Ausstellung:Letzte Lebenszeichen

Das Haus des Erfinders

Der mysteriöse Erfinder in seiner Schaltzentrale - was er dort macht, bleibt unbekannt.

(Foto: Filmstill: Herbert Nauderer VG Bildkunst Bonn 2021)

Herbert Nauderer erfindet ein Horror-Abenteuer

Von Sabine Reithmaier, Rosenheim

Die Expedition nach Parasite Island muss furchtbar gewesen sein. Das Tagebuch des Funkers berichtet von verstörenden Erlebnissen, grauenhaften Geräuschen, bärtigen Mischwesen aus Katze und Hund sowie seltsamen Experimenten an Menschen. Von den 15 Männern, die sich auf den Weg zur abgelegenen Insel machen, kehrt kein einziger zurück.

Zum Glück ist nichts davon wahr, alles nur Fake, auch wenn die Fotos, Filme, Zeichnungen, Dokumente, Objekte und Textfragmente ungeheuer echt wirken. Der Künstler Herbert Nauderer hat sich in seinem Atelier am Starnberger See während der langen Corona-Monaten eine grandios surreale Geschichte zusammenfantasiert, ist eingetaucht in die Welt der Abenteuerromane - "habe ich als Kind schon gern gelesen". Dazu die Pandemie, für ihn eine "Fundgrube an Absurditäten". Entstanden ist "Das Haus der Erfinders", ein multimedialer Zyklus, in dem Nauderer mit der imaginären Parallelwelt auf das aktuelle Geschehen reagiert. Auch auf Verschwörungstheorien. "Das hat mich sehr irritiert, welcher Unfug geglaubt wird."

Nauderers wilden Sprüngen zwischen Fiktion und Realität in der Städtischen Galerie Rosenheim zu folgen, ist ein großes Vergnügen. Allein der Aufbau der aufwendigen Schau dauerte drei Wochen, viele haben mitgearbeitet, vor allem aber Patrik Graf und der Bühnenbildner Max Lindner, beide ehemalige Studenten Nauderers. Nicht alles ist neu; wer den Kosmos des Künstlers kennt, trifft auch auf Bekanntes. Mit der Figur des Erfinders beschäftigte er sich schon vor Corona, allerdings handelte es sich da noch um einen kleinen dicklichen Mann im Superman-Kostüm, der in einem Reihenhaus wohnte.

Ungewohnt an Nauderer ist die Lust an Texten, die nirgendwo hinführen, mehr verwirren als erklären und sich doch sehr authentisch geben. Mit ihnen entwickelt der Künstler seine parallele Welt so umfassend, dass es direkt schwerfällt, an der Existenz der Expedition zu zweifeln. Seltsam bloß, dass die Forscher ausgerechnet am 19. November 1958, Nauderers Geburtsdatum, starten. Eigenartig auch, dass das Haus der Erfinder dem Gebäude der Städtischen Galerie ähnelt, von 1935 bis 1937 erbaut unter der Schirmherrschaft des gebürtigen Rosenheimers Hermann Göring. Oder wohnt er in einem ehemaligen Sanatorium im brandenburgischen Beelitz, das Nauderer schon in früheren Arbeiten nutzte und jetzt in den Dschungel versetzt hat?

Was genau der Auftrag der Expedition ist, wird nie wirklich klar. Sie durchquert mit einem U-Boot den Atlantik, das spricht für eine geheime Mission. Andreas Bee hat sich in dem zur Ausstellung erschienenen gleichnamigen Buch (Verlag Kettler) Gedanken darüber gemacht, wen die Männer in der Person des "Erfinders" suchen. Ist es vielleicht der spurlos verschwundene Arzt Josef Mengele, der im Dritten Reich Hunderttausende in den Tod schickte? Oder handelt es sich um die Neuauflage einer deutschen Expedition in die Antarktis kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, die in dieser Gegend möglicherweise einen Stütz- und Fluchtpunkt für die Nazis etablieren sollte? Möglich wäre alles, sicher ist nur: Der Erfinder ist ein Alter Ego des Künstlers, eines leidenschaftlichen Geschichtenerfinders. Und er löst den Mausmann, Nauderers bisherige Hauptfigur, ab.

Im ersten düsteren Saal, erfüllt von einem Herzschlag-Sound, überwältigen drei Videos den Betrachter. Der zentrale Film schwelgt in Schönheit, zeigt eine grazil zu unhörbarer Musik tanzende Ballerina auf der Bühne des Münchner Cuvilliés-Theaters. Doch die unsterbliche Schönheit ist gefährdet durch zwei operierende Wissenschaftler. Im dritten Video, einer rasanten Fahrt durch eine fiktive Stadt, landet man in der Schaltzentrale des maskierten "Erfinders". Das Labor könnte in einem Atomkraftwerk sein, in Wirklichkeit nutzte Nauderer für die Aufnahmen aber das Siemens-Tonstudio für elektronische Musik im Deutschen Museum.

Nauderer legt viele Spuren. Zeichnet eine riesige Landkarte von Parasite Island. Überall markieren römische Ziffern wichtige Punkte, was sie bedeuten, bleibt offen. Im "Saal der Idioten" blickt man auf eine Fülle von gezeichneten Köpfen. "Als es mit Corona losging, habe ich jeden Tag einen Idioten gezeichnet." In der Mitte ein kleiner Bruch: ein Kinderfoto, das ihn selbst zeigt. Dann die Expeditionsräume, ganz didaktisch mit Vitrinen und Overheadprojektor. Die Zeichnungen werden durch handschriftliche Notizen oder Schreibmaschinentexte erläutert. Aber so besonders gut hat die Maschine - "eine Corona aus den Vierzigerjahren" (Nauderer) - nicht mehr funktioniert, daher hat das Schriftbild eine ganz eigene grafische Qualität.

Die Forscher erkunden die Insel, irren zwischen Industrieruinen herum, stoßen auf mit verdorbenen Proviant angefüllte Hütten. Am 6. Dezember erreichen sie die ersten Siedlungen, "die Häuser sind den unsrigen nicht unähnlich, stehen allerdings auf tonnenartigen Sockeln". Was auch alles durch Fotos und Zeichnungen dokumentiert ist. Irgendwann entdecken die Männer, dass in Versuchsstationen unbekannte menschliche Lebensformen gezüchtet werden, finden ihre Kollegen Diedrichs und Börklund wieder, die sie schon verschwunden glaubten. Ihre Köpfe sind nur mehr eine amorphe Masse.

"Nichts ist wie erhofft. ... Keinerlei Verbindung zur Außenwelt. Wir haben alles verloren." So tragisch enden die Aufzeichnungen. Aber der Erfinder macht sicher weiter.

Herbert Nauderer: Das Haus des Erfinders, bis 20. Juni, Städtische Galerie Rosenheim

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