Ausstellung:Weltbilder ohne Worte

Ausstellung: Einen entdeckungsreichen Tag in den Straßen der schwedischen Hauptstadt verbringen kann man mit dem "Stockholm Wimmbelbuch".

Einen entdeckungsreichen Tag in den Straßen der schwedischen Hauptstadt verbringen kann man mit dem "Stockholm Wimmbelbuch".

(Foto: Judith Drews)

Die internationale Jugend­bibliothek zeigt auf 60 verschiedenen Tafeln, wie es in anderen Ländern wimmelt

Von Ayca Balci

Kinder toben auf Spielplätzen herum, erkunden mit ihren Eltern die Stadt, gehen in den Zoo; Menschen wuseln über volle Marktplätze und tummeln sich am Strand: In Wimmelbüchern ist so viel los, dass man fast meinen könnte, die ganze Welt hätte sich darin versammelt.

Die großformatigen, meist auf dickem Karton gedruckten Bilderbücher gehören seit mehr als vierzig Jahren zum festen Inventar von Kinderzimmern. Bekannt sind vor allem Klassiker des Münchners Ali Mitgutsch, dessen erstes Wimmelbuch "Rundherum in meiner Stadt" seit 1968 noch bis heute unverändert gedruckt wird, aber auch Rotraut Susanne Berners Geschichten aus Wimmlingen. Und obwohl diese analogen Bücher längst von digitalen Formen einigen Updates unterzogen wurden, sind sie noch immer beliebt. Zu verdanken haben sie das ihrem zeitlosen Konzept: Kinder können darin entdecken und fabulieren, lange bevor sie das Lesen beherrschen - und weil allein ihre Fantasie bestimmt, welche der unendlich möglichen Geschichten erzählt wird, liegt das Langeweile-Potenzial der Bilderbücher quasi bei null.

Was aber hat die große Wimmel-Welt noch außer Mitgutsch und Berner zu bieten? Und wie sehen die Bücher in anderen Ländern aus? Wimmelt es dort anders? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, bot der Bestand der Internationalen Jugendbibliothek (IJB) den beiden Lektorinnen Ines Galling und Katja Wiebe beste Möglichkeiten: Mehr als 400 000 Kinder- und Jugendbücher in 250 Sprachen lagern unter dem Schloss Blutenburg, und weil der Keller mittlerweile aus allen Nähten platzt, sind weitere 200 000 in zwei Außenlagern untergebracht. Herausgekommen ist am Ende die Ausstellung "Die ganze Welt auf einer Seite. Internationale Wimmelbücher" mit 60 verschiedenen Wimmelbild-Tafeln aus 80 internationalen Büchern. Eröffnet wurde sie eigentlich schon im März, am zweiten Tag musste sie aber wieder zugesperrt werden - Corona kam dazwischen. Seit einigen Wochen könne man aber glücklicherweise wieder Kinderstimmen im Schloss hören, so Galling.

Maximal sechs Besucher dürfen nun gleichzeitig den Ausstellungsgang entlangspazieren und die rechts und links hängenden Wimmelbilder in aller Ruhe unter die Lupe nehmen. Erkennen kann man dabei, wie verschieden sie in Stil und Darstellung sein können: Die einen Bilder sind mit Tusche gezeichnet, die anderen aquarelliert, und eines der auffällig vielen polnischen Exemplare zeigt, dass Wimmelbücher auch grafisch funktionieren können. Sie erzählen aber auch unterschiedlich: Während sich Mitgutschs Szenen immer auf eine Doppelseite begrenzen, erzählt Berner ihre offenen Geschichten über die Buchseiten hinweg. Um das zu zeigen, haben sich die beiden Kuratorinnen etwas Originelles einfallen lassen: Eines von Berners Jahreszeiten-Büchern schlängelt sich nun um eine Litfaßsäule herum, sodass kleine und große Besucher gewissermaßen durch die Geschichte hindurchflanieren können. Gleich nebenan im Schaufenster hängen Originalskizzen von Mitgutsch, die verraten, wie ein Wimmelbild entsteht. Was so simpel aussieht, ist nämlich harte Arbeit: Die meist 80 bis 120 Figuren und Gegenstände sinnvoll in ein Ganzes zu integrieren und dabei Szenen zu schaffen, in denen es immer wieder Neues zu entdecken gibt, ist auch für Mitgutsch, der als Vater der Wimmelbücher bekannt ist, immer wieder eine Herausforderung gewesen, wie der Münchner selbst einmal verriet.

Sommerbühne

Mit der "Blutenburger Sommerbühne", einem Open Air-Programm für Kinder, Jugendliche und Familien, hat sich die Internationale Jugendbibliothek eine Alternative zum "White Raven Festival" einfallen lassen, das dieses Jahr abgesagt werden musste. Von 11. Juli bis 6. September sollen tägliche Theater- und Musikvorführungen sowie Lesungen im Innenhof des Bücherschlosses literarische Abwechslung in die Sommerferienzeit bringen. Den Auftakt macht Margit Auer ("Die Schule der magischen Tiere"), es folgen Lesungen mit bekannten Autoren wie Erhard Dietl ("Die Olchis") oder Paul Maar ("Das Sams"). Neben dem Kinderprogramm gibt es abends für die Erwachsenen Konzerte von Klassik über Jazz bis Weltmusik. Alle Informationen zum Programm und Tickets gibt es unter https://www.ijb.de/. ayba

Eine spannende Erkenntnis aus der Ausstellung: "Wimmelbilder erzählen sehr viel darüber, wie Länder ticken", erklärt Wiebe. Verschiedene kulturelle Ansichten und der Blick, aus dem die Welt und Gesellschaft vermittelt wird, schlagen sich deutlich in den Büchern nieder. Auffallend seien dabei auch Wimmelbücher, die im Ausland abgeändert erscheinen: Tatsächlich hängt an der Schlosswand eine Deutschlandkarte aus der deutschen Version eines Wimmel-Atlas, auf der man eine Martin-Luther-Figur entdecken kann - im polnischen Original hingegen sucht man ihn vergeblich. Wimmelbücher scheinen also nicht nur das Potenzial zu haben, Kinder zu bilden und bei Laune zu halten, sondern eben auch analytisch und kritisch betrachtet zu werden - weshalb sie für große Leser genauso gut funktionieren wie für kleine.

Durch den schmalen Schlossgang gelangt man in den Wehrturm und zum Highlight der Ausstellung: Die Wände hier sind ringsherum mit übergroßen Tafeln verkleidet, die Mitgutschs bekannte Strandszenerien aus "Komm mit ans Wasser" zeigen. Wenn man sich hier in einen der Strandstühle setzt, hört man mit etwas Fantasie die Hippies am Strand Musik machen, Kinder im Meer planschen und den Bademeister rufen. Wer sich darauf einlässt, dürfte auch in diesen Zeiten ein zumindest imaginäres Reisen und Wimmeln ganz ohne Risiko erleben können.

Die ganze Welt auf einer Seite. Internationale Wimmelbücher, Internationale Jugendbibliothek, Schloss Blutenburg, bis 14. Feb. 2021

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