Ausstellung in München:Kunst als Widerstand

Wenn eine Videoinstallation zum Beweis wird: Der indische Künstler Amar Kanwar hat die Verbrechen der birmanischen Militärjunta dokumentiert.

Anna Fischhaber und Julia Häglsperger

Ein Jahr ist es her, dass Mönche in Birma auf die Straße gingen, um gegen die Unterdrückung durch die Militärjunta zu protestieren. Zahlreiche Menschen starben. Mit der Videoinstallation "The Torn First Pages" erzählt der indische Künstler und Filmemacher Amar Kanwar vom Kampf ums Überleben und dem gewaltsamen Sterben birmanischer Widerstandskämpfer. Die 19 Filmessays, die im Auftrag von Thyssen-Bornemisza Art Contemporary entstanden, sind von heute an erstmals im Münchner Haus der Kunst vollständig zu sehen.

Ausstellung in München: Amar Kanwar vor der Eröffnung seiner Ausstellung im Haus der Kunst.

Amar Kanwar vor der Eröffnung seiner Ausstellung im Haus der Kunst.

(Foto: Foto: Häglsperger)

"Ich muss erst noch eine Zigarette rauchen", sagt Kanwar, als wir ihn im Haus der Kunst treffen - seine lila Tunika und die moderne Handkamera bilden einen etwas seltsamen Gegensatz. Doch dann stellt sich der Inder aus Neu-Delhi den Fragen.

sueddeutsche.de: Ihre Videoinstallation "The Torn First Pages" ist dem demokratischen Widerstand in Birma gewidmet. Sie selbst waren nie in Birma. Warum setzen Sie sich so sehr für dieses Thema ein?

Amar Kanwar: Ich komme aus Indien, dem Nachbarstaat. Dort gibt es viele birmanische Aktivisten und Emigranten, mit denen ich auch zusammenarbeite. Irgendwann begann ich die Intensität ihrer Erfahrungen zu begreifen und die Bedeutung ihres Widerstandes. Es ist eine unglaublich mutige Bewegung, auf die ich reagieren musste. Viele Leute haben nicht verstanden, was es mit diesem Widerstand auf sich hat. Aber ich ärgerte mich auch über meine eigene Ignoranz, mein Unwissen.

sueddeutsche.de: Ihre Installationen enthalten seltene Aufnahmen...

Kanwar: Ich habe mit Flüchtlingen und dem Radiosender Democratic Voice of Burma zusammengearbeitet. Außerdem gibt es einige unabhängige Journalisten und Aktivisten in Birma, denen ich beigebracht habe, wie man Filme dreht. So wurden die Verbrechen, die in Birma geschehen, dokumentiert und aus dem Land geschafft - physisch über die Grenze und virtuell über das Internet. Dieses Material ist Beweismaterial, das die Birmanen sammeln, Beweise, die gesehen, gehört und verstanden werden müssen.

sueddeutsche.de: Haben Sie keine Angst vor möglichen Konsequenzen?

Kanwar: Die Birmanen, die Beweismaterial sammeln und es aus dem Land schmuggeln, riskieren viel mehr als ich. Sie sind in Gefahr. Für mich gibt es keine konkrete Bedrohung, deshalb habe ich auch keine Angst.

sueddeutsche.de: Ihre Ausstellung heißt "The Torn First Pages". Im Mittelpunkt steht der Buchhändler Ko Than Htay. Was steckt hinter seiner Geschichte?

Kanwar: In Birma gibt es ein Gesetz, dass auf der ersten Seite jeder Veröffentlichung - egal ob Magazin, Buch oder Zeitschrift - die ideologischen Grundsätze der Militärregierung abgedruckt sein müssen. Sonst darf das Buch nicht veröffentlicht werden. Ko Than Htay ist ein Buchhändler, der die erste Seite aus jedem Buch riss, das er verkaufte. Einfach, weil es für ihn inakzeptabel war. Es war ein ganz persönlicher Akt des Widerstandes, den ich sehr mutig finde. Er nahm dafür in Kauf, viele Jahre ins Gefängnis zu gehen. Es gibt viele wie Ko Than Htay, die so große Risiken eingehen und weitermachen, obwohl sie die Konsequenzen kennen.

sueddeutsche.de: Die Safranrevolution, der Aufstand der Mönche in Birma, ist jetzt genau ein Jahr her. Erschreckend wie schnell das Thema wieder aus der Öffentlichkeit verschwunden ist.

Kanwar: Es passiert immer irgendwo auf der Welt etwas: Städte im Irak werden in die Luft gesprengt, Tausende Leben werden in Afghanistan zerstört - und es hat keine Konsequenzen für den Rest der Welt. Apathie und Desinteresse sind menschlich und darauf muss man reagieren.

Kunst als Widerstand

sueddeutsche.de: Hat Kunst denn mehr oder andere Möglichkeiten sich für den Widerstand einzusetzen als der Journalismus?

Kanwar: Ich denke, jedes Medium hat seine eigenen Stärken. Kunst kann ein Bewusstsein schaffen. Kunst kann sensibilisieren. Kunst kann Mitgefühl in einer Art und Weise wecken, wie es eine Zeitung nicht kann. Kunst kann einen bleibenden Eindruck hinterlassen, einen Eindruck, der viel länger haften bleibt als ein Artikel in der Zeitung.

sueddeutsche.de: Haben Sie noch Kontakte in Birma? Wie sieht es jetzt in dem Land aus?

Kanwar: Es ist sehr schwierig zu sagen, was gerade in Birma geschieht. Es passieren ständig viele Sachen. Erst heute Morgen habe ich gelesen, dass die Armee wieder einen Angriff auf bestimmte ethnische Gruppen plant.

sueddeutsche.de: Kann Kunst denn auf einen solchen Angriff, auf das was gerade passiert, reagieren - oder ist sie mit ihren Retrospektiven nicht immer zu spät?

Kanwar: Ob Kunst ein effektives Medium zur Intervention ist, hängt davon ab, wer, was, wie und wo betroffen ist. Kunst ist nicht notwendigerweise Museumskunst, sie existiert in vielen verschiedenen Formen. Es gibt immer Menschen, die zeichnen, malen, fotografieren, schreiben - auch in Birma. Die Menschen reagieren kreativ auf die Militärherrschaft. Kunst kann eine militärische Intervention nicht alleine stoppen. Ich denke auch nicht, dass das die Aufgabe der Kunst ist. Das muss der Widerstand leisten. Kunst wirkt auf eine andere Weise. Aber ich denke schon, dass sie das Potential hat, gewisse Veränderungen zu bewirken.

sueddeutsche.de: Und was sollen die Münchner Besucher aus Ihrer Ausstellung im Haus der Kunst mitnehmen?

Kanwar: Ich will zum einen, dass sie wieder über Birma nachdenken. Aber abseits vom birmanischen Widerstand sollen sie - wie der Buchhändler Ko Than Htay - auch darüber reflektieren, wie sie sich verhalten, wenn sie etwas falsch finden. Die Münchner Besucher sollen über sich selbst und ihre Beziehung zu Autorität, zu Macht und zu ihren eigenen Ideen nachdenken - und beginnen, ihre Ideen umzusetzen.

Die Ausstellung "Amar Kanwar, The Torn First Pages" ist vom 8. Oktober bis 9. November 2008 im Haus der Kunst in München zu sehen.

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