Auszeit der Sportfreunde Stiller:Alle für einen, einer für alle

Ausgerechnet zur Fußball-WM pausieren die Sportfreunde Stiller - aber ihr Management ist trotzdem schwer beschäftigt und schmiedet neue Pop-Superstars.

Michael Bremmer

Bereit für ein neues Sommermärchen? "54, 74, 90, 2010" - der Gassenhauer in Endlosschleife, die Sportfreunde im Interview-Marathon ... man ahnt, was die Fußballweltmeisterschaft mit sich bringt. Nur: Die Sportfreunde Stiller spielen nicht mit. Es gibt bereits jetzt viele Anfragen. Die Band sagt allerdings nicht zu. Keine Fernsehsendung. Keine Radioshow. Einfach nur die Spiele genießen - einfach nur Fan sein.

Auszeit der Sportfreunde Stiller: Die Sportfreunde Stiller haben für 2010 kein neues Album geplant.

Die Sportfreunde Stiller haben für 2010 kein neues Album geplant.

(Foto: Foto: Universal)

Die Frage ist: Was macht die Band, wenn sie nichts macht - oder nicht das, was alle von ihr erwarten? Und was macht ihr Entdecker Marc Liebscher in dieser Zeit - einer der einflussreichsten Manager in Pop-Deutschland?

2010 als kreative Pause

Vier Festivals spielen die Sportfreunde Stiller diesen Sommer, jeweils die größten in Deutschland, Österreich und in der Schweiz. Ansonsten: Nichts! Nichts Bestimmtes. "Wir wollen jetzt Sachen machen, die uns vielleicht selbst überraschen", sagt Sportfreunde-Manager Marc Liebscher.

"Seit zwölf Jahren sind wir jetzt ohne Pause unterwegs", sagt er, jetzt wolle man nicht noch eine Tour spielen. Ein neues Album? Hat Zeit. "Es soll keinen Termin geben", findet Liebscher - vielleicht werde man in zwei Monaten wieder ins Tonstudio gehen, vielleicht auch erst in zwei Jahren: "Bis dahin wollen wir kreativ sein, neue Dinge erleben."

Marc Liebscher legt Wert auf die richtige Formulierung. Denkt er nach, stützt er sein Kinn mit der rechten Hand ab. Beginnt er über die Sportfreunde zu sprechen, legt er erst einmal die Brille vor sich hin. Beim Reden gestikuliert er stark mit seinen Händen - bis die Aussage stimmt, dann lehnt er sich erst einmal entspannt zurück.

"Jeder Tag ist ein Sportfreunde-Tag"

Marc Liebscher sagt immer "wir" oder "wir vier", wenn er von den Sportfreunden redet. Er hat sie aus dem "Knast" in Germering geholt, wie ihr erster Auftrittsort hieß. Er hat ihnen für ihren Deutschpop eine erste Plattform auf seinem Label "Blickpunkt Pop" gegeben. Er hat ihnen als Manager einen Vertrag bei einer großen Plattenfirma verschafft - und ist selbst immer noch der "größte Fan" der Band, wie er zugibt (was die Tourplakate der vergangenen Jahre in seinem Büro beweisen).

"Jeder Tag ist ein Sportfreunde-Tag", sagt Marc Liebscher. Die nächsten Monate wird der Manager dennoch auf seine drei Freunde verzichten müssen. Schlagzeuger Flo Weber arbeitet nach seinem Debüt-Roman "You'll never walk alone" an seinem zweiten Buch, Bassist Rüdiger "Rüde" Linhof tobt sich mit Rapperin Fiva und dem DJ Paul Rzyttka in einem neuen Bandprojekt aus, und Sänger Peter Brugger will einfach nur für sich Musik machen.

Oh, Napoleon - Fertig, Los!

Und Marc Liebscher? Der Manager kann die Pause gut gebrauchen. Mit seiner Management- und Booking-Agentur "Blickpunkt Pop" macht er Münchner Popmusik groß - in einem kleinen Büro im Glockenbachviertel. Neben den Sportfreunden betreut er drei weitere Bands: Roman Fischer, Fertig, Los! und Oh, Napoleon, den Neuzugang aus Krefeld. Alle drei Bands haben sich der Popmusik verpflichtet, auch wenn sie unterschiedlicher nicht sein können, alle drei sind bei einem Major-Label unter Vertrag, bei allen stehen dieses Jahr große Veröffentlichungen an.

"Früher wollte ich alles selbst machen"

Roman Fischer hat Liebscher in der Münchner Glockenbachwerkstatt kennengelernt. Der junge Musiker habe ihn am Anfang noch gesiezt, erinnert er sich. Längst sind die beiden Freunde - auch wenn sie sich seit Romans Umzug nach Berlin nicht mehr häufig sehen. Im Sommer erscheint bei Universal das nunmehr dritte Album - nach dem etwas düsteren Vorgänger geht es diesmal mehr in Richtung Discokugel: skandinavischer Indie-Pop mit elektronischen Einflüssen. Der Song "Let it go" schaffte es schon vor Veröffentlichung in die Charts - mit dem Soundtrack von Till Schweigers Zweiohrküken.

"Früher wollte ich alles selbst machen", sagt Marc Liebscher - mittlerweile sei er offener geworden, auch weil er es im Alleingang überhaupt nicht mehr schaffen würde. Fertig, Los! betreut er deswegen gemeinsam mit Tobias Kuhn, Songtüftler und Sänger (einst Miles, heute Monta). 2005 bekam er von Marc Liebscher das Fertig, Los!-Demo. Und die Chance, diese Band mit ihm gemeinsam zu managen. Seitdem treffen sich die beiden jeden Tag zur Mittagspause oder auf einen Kaffee, um "über unsere Bands zu reden", wie es Kuhn nennt.

Beide sind gleichberechtigt, Kuhn kümmert sich bei Fertig, Los! mehr um die musikalischen Belange, Liebscher um das klassische Management. Das Ergebnis: "Pläne für die Zukunft." So heißt die neue CD der Münchner Band, die noch im ersten Halbjahr 2010 bei Columbia Records erscheint: extrovertierte deutschsprachige Popmusik, reifer als bei ihrem Debütalbum "Das Herz ist ein Sammler". Aus dem Kinderzimmer-Pop ist anspruchsvolle Musik für die Massen geworden.

"Wir wollen gute Bands finden und nach oben bringen."

Oh, Napoleon, die neueste Band im Stall, hätte man beinahe nicht unter Vertrag genommen. Liebscher wollte nicht, dass plötzlich die Arbeit zu viel würde. Dass die Bands sagen, man sei ja gar nicht dabei - "der persönliche Kontakt ist wichtig", sagt Liebscher. Bei Oh, Napoleon soll für diese Nähe Andreas Puscher sorgen, früher Sänger der Münchner Indie-Band Crash Tokio, heute der dritte Mann bei Blickpunkt Pop.

Puschers Ziel: "Wir wollen gute Bands finden und nach oben bringen." Dafür mussten die jungen Musiker aus Krefeld erst einmal eine Umbenennung in Kauf nehmen: Oh, Napoleon passt besser in die Blickpunkt-Pop-Familie als ihr ehemaliger Bandname Your Dumb Invention.

Kuhn, Liebscher, Puscher - drei Manager für eine Band, drei Ideengeber, drei Macher - eine "Top-Arbeitssituation", findet Puscher. Oder in Zahlen: Im Sommer 2009 wurde Oh, Napoleon übernommen, seitdem wurden mehr als 30 Konzerte gespielt. Gerade eben nehmen die Krefelder das Debüt-Album auf - erscheinen soll der englischsprachige Radio-Pop im Herbst, bei Universal.

Jede Band eine Erfolgsgeschichte - doch darum geht es keinem bei Blickpunkt Pop. Das sagen alle drei. Was zählt, ist der Mensch, nicht der Hit. Die Zusammenarbeit müsse angenehm sein, sagt Puscher. Bevor man eine Band unter Vertrag nehme, "müssen wir uns erst kennenlernen", sagt Kuhn. Und Marc Liebscher verabscheut sogar reine Geschäftsverbindungen: "Meine Bands sollen meine Freunde sein."

Wie eine große Familie

Oder eine große Familie. Zu beobachten war das etwa bei den drei Sportfreunde-Stiller-Konzerten in München am Jahresende: Roman Fischer sieht man im Bühnenhintergrund mitten im Chor, Fertig, Los!-Bassistin Julia Viechtl singt im Rampenlicht gemeinsam mit Peter Brugger ein Duett - und ihr Bandkollege Flo Wille kümmert sich um die Gästeliste. Für ein Video von Fertig, Los!, gedreht kürzlich bei Eiseskälte im Glockenbachviertel, übernahm Marc Liebscher eine Statistenrolle. Die Sportfreunde Stiller wiederum sind schon mal als Ersatz eingesprungen, als Fertig, Los! einen Auftritt wegen Krankheit absagen musste.

Alle für einen, einer für alle - Sportfreunde eben. Ihren Weltmeisterschaftssong hat Münchens erfolgreichste Band bei ihrer Unplugged-Tour dennoch nicht gespielt - auch wenn er noch so lautstark gewünscht wurde.

Und daran wird sich 2010 wohl nichts ändern, auch wenn Weltmeisterschaft ist. "54, 74, 90, 2010" - ein Hit in der Endlosschleife? "Wir sind sehr auf dieses Lied reduziert worden", sagte Peter Brugger kürzlich in einer B3-Sendung, deswegen sei man vorsichtiger damit umgegangen. Die Zurückhaltung wird bleiben. "Was 2006 mit uns passiert ist", sagt Marc Liebscher, "können wir nicht toppen." Man erinnert sich: das Sommermärchen 2006, der Auftritt mit der Nationalmannschaft vor dem Brandenburger Tor. "Das alles ist nicht zu wiederholen", sagt Liebscher, "auch emotional."

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