Die Begrüßung übernimmt ein dickbauchiger, behelmter Holzsoldat. Er steht auf einem Podest, unter ihm marschieren auf historischen Fotos seine Kollegen in den Krieg. Trotz aller Hampelei kommt er nicht von der Stelle, obwohl ihn die Musik - Heinz Rühmanns Hit "Wozu ist die Straße da" aus dem 1936 gedrehten Film "Lumpacivagabundus" - unentwegt zum Gehen nötigt. Das Objekt des Aktionskünstlers Günter Wangerin ist ein gelungener Einstieg in die ungewöhnliche Ausstellung "Kunst hält Wache" im Landsberger Gewerbegebiet Frauenwald. In mehr als 40 Arbeiten verdeutlicht sie nachhaltig, dass Frieden und Freiheit im eigenen Land auch nach 75 Jahren keine Selbstverständlichkeit sind. Der Ausstellungsort passt zum Thema. Die "Alte Wache" war einst das Eingangsgebäude einer Munitionsfabrik des Naziregimes. Die Nitrozellulosefabrik der Dynamit Aktiengesellschaft (DAG) ging nie in Betrieb, war aber fast fertiggestellt, als sie die Amerikaner nach Kriegsende besetzten. Später nutzte die weitläufige Anlage die Bundeswehr, seit 1998 gehört sie der Stadt Landsberg. Noch sind etwa 30 größere Gebäude erhalten, zum Teil als riesige Ruinen, zum Teil als Lagerhallen, zum Teil ins stetig wachsende Gewerbegebiet integriert. Die Alte Wache mit ihrer auffälligen Pfeilerfront hat die wechselvolle Geschichte gut überstanden. Das morbide Ambiente und der bröckelnde Putz bieten eine fabelhafte Umgebung für die Kunst, und die Künstler verstanden es, ihre Räume zu nutzen.
Die Idee trägt Franz Hartmann, der künstlerische Leiter der Schau, schon 15 Jahre mit sich herum. Jetzt 75 Jahre nach Kriegsende bot sich die Chance, eine breit angelegte Ausstellung zu Krieg und Frieden zu verwirklichen. Er gründete den Verein "Kunst hält Wache" und machte sich, beraten von den Künstlerkollegen János Fischer und Harry Sternberg an die Umsetzung. "Dass die Stadt als Veranstalter einstieg, hat vieles erleichtert", sagt Hartmann, gelernter Steinbildhauer, dessen provokante Arbeiten schon oft für Aufregung sorgten. Auch der Parcours, auf den er die Besucher schickt, hat es in sich.
Gleich im ersten Raum trifft man auf eine Installation Simon Weckerts, der unlängst Google Maps mit einer Sackkarre voll Handys einen Stau in Berlin vorschwindelte. Eine Trompete spielt automatisiert in Dauerschleife den Zapfenstreich, eine hintersinnige Kritik an der modernen Kriegsführung und ihren automatisierten Waffen. Überhaupt nicht subtil, sondern schockierend hart ist der Galgen, den Hartmann selbst auf einem Tisch mit Falltür gebaut hat. Ein Knopfdruck löst die Klappe aus, der Lärm lässt einen zusammenzucken. So grauenhaft hört es sich also an, wenn ein Mensch umgebracht wird. Hartmann geht es nicht um den Schockeffekt, sondern um die Erkenntnis, dass es immer Menschen sein müssen, die den Hebel umlegen. "Immer muss einer dazu bereit sein, Bomben zu werfen oder Drohnen steuern."
Nicht alle Arbeiten sind so anstrengend. Nana Dix, Enkelin des Malers Otto, erzählt Geschichten mit Bildercollagen auf dem Fußboden, in Cornelia Rapps Raum zwitschern die Vögel. Eine moosige Naturidylle, wäre da nicht immer wieder die Szene, in der ein Soldat eine Frau packt. Rapps Thema ist die Vergewaltigung als Kriegswaffe, die Fotos stammen aus Afrika, Syrien, der Nazidiktatur. Im nächsten Raum liest eine weibliche Stimme aus "Todesursache Flucht". Kristina Milz' Buch ist 500 Seiten dick geworden, Listen mit Namen von Menschen, die bei ihrem Versuch, ein besseres Leben zu finden, umkamen. Oder die Arbeit der in Beirut lebenden Künstlerin Sina-Maria Schweikle, die in "Fake Peace" mit aus Flatscreens bestehenden Bildkästen den Zustand zwischen Krieg und Frieden thematisiert. Hinter den friedlichen Landschaften tut sich viel Grauenhaftes, jeder kann sich die Bilder ziehen.
Auch die ältere Künstlergeneration ist vertreten, Wolfram Kastner und Otto Dressler (1930 - 2006) fehlen nicht. Fast vergessen, dass sich Bernd Zimmer in den Jahren des ersten Golfkrieges und der kriegerischen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien großformatig mit den menschlichen Abgründen auseinandersetzte. Auch Karikaturist Dieter Olaf Klama ist mit seiner Camouflage-Friedenstaube und anderen Arbeiten vertreten, ebenso Andreas Bindl (1928 - 2010), in dessen Raum ein riesiger Reichsadler unter der Tapete zum Vorschein kam.
Schön, dass sich so viele Landsberger Schulen mit eigenen Räumen beteiligten, oder auch der Verein "Kunst und Frieden". Und natürlich Friedensaktivist Konstantin Wecker, der 2003 kurz vor den US-Angriffen nach Bagdad reiste und dort ein Konzert gab. Die achtminütige Aufnahme seiner Tagebuchnotizen, die er beisteuerte, nutzten die Kuratoren Sternberg, Fischer und Hartmann für eine eindrucksvolle Installation. Die Bilder vom Bombardement landeten in der Badewanne.
Kunst hält Wache - 75 Jahre Frieden im eigenen Land. Landsberg, Alte Wache, bis 28. Juni, Do. bis So., 10 - 22 Uhr