Auszeichnung:Der ungehörte Seher

Lesezeit: 2 Min.

Ist die Erde noch zu retten? Dennis L. Meadows, US-Ökonom und Umweltschützer, hat Zweifel. Am Freitag wurde er mit dem Deutschen Kulturpreis 2019 ausgezeichnet. Franz Josef Radermacher, Rita Süßmuth, Dennis L. Meadows, Gesine Schwan, Peter Eigen, Hubert Weiger (von links) nach der Feierstunde. (Foto: Corinna Guthknecht)

Der bekannte Ökonom Dennis L. Meadows erhält den Deutschen Kulturpreis und hat sich dafür entschieden, trotz Klimawandels glücklich zu sein

Von Julia Bergmann, München

Es braucht schon Chuzpe, um König Ludwig I., Adolf Hitler und Helmut Kohl in einer Reihe zu nennen. Dennis L. Meadows, US-Ökonom und Autor der Studie "Grenzen des Wachstums", hat sie. Bei der Verleihung des Deutschen Kulturpreises der Stiftung Kulturförderung in der Allerheiligen-Hofkirche am Freitag beweist er das auf elegante Weise. Dabei beschwört er den König, den Diktator und den Demokraten herauf, um auch in eigener Sache einen Punkt zu setzen. Meadows, 76, schwarzer Anzug, weißer Bart, leicht zerzaustes Haar, lässt seinen Blick durch den Raum der Kirche schweifen und sagt: "Dieses Gebäude wurde in einer Aristokratie in Auftrag gegeben, während einer Diktatur zerstört und in einer Demokratie wieder aufgebaut." Ludwig I., Hitler und Kohl, seien jeweils dafür verantwortlich gewesen. Meadows verweist auf sie, auf die wechselhafte Geschichte der Kirche, in der er spricht, und sagt: "Sie zeigen, dass Dinge, von denen wir glauben, sie würden für immer bestehen, sehr schnell vorbei sein können."

Das Gewicht der Worte trifft. Weil jeder im Publikum weiß, dass Meadows nicht nur Gebäude, Regimes oder Legislaturperioden meint, sondern vor allem die Erde. Den Planeten, über den er schon 1972 gesagt hat, dass er zerstört werden wird, wenn die Gesellschaft ihr stetes Streben nach wirtschaftlichen Wachstum nicht aufgibt. 1972 veröffentlichte Meadows seine vom Club of Rome in Auftrag gegebene Studie "Limits to Growth" und warnte vor der Ausbeutung des Planeten. Bereits 1999 stellte er in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung fest, dass es schon zu spät sei, die Erde durch Nachhaltigkeit zu retten. Am Freitag wiederholt Meadows seine Worte. Gesine Schwan, SPD-Politikerin und Wissenschaftlerin, sitzt im Publikum und bannt den Moment auf ihren Smartphonespeicher.

Es sind Worte, die Peter Eigen, Schwans Ehemann, in seiner Rede wieder aufnimmt. Er bekommt an diesem Tag den Ehrenpreis der Stiftung. Eigen ist Jurist und ehemaliger Direktor der Weltbank für Ostafrika. Seit Jahrzehnten kämpft er für die faire und transparente Verteilung finanzieller Mittel. Er gründete 1993 die Nichtregierungsorganisation Transparency International und setzt sich seitdem gegen Korruption in Wirtschaft und Politik ein. In seiner Rede berichtet Eigen vom Widerstand derer, die eigentlich hätten helfen können, sein Ziel zu erreichen. "Aber vielleicht erwarten wir zu viel von ihnen." Politiker und Entscheidungsträger seien zu sehr gefangen in ihrem Interesse an Machterhalt. "Sie denken in einem zeitlichen Rahmen von drei bis vier Jahren", sagt Eigen. "Die Probleme, die wir haben, beschäftigen uns aber über Generationen." Das gilt für Korruption gleichermaßen wie für die Zukunft des Planeten.

Eigen plädiert für mehr zivilgesellschaftlichen Einsatz. Und gleichzeitig für die Gründung einer Organisation, ähnlich den Vereinten Nationen. Lediglich für Zivilgesellschaften. Er hatte zum ersten Mal darüber nachgedacht, als ein Politiker den Entzug der Gemeinnützigkeit für eine NGO gefordert hatte. Diese hatte sich regierungskritisch geäußert. Mit einer Dachorganisation könne man zivilgesellschaftliche Akteure schützen und stärken, sagt Eigen. Den Preis sieht er als Anlass, die Idee weiter voranzutreiben. Dann richtet er seine Worte an Meadows.

"Es ist vielleicht zu spät, für Sustainability, aber wir können trotzdem etwas dafür tun, um positive Entwicklungen voranzutreiben." Wahrend der Applaus wieder abflaut und sich das Publikum entfernt, steht Meadows noch in der Kirche. Ob er traurig ist, dass nach 1972 nicht entschlossener auf seine Studie reagiert wurde? "Ich hatte 50 Jahre Zeit, darüber nachzudenken", sagt er. "Ich habe festgestellt, dass es niemanden interessiert, ob ich traurig bin oder nicht. Also habe ich mich dafür entschieden, glücklich zu sein." Einen Wandel werde es dennoch geben. Die einzige Frage sei, ob dieser vom Menschen angestoßen werde, etwa durch Geburtenkontrolle, oder ob der Planet ihn einfordere. Mit drastischeren Mitteln.

© SZ vom 25.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: