Ausstellung im Landtag:Wie Schüler den Holocaust sehen

Lesezeit: 3 min

"Es gibt keinen erkennbaren Weg vor uns" haben die Schüler Maximilian und Andreas eines ihrer Bilder gennant. Es ist im KZ Dachau entstanden und zeigt einen Gang im SS-Gefängnis. (Foto: Maximilian Aigner, Andreas Berl)

Sechs Millionen ermordete Juden - für viele Schüler ist das nur eine abstrakte Zahl. Dachauer Gymnasiasten haben nun Holocaust-Überlebende getroffen. Jetzt zeigen sie ihre eigene Sicht auf die Vergangenheit in einer Fotoausstellung im Landtag.

Von Elisa Britzelmeier

Vergessen wird Leonie das Gespräch wohl nie. Besonders nicht, wie ihr eine KZ-Überlebende erzählt hat, dass sie mit ansehen musste, wie andere Juden bei lebendigem Leibe verbrannt wurden. Und auch nicht deren Erinnerung an das Lager in Dachau: "Heute ist da alles grün - wenn es damals auch nur ein bisschen Gras gegeben hätte, wir hätten es sofort gegessen."

Leonie ist 14 Jahre alt. Bisher kannte sie den Holocaust nur aus Büchern und dem Geschichtsunterricht. Doch seit sie mit verschiedenen Zeitzeugen über den Nationalsozialismus gesprochen hat, ist ihre Vorstellung viel lebendiger. Die sechs Millionen ermodeten Juden sind nun für sie nicht mehr nur eine abstrakte Zahl. "Wir haben Menschen kennengelernt, die der Holocaust wirklich betrifft", sagt sie.

Die Schülerin ist eine von mehr als dreißig Jugendlichen, die an diesem Montag zur Eröffnung einer Doppelausstellung im Bayerischen Landtag gekommen sind. Ein Teil der Ausstellung sind Werke des Fotografen Mark Mühlhaus mit dem Titel "Generationen. KZ-Überlebende und die, die nach ihnen kommen". Sie zeigt Holocaust-Zeugen gemeinsam mit ihren Familienmitgliedern an den Orten, die für sie mit traumatischen Erlebnissen verbunden sind.

Inspiriert von dieser Fotoreihe haben sich Schüler des Dachauer Josef-Effner-Gymnasiums mit dem KZ Dachau beschäftigt. Ein dreiviertel Jahr lang setzten sich die Schüler mit der Geschichte des Lagers auseinander. Beim Fotografen Mühlhaus lernten sie die Grundlagen des Umgangs mit der Spiegelreflexkamera. Daraus entwickelten sie dann ihre eigenen Ideen. Das Ergebnis: Die Fotoreihe mit dem Titel "Blickwinkel. Dachauer Jugendliche in der Auseinandersetzung mit dem Ort".

"Wir haben jetzt einen neuen Zugang zum Thema Holocaust. Es ist etwas ganz anderes, wenn man sich aktiv Gedanken macht und auch versucht, andere zum Nachdenken anzuregen, als wenn man nur passiv im Unterricht sitzt und historische Fakten erzählt bekommt", sagt die 18-jährige Helene, die die Ausstellung mitorganisiert hat.

Die Bilder der Jugendlichen sind alle im ehemaligen KZ Dachau entstanden. Sie wollen der Vergangenheit des Ortes nachspüren und tragen Titel wie "Schatten der Gefangenschaft". Manche veranschaulichen in ihrer Unschärfe, wie die Erinnerung zu verschwimmen scheint. Andere sind sehr deutlich und dokumentarisch, zeigen einen Gang im SS-Gefängnis oder die Tür zu den Dachauer Gaskammern.

Bereitwillig erklären die jungen Fotografen ihre Bilder: Maximilian und Andreas haben das Foto, auf dem die Jahreszahlen 1933-45 zu sehen sind, praktisch blind durch einen kleinen Spalt geschossen. Die schräg einfallenden Sonnenstrahlen deuten die Hoffnung nach 1945 an. (Foto: Elisa Britzelmeier)

Zur Eröffnung sind auch Zeitzeugen gekommen. Ernst Grube, Abba Naor und Karl Rom sind froh über das Interesse der Jugendlichen. Grube, der 1932 in München als Kind einer jüdischen Mutter und eines nicht-jüdischen Vaters geboren wurde, sagt: "Es gibt heute wieder Leute, die Angst haben, gegen Neonazis zu handeln - wie kann das sein? Da müssen wir aufklären!"

Die meisten der anwesenden Schüler haben schon mit mehreren Zeitzeugen gesprochen. "Das wird schon auch mitunter sehr persönlich. Man merkt, dass es jedes Mal weh tut, wenn sie darüber sprechen", erzählt ein 16-Jähriger. Im Geschichtsunterricht wird das Thema Holocaust ausführlich behandelt. Aber hier kann man sich oft auch aus Zeitgründen nur an den Fakten orientieren. "Das ist anders, wenn man aus persönlichem Interesse mit Betroffenen spricht und sich nicht unter Notendruck mit dem Thema befasst", finden die Jugendlichen.

Eine Möglichkeit der Gedenkarbeit, die es lange nicht gab - und die es wohl nicht mehr lange geben wird. Immer weniger Zeitzeugen, die den Schülern aus erster Hand Informationen geben könnten, sind noch am Leben.

Bedrückende Berichte aus Israel

Neben den Dachauer Schülern, die die Ausstellung konzipiert haben, sind auch Schüler aus Nürnberg zu Gast, die im Januar nach Israel gereist sind. Dort haben sie in Altersheimen mit Überlebenden gesprochen. Details aus diesen Gesprächen zu erzählen, fällt ihnen schwer. "Ich glaube, wir brauchen alle noch Zeit, um das zu verarbeiten", sagt die 14-jährige Leonie.

Selbst für die Lehrer seien manche Berichte sehr bedrückend gewesen. Froh sind sie aber alle über die Erfahrungen und Eindrücke, die sie aus Tel Aviv und Haifa mitgenommen haben. "Und auch die Zeitzeugen waren dankbar, dass sie mit uns sprechen konnten", erzählen die Schüler.

Die Jugendlichen aus Dachau haben mit der Ausstellung einen Weg gefunden, in Bildern auszudrücken, was so schwer in Worte zu fassen ist. Für sie ist das Thema Vernichtungslager ohnehin "besonders". Jeder kenne Dachau, aber viele wissen gar nicht, dass es neben dem ehemaligen KZ auch einen Ort gibt. "Wie kann man denn in Dachau wohnen - sowas in der Art höre ich schon öfter", erzählt der 18-jährige Andreas.

Maximilian kann sich gut an seinen Frankreich-Austausch erinnern: Da wollten die Großeltern seines Austauschpartners nicht mit ihm sprechen. Weil er aus Dachau kommt.

Die Foto-Doppelausstellung "Blickwinkel" und "Generationen" ist noch bis 8. Mai im Bayerischen Landtag zu sehen. Sie ist montags bis donnerstags von 9 bis 16 Uhr und freitags 9 bis 13 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist nach Anmeldung an der Besucherpforte (Max-Planck-Straße 1) frei.

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: