Ausstellung über Rainer Werner Fassbinder:Durch die Nacht mit dem Bürgerschreck

Das Münchner Theatermuseum feiert den Dramatiker und Bühnenautor Rainer Werner Fassbinder mit einer Ausstellung. Bei der Eröffnung schwelgen die Zeitzeugen der wilden Jahre in Erinnerungen.

Christian Mayer

Es ist einer jener Münchner Abende, an denen die Lebensfreude überall zu greifen ist, die pure Lust auch am gesellschaftlichen Auftrieb unter freiem Himmel. Und welcher Ort könnte an diesem herrlichen Frühsommertag dafür besser geeignet sein als der Hofgarten? Im Café Tambosi renommieren die Stenze mit ihren sonnenbebrillten Begleiterinnen, im Schumann's fallen selbst salonfähige Semibekanntheiten vor den Kellnern auf die Knie, um doch noch den letzten freien Platz zu bekommen.

Rainer Werner Fassbinder wäre 65 geworden

Großes Theater: Rainer Werner Fassbinder mit Hannah Schygulla im Stück "Blut am Hals der Katze" (1971), eine Produktion des Münchner "Antiteaters".

(Foto: dpa)

Und dann gibt es noch die anderen, denen es noch längst nicht warm genug ist, sie drängeln sich zur blauen Stunde im Deutschen Theatermuseum. Es ist unfassbar heiß hier und vollkommen überfüllt in den eher kleinen, noch dazu ziemlich zugestellten Räumen. Hunderte Gäste sind gekommen, um einen Mann zu feiern, der einst in München begann, das Theater und den Film radikal zu verändern.

Rainer Werner Fassbinder erlebt ja in München gerade eine Wiedergeburt, er war zwar nie aus dem Bewusstsein seiner Fans und Freunde verschwunden, aber es ist dennoch erstaunlich, wie sehr ihm die Stadt in diesen Wochen vor seinem 30. Todestag huldigt: Das Residenztheater hat seine Stücke wieder aufpoliert, das Filmmuseum widmet ihm eine große Retrospektive, und nun gibt es im Theatermuseum eine weitere Fassbinder-Hommage.

Der Blick richtet sich einmal nicht auf seine Filme, sondern vor allem auf seine enorme Wirkung als Bühnenautor, Schauspieler und Theaterregisseur. Von Fassbinders erster Begegnung mit dem Münchner Action-Theater 1967 bis zu seinen großen Inszenierungen in Bremen, Bochum und Frankfurt reicht der Weg, den die Ausstellung mit Fotos, Texten, Bühnenmodellen, Filmsequenzen und Hörproben dokumentiert. Natürlich sind hier auch alle auf Schwarz-Weiß-Bildern versammelt, die mit und durch Fassbinder groß wurden: die junge Hannah Schygulla, die fabelhafte Brigitte Mira, die Lebensbegleiter Peer Raben, Kurt Raab, Irm Hermann, Ingrid Caven und viele andere.

Wieder mal kann man nur noch staunen, was dieser ruhelose Mensch mit seiner verschworenen, sich oft auch zoffenden Entourage in so kurzer Zeit alles geschafft hat und wo er überall Spuren hinterlassen hat: Ein großer Stadtplan zeigt den vagabundierenden Künstler auf Zickzackkurs durch München. Einen, der von Wohngemeinschaft zu Wohngemeinschaft zieht, von Kneipe zu Kneipe, von Film zu Film. Der nie zu Hause ist, sondern für seine Visionen lebt.

Einige Gäste, Zeitzeugen der wilden siebziger Jahre, sind schon bald nicht mehr in der Lage, die stickige Luft und die langen Reden zu bewältigen; sie wanken aus dem Haus oder werden sanft nach draußen geleitet. Kerzengerade hält sich dagegen Margit Carstensen. Sie spricht bewegend, aber ganz unaufgeregt über Fassbinder.

In erster Linie ein Poet

Er sagte immer, ich sei der erste Profi, mit dem er arbeiten würde. Regieanweisungen hab' ich von ihm nie bekommen. Fassbinder hat mich halt machen lassen, und ich dachte zu wissen, was er will", berichtet die Schauspielerin, die als Hauptdarstellerin in "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" Filmgeschichte schrieb und auch mit 72 noch immer auf den großen deutschen Theaterbühnen präsent ist. Carstensen räumt gleich mal etwas auf mit dem Geniekult um RWF: "Wir haben auch viele missglückte Produktionen gemacht." Dennoch seien die Jahre mit ihm wunderbar gewesen. "Für mich war er in erster Linie ein Poet."

Aus Berlin ist die Präsidentin der Fassbinder-Foundation angereist: Juliane Lorenz, die als sehr junge Frau für den Regisseur arbeitete, bis zu seinem frühen Tod mit ihm in der Schwabinger Clemensstraße zusammenwohnte und nun den Nachlass verwaltet. Lorenz, die Rechteinhaberin, übernimmt wie selbstverständlich die Regie in den Hofgarten-Arkaden - in leuchtendem Orange gewandet, begrüßt sie alte Freunde, den Dramatiker Tankred Dorst oder den Verleger Lothar Schirmer. Längst hat sich die Party nach draußen verlagert. Die Nacht ist noch jung, und im Schumann's erzählen ein paar Filmveteranen, die jetzt sehr gesundheitsbewusst und drogenfrei leben, alte Heldengeschichten.

Im Museum steht zu späterer Stunde noch eine Dame andächtig vor dem Foto des 16-jährigen Rainer Werner Fassbinder. Melancholie liegt in seinem Blick, auch Kühnheit, er scheint schon vieles zu wissen, aber noch nicht alles durchgemacht zu haben. "Mein Gott", sagt die Betrachterin, "da schaut er ja so was von unschuldig aus".

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