Auszeichnung:Aufrechter Kaktus

Humanistische Union verleiht Preis an Judith und Reiner Bernstein

Von Jakob Wetzel

Man sieht dem Preis an, dass mit ihm nicht zu spaßen ist. Er sieht aus wie ein kleiner grüner Kaktus in Menschenform, seine Stacheln sind lang, ein Arm ist wie zur Wortmeldung erhoben, mit dem anderen trägt er das Grundgesetz. "Aufrechter Gang" heißt der Preis, und mit ihm hat der Münchner Ortsverband der Bürgerrechtsorganisation "Humanistische Union" (HU) in den vergangenen Jahren 14 Mal widerspenstige Bürgerinnen und Bürger ausgezeichnet, darunter den Staatsanwalt Winfried Maier, der gegen Korruption und Waffenschiebereien ins Feld gezogen ist, Irmgard Gietl, die in den Achtzigerjahren gegen die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf kämpfte, oder auch den "Unterstützerkreis Regensburger Kirchenasyl". Sie alle haben, nicht nur in den Augen des Vereins, gegen Widerstände den Geist des Grundgesetzes verteidigt. Nun reihen sich zwei weitere Preisträger ein: Am 28. Januar verleiht die HU den Kaktus zum 15. Mal. Im Filmtheater am Sendlinger Tor überreicht sie ihn an Judith und Reiner Bernstein.

Der Verein ergreift damit Partei sowohl in einem in München seit vielen Monaten schwelenden Streit um Veranstaltungen zum Nahost-Konflikt als auch in der langjährigen Auseinandersetzung um die sogenannten Stolpersteine des Kölner Künstlers Gunter Demnig. Die beiden neuen Preisträger setzten sich von 2004 an im Vorstand der "Initiative Stolpersteine für München" dafür ein, dass jene Steine auf öffentlichem Grund verlegt werden dürfen, was der Münchner Stadtrat jedoch wiederholt untersagt hat. Kritiker bemängelten, der Wortlaut der Inschriften auf den Steinen erinnere an Deportationslisten der Nazis; zudem werde auf den Namen der Toten herumgetrampelt. Nötig sei ein Gedenken auf Augenhöhe, nicht auf dem Boden. Die Stadt setzt daher nun auf Wandtafeln und Stelen. Die Initiative lehnt die Argumente der Kritiker hingegen ab und verlegt Steine wenn nicht auf öffentlichem Boden, dann eben auf Privatgrund.

Im Streit um Veranstaltungen zum Nahost-Konflikt stellt sich die HU mit dem Preis ebenfalls gegen eine Entscheidung des Münchner Stadtrats. Dieser hat am 13. Dezember die gegen Israel gerichtete Kampagne BDS ("Boycott, Divestment, Sanctions") geächtet, weil sie Israel das Existenzrecht als jüdischer Staat in Abrede stelle und insofern antisemitisch sei. Für Veranstaltungen, die sich mit der Kampagne beschäftigen, darf es demnach keine Zuschüsse oder städtischen Räume geben. Betroffen ist davon nicht zuletzt Judith Bernsteins "Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe" (JPDG). Diese baut laut HU "Brücken des Verständnisses und der Zusammenarbeit", zählt jedoch zu den Unterstützern des Boykotts und hatte im November 2015 einen Vortrag über jene Kampagne im städtischen Kulturzentrum Gasteig organisiert, der den Streit in München überhaupt erst hatte hochkochen lassen. Betroffen ist mittelbar auch die HU: Sie wollte ihren Preis im Gasteig verleihen, erhielt jedoch wegen des bevorstehenden Stadtratsbeschlusses keinen Raum dafür und musste auf das Kino ausweichen.

HU und JPDG kritisieren die Raumverbote als Einschränkung der Meinungsfreiheit: Die Kritik an der BDS-Kampagne sei vorgeschoben. Die Stadt setze vielmehr, wie die HU in ihrer Einladung zur Preisverleihung schreibt, "Kritik an der Siedlungspolitik der israelischen Regierung mit Antisemitismus" gleich. Sie zeichne Judith und Reiner Bernstein nun wegen beider Auseinandersetzungen "für ihr Engagement und ihren Widerstand gegen den öffentlichen Machtanspruch sowie für ihren Kampf für die Meinungsfreiheit im Geiste des Grundgesetzes aus".

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