeinflusst diese Fantasie Ihren Alltag?
Bisher nur marginal. Ich vermeide zum Beispiel amerikanische Produkte im Supermarkt und bestelle im Café einen Canadiano und keinen Americano mehr. Tiefergehend ist mein Weltbild aber ganz schön erschüttert. Die Amerikaner sind unsere Nachbarn und waren bisher unsere engsten Alliierten.
Sind Sie Patriot?
Ein Geburtsland ist etwas so Zufälliges und gleichzeitig doch etwas so Entscheidendes. Ich bin definitiv kein fahnenschwingender Kanadier, fühle mich aber natürlich von dieser Drohung angesprochen. Für mich stellen sich eher Fragen zu Identität, Herkunft und Freiheit.
In düsteren Zeiten ist Humor ein Mittel des Widerstandes. Ist Ihr Roman deshalb so lustig?
Ich glaube schon. Humor kann eine Überlebensstrategie sein, und auch ein Mittel, die Absurditäten des Lebens und die menschlichen Widersprüche aufzuzeigen. Im Kontext des Romans nutze ich Humor als Sprungbrett, um ernstere Themen wie den Massentourismus, die Klimakrise oder die Trennung eines Paares zu behandeln, ohne dabei den moralischen Zeigefinger zu erheben.

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In Ihrem Buch will ein Ehepaar, Judith und Hugo, in einem Luxusresort seine Ehe retten. Dann explodiert ein Wal am Strand. Und plötzlich hängt der faule Geruch ganz offensichtlich in jeder Ecke. Warum dieses Bild?
Ich bin ein sehr visueller Mensch. Zuerst entstehen Bilder in meinem Kopf, zu denen ich dann die passenden Worte suche. Dieses Ausgangsbild hatte etwas Mächtiges wie Widersprüchliches, das ich unbedingt erforschen wollte. In der Gegenüberstellung dieser perfekt inszenierten Idylle eines Luxusresorts mit dem überwältigenden Gestank des verwesenden Walkadavers entstand für mich ein reicher kreativer Raum, um gesellschaftliche Schieflagen zu beleuchten.
Sie kritisieren recht offensichtlich die Wohlstandsgesellschaft.
Ja. Das war ein befriedigender Teil des Schreibens. Ein All-inclusive-Ressort ist ein kleiner Mikrokosmos unserer egoistischsten und oberflächlichsten Natur. Ein Ort, an dem wir die „normalen Regeln“ unseres Lebens vorübergehend außer Kraft setzen und dem Hedonismus freien Lauf lassen. Es ist auch ein einzigartiger Ort, an dem reiche Touristen auf engstem Raum mit dem oft ärmeren Personal in Kontakt kommen. Es kreuzen sich Welten, die sonst keine Verbindungen haben.
Diese Welten haben Sie ausgereizt. Anstatt dass Hugo an seiner Ehe arbeitet, verführt er eine Animateurin im Bällebad. Judith kauft Drogen. Am Ende noch die Schlammlawine. Alles ist komplett irre. Benötigen wir Übertreibungen, um die Realität besser zu verstehen?
Das ist einer der Reize des Schreibens – die Grenzen des Möglichen auf unterschiedliche Weise auszudehnen. Neue Wege zu finden, um die Realität zu beschreiben, manchmal mit magical realism. Das ist sowohl eine Flucht aus dem Alltag als auch ein Kommentar dazu.
In Ihrem Roman sprechen Sie sowohl private Probleme (zerrüttete Ehe) als auch gesellschaftliche Herausforderungen (Klimakatastrophe) an. Wie hängt beides zusammen?
Der Mensch ist das Tier der Verleugnung par excellence, im Großen wie im Kleinen. In unserem persönlichen Leben und als Gesellschaft beharren wir oft darauf, den Schein zu wahren, auch wenn wir geradewegs gegen die Wand fahren.

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Also geht es eigentlich um die ungeschönte Konfrontation mit sich selbst und die Gleichzeitigkeit von verschiedenen Problemen?
Ich glaube, dass man die Rolle des Unterbewusstseins beim Schreiben unterschätzt. Ich zum Beispiel fange erst im Prozess des Schreibens an, Figuren richtig aufzubauen und Fäden zu kreuzen. Ich habe mir nicht gesagt: Ich will über Klimawandel und eine kaputte Ehe schreiben. Was passiert, kommt eher aus den Figuren heraus. Erst beim Schreiben entwickelt sich das gesamte Bild.
Und vielleicht hängt am Ende doch alles zusammen.
Vielleicht.
Mögen Sie Dystopien?
Worüber soll man schreiben, wenn alles rosig läuft? Ich sehe mich selbst gerne als Optimist. Besser bricht also alles in der Literatur zusammen als im echten Leben, oder? Jedes Projekt ist anders, und es stimmt wohl, dass dieses Buch einen leicht apokalyptischen Touch hat. Das nächste wird optimistischer, versprochen!
Was kommt nach dem toten Wal?
Ich habe einen Spielfilm geschrieben, der 2026 in Kanada und Irland gedreht wird. Parallel arbeite ich an einem Theaterstück und an meinem nächsten Roman. Viele Bälle, die ich versuche, gleichzeitig zu jonglieren und nicht fallen zu lassen.
Wo jonglieren Sie diese Bälle?
Manchmal in Kanada, manchmal in Deutschland. Ich schreibe auf Französisch, würde aber gerne irgendwann ein Projekt auf Deutsch realisieren – das steht auf meiner Wunschliste. Deutsch ist so eine schöne und ausdrucksstarke Sprache. Ich bewundere Autoren, die in einer anderen Sprache als ihrer Muttersprache geschrieben haben. Ich denke unter anderem an Nancy Huston, Samuel Beckett oder Milan Kundera.
Und bis es soweit ist, lassen Sie Ihre Bücher übersetzen.
Ja, ich bin sehr dankbar, dass das Buch auf diese Weise ein zweites Leben erhält und in Deutschland ein neues Publikum erreichen kann. Es kommt selten vor, dass Autoren die Möglichkeit haben, ihr übersetztes Buch im Ankunftsland zu begleiten. Bei mir war das so. Momentan lerne ich viel über den deutschen Buchmarkt.
Der sich vom kanadischen inwiefern unterscheidet?
Der französisch-kanadische Markt ist winzig: Wir sind eine Minderheit von nur sieben Millionen Lesern, verglichen mit 83 Millionen in Deutschland. Die Leipziger Buchmesse schien fünfmal größer zu sein als unsere größte Messe in Montréal. Deutschland hat eine tief verwurzelte Lesekultur – und neugierige, interessierte Leser. Es ist ein Geschenk für mich, sie kennenzulernen.
Sie pendeln zwischen Ottawa und München. Wie kommt das?
Das Leben gibt manchmal die Wege vor, und ich bin selbst überrascht, wenn ich daran denke, wie ich wohin abgebogen bin.