Austritt aus Orden:Ein Pater will heiraten

Austritt aus Orden: Will heiraten: Norbert Wolff

Will heiraten: Norbert Wolff

(Foto: Stephan Rumpf)

"Was mir gefehlt hat, das war weniger der Sex, mehr die Zärtlichkeit": Pater Norbert Wolff tritt aus dem Orden der Salesianer aus und legt sein Priesteramt nieder. Denn der 50-Jährige will heiraten. Nun ist er arbeitslos und bei Gottesdiensten nur noch einfacher Besucher.

Von Ingrid Hügenell

Jeden Sonntag geht Norbert Wolff in die Kirche. Manchmal besucht er die Messe in Sankt Peter in München, manchmal die in Sankt Michael, der Jesuitenkirche im Herzen der Stadt. Dann sitzt er irgendwo ziemlich weit hinten, mehr Zaungast als wirklicher Teilnehmer. Norbert Wolff ist bis auf Weiteres von allen Sakramenten ausgeschlossen. Denn der Pater will heiraten.

Bis vor wenigen Wochen hat der 50-Jährige selbst die Messe gelesen. Er war katholischer Priester und Ordensmann. In Bichl, einem kleinen oberbayerischen Dorf im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, war Pater Wolff als Seelsorger eingesetzt. An der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benediktbeuern war er Prorektor und Professor. Mit 19 Jahren, direkt nach dem Abitur, war er den Salesianern Don Boscos beigetreten. Er studierte Theologie, Philosophie und Sozialpädagogik und war vor seinem Wechsel nach Benediktbeuern unter anderem in einem Problemviertel Leiter eines offenen Jugendtreffs der Salesianer.

Lange lebte er zufrieden sein Leben als Ordensmann. Dann verliebte er sich in eine Psychologin aus Ecuador. Nun ist Wolff arbeitslos und bei Gottesdiensten nicht mehr der Zelebrant, sondern ein einfacher Besucher, der an den für ihn wichtigsten Teilen nicht teilhaben darf. Er ist aus seinem Zimmer im Kloster Benediktbeuern ausgezogen, lebt vorerst bei seinem Bruder in München. Seine Verlobte ist in Quito. Sie werden Weihnachten nicht zusammen sein können.

Wolff ist ein großer, schwerer Mann, Haare und Bart werden deutlich grau. Mit ruhiger Stimme erzählt er, möglichst wenig soll von seinen Gefühlen zu merken sein. Er versuche, die Dinge rational zu sehen, sagt er. Nur manchmal scheint durch, dass sich da jemand sehr zusammennehmen muss, um die Fassung zu bewahren. Etwa wenn Wolff es ein "Riesenproblem" nennt, dass er von den Sakramenten ausgeschlossen ist, die ihm so wichtig sind.

Da er sich bei seiner Priesterweihe verpflichtet hat, zölibatär zu leben, gilt seine Beziehung zu einer Frau als schwere Sünde, die nach katholischer Lehre die Teilnahme an Beichte, Kommunion und den anderen Sakramenten ausschließt. Den Entschluss, aus dem Orden und dem Priesteramt auszuscheiden, traf Wolff nicht vorschnell, sondern nach reiflicher Überlegung. "Die Frage stellt sich bei mir schon länger", erzählt er. "Schon 2005 merkte ich, dass mir etwas fehlt." Und bald schon war er bereit, sich einzulassen auf Gefühle zu einer Frau. "Was mir gefehlt hat, das war weniger der Sex, mehr die Zärtlichkeit und die Nähe", präzisiert er.

"Der Zölibat ist eine Lebensform, die sicherlich nicht für jeden lebbar ist", sagt Claus Schiffgen, ein früherer katholischer Priester. Er ist 50 Jahre alt wie Wolff, aber schon seit zehn Jahren verheiratet, und Vorsitzender der bundesweiten Vereinigung katholischen Priester und ihrer Frauen, die rund 200 Mitglieder hat. Er meint, ein Drittel aller Priester habe heimlich ein homo- oder heterosexuelles Verhältnis - vorsichtig geschätzt. Andere sprechen von bis zu 50 Prozent.

Im Internet findet man zahlreiche Berichte und Erzählungen von Priestern über ihr mehr oder weniger erfolgreiches Ringen mit dem Zölibat. Immer wieder zeigt sich das wesentliche Problem: Was den Männern am meisten fehlt, ist die Geborgenheit einer echten Liebesbeziehung. "Es ist ein Fehler der Kirche, das gefordert zu haben", sagt Schiffgen über den Zölibat. Nach seinen Angaben beantragen jährlich 25 von den etwa 15.000 Priestern in Deutschland die Laisierung. Im Bistum Augsburg, zu dem Benediktbeuern gehört, wollten in den vergangenen fünf Jahren drei Priester wegen eines Heiratswunsches aus dem Amt ausscheiden, wie die Pressestelle mitteilt. Über Ordensleute hat das Bistum keine Zahlen.

Ein Pater will heiraten

Längst nicht jeder, der sich zu einer Beziehung bekenne, stelle den Laisierungs-Antrag, sagt Schiffgen. Denn es herrschten "abstruse Vorstellungen" darüber, wie das Verfahren ablaufe. "Früher musste man einen Seelenstriptease veranstalten und vor Zeugen intime Fragen beantworten", sagt Schiffgen. "Man musste sich faktisch zum Idioten stempeln lassen." Das sei aber nicht mehr der Fall. Der Vatikan habe das Verfahren erleichtert. Wolff rechnet damit, in etwa drei Jahren in den Laienstand zurück versetzt zu sein. Dann könnte er seine Verlobte auch kirchlich heiraten.

Als Wolff im Sommer 2008 bei einer Tagung an der salesianischen Hochschule in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito die zwölf Jahre jüngere Psychologin Carmen kennenlernt, dauert es nicht lange, bis sich Gefühle entwickeln - auf beiden Seiten. "Ich war offen dafür", sagt er. Zuvor habe er Frauen, die eventuell etwas von ihm wollten, immer instinktiv abgewehrt. Nun merkte er: "Wir sind auf einer Wellenlänge. Wir haben die gleichen Werte, zum Beispiel, was Kindererziehung betrifft." Carmen besucht ihn zu Weihnachten 2008 in Benediktbeuern. Da erkennt Wolff, dass sich die Sache zu etwas Ernstem entwickelt. Mit Carmen ist er glücklich. Er kennt ihre Familie, sie hat ihn herzlich aufgenommen. Sie ist wie er katholisch, das wollen sie auch bleiben. Beide möchten gerne noch Kinder haben.

Wer sein Priesteramt abgibt, beendet damit auch das Leben, wie er es bisher gekannt hat. "Man muss sich neu definieren", sagt Schiffgen. Denn mit dem Verlust des Priesteramts gehe auch viel vom Ansehen und vom Selbstbild verloren. Mit seinem Entschluss hat Wolff plötzlich auch eine Menge praktische Probleme. Er muss sein Leben neu aufbauen. Um eine eigene Wohnung zu finden, braucht er eine Arbeit. Um eine Arbeitsstelle zu bekommen, braucht er ein Girokonto. Um ein Konto zu bekommen, braucht man in der Regel ein regelmäßiges Einkommen - ein Teufelskreis.

Wolff kommt bei der Arbeitssuche zugute, dass er nicht nur Theologe ist, sondern auch Sozialpädagoge. Ein Bewerbungsgespräch bei einer kommunalen Einrichtung kürzlich sei recht erfolgreich verlaufen, sagt er. Vermittelt hatte es ein Bekannter - ein ehemaliger Salesianer. Gerade von Ordensbrüdern, nicht nur von ehemaligen, hat er viel Zuspruch und Glückwünsche bekommen, als er seinen Entschluss öffentlich machte. Auch Wohnungssuche und Kontoeröffnung scheint er in den Griff zu bekommen.

Schwieriger wird es mit dem Heiraten. Kirchlich ist das ohnehin erst möglich, wenn Wolff laisiert ist. Aber auch die standesamtliche Trauung gestaltet sich kompliziert: eine Tatsache, die Wolff erbost. Er schildert eine wahre Odyssee, die er und seine Verlobte schon absolviert haben - ohne befriedigendes Ergebnis allerdings. Die deutschen Behörden machen es heiratswilligen Paaren richtig schwer, wenn einer von beiden Ausländer aus einem Staat außerhalb der EU ist. Wolff berichtet von Ehefähigkeitszeugnissen, die beizubringen seien, von Übersetzungen, die beglaubigt werden müssen, von Papieren, von der Deutsche Botschaft in Quito ausgestellt, die das Standesamt in München dann doch nicht anerkennt. "Mir scheint die Kommunikation zwischen den deutschen Behörden schwierig zu sein", sagt Wolff.

Wieder und wieder stehen Behördengänge an, "und jeder Stempel kostet Geld". Wegen all dieser Schwierigkeiten ist momentan unklar, wann endlich geheiratet werden und wann Carmen nach Deutschland kommen kann. Sie muss zuvor einen Deutsch-Test bestehen, mündlich und schriftlich. "Die deutschen Behörden sind schlimmer als die kirchlichen Stellen", fasst er seine Erfahrungen zusammen.

Wenn sie geheiratet haben, beginnt für die beiden, was Schiffgen das "Abenteuer Beziehung" nennt: das Zusammenleben mit einem anderen Menschen. "Man muss das partnerschaftliche Miteinander lernen, Kompromisse machen. Man muss sich arrangieren, muss für zwei denken. Es war für mich ziemliches Neuland. Ich bin froh, dass meine Frau viel Geduld mit mir hatte." Schiffgen nennt das "Nachsitzen in der Schule der Liebe".

Wolff sieht sich dafür nicht schlecht gerüstet. Insgesamt sei seine Stimmung gut. Seine Gefühlslage beschreibt er als "gespannt, hoffnungsvoll, auch freudig". Mit Carmen ist er im ständigen Kontakt. "Das gibt mir die Kraft, das alles durchzustehen."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: