Leicht rutschen Aussagen über Existenzängste ins Floskelhafte ab. Doch die Corona-Pandemie hat vielen Menschen zum ersten Mal im Leben aufgezeigt, wie sich das tatsächlich anfühlt, wenn man persönlich von Existenzängsten betroffen ist. Wenn es tatsächlich ums Überleben geht - finanziell, emotional, physisch. Und vermutlich wird dieses Thema im Schaffen von Künstlern - die auch in normalen Zeiten oft als Überlebens-Künstler agieren müssen - in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen.
Doch die Pandemie hinterlässt längst ihre Spuren. Künstler sind auf Coronahilfen angewiesen, weil Museen und Galerien seit Monaten geschlossen sind und Sammler sich nicht in Ateliers trauen. Und alle gemeinsam versuchen, trotz allem mit ihrer Kunst sichtbar zu bleiben und Digitalstrategien zu entwickeln.
Auch Britta Rettberg hat ihre zunächst um Monate verschobene Ausstellung "On Survival" dann doch noch rein digital gestartet. Statt analogem Galeriebesuch gibt es bei ihr zusätzlich zu der mit reichlich Info- und Anschauungsmaterial angereicherten Website eine virtuellen 3-D-Rundgang und einen extra produzierten Film. Erfunden hat sie das alles nicht. Online-Viewing-Rooms waren im Pandemiejahr 2020 weltweit das ganz große Ding. Und allenthalben haben Galeristen digitales Material hergestellt und hochgeladen.
Rettbergs Digitalpaket beinhaltet einen 3-D-Rundgang, der zwar technisch einwandfrei funktioniert, aber einem emotional nicht mitnimmt. Darum hat die Galeristin Studierende der HFF engagiert, einen Film über die Ausstellung zu drehen. "Die Idee war von Anfang an, das mit jungen Leuten zu machen", erzählt Rettberg, "und dabei eine erzählerische Form zu finden." Die Bildsprache des Films ist nicht exzeptionell innovativ ausgefallen, aber für Rettberg ist es ein Schritt in die richtige Richtung. Sie ist sich sicher, dass sie all die digitalen Präsentationsformate beibehalten wird. Auch um auf diese Weise mit ihrem Programm, das auf jüngere Positionen in der zeitgenössischen Kunst setzt, jüngere Kunstinteressierte anzusprechen.
Die Ausstellung "On Survival" handelt von Bedrohungen und Ängsten und vom Überleben. Nicht in der Pandemie direkt, doch öffnen die Arbeiten immer wieder einen Assoziationsraum, über den sich Anknüpfungspunkte finden lassen. Da sind die Erdgeister, die Chiara Camoni auf Seidenbahnen gemalt und zu einem ringförmigen Zelt arrangiert hat, damit man sich darin wie hinter guten Geistern in Sicherheit bringen kann. Die Trompe-l'œil-artigen Erd- und Baumbilder von Helene Appel ergänzen das Naturthema. Daneben liegen die bedrohlich wirkenden Fallen von Hanna-Maria Hammari, denen man sich mit Vorsicht nähert - um dann festzustellen, dass sie harmlos, weil aus Keramik sind. In einem anderen Raum erinnert die gedeckte Tafel von Anastasia Sosunova mit ihren Zink-Salzteig-Objekten in Pizzakartons an die allseits vertraute Take-away-Situation zu Hause.
Von Geburt und Tod erzählt Piotr Łakomys Objekt "Suspended Life": Straußeneier als Fruchtbarkeitssymbole hängen wie Zielfernrohre an den Umrissen von Gewehren, die aus Leichensäcken ausgestanzt sind. Gruselig. Andrew Norman Wilsons multimedial raffiniert gemachte Videos wechseln zwischen realen und digital erzeugten Welten. Faszinierend! Es sind Arbeiten, die schwer in Worte zu fassen sind und die man sich unbedingt ansehen sollte. Am besten begibt man sich über den 3-D-Rundgang in den Raum rechts von den Erdgeistern. Hier zeigt sich ganz klar der Vorteil der virtuellen Präsentation. So toll wie hier kann man die Videos in den Galerieräumen nicht ansehen.
On Survival: Boban Andjelkovic, Helene Appel, Jakob Brugge, Chiara Camoni, Hanna-Maria Hammari, Piotr Łakomy, Anastasia Sosunova, Alan Stefanato und Andrew Norman Wilson, Kuratiert von Caterina Avataneo, Galerie Britta Rettberg, bis 11. März, 3-D-Rundgang und Film abrufbar über www.galerie-rettberg.com/on-survival