Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Im Karl-May-Fieber

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Franz Kandolf war ein glühender Verehrer des berühmten Schriftstellers und bereiste auf den Spuren von dessen Romanfiguren die halbe Welt. Das Haidhausen-Museum erinnert an den heute vergessenen Kaplan

Von Patrik Stäbler, Haidhausen

Nein, zufrieden ist Monsignore Widmann, der Stadtpfarrer von Haidhausen, wahrlich nicht mit seinem Kaplan Franz Kandolf. In dessen "Qualifikations-Noten" des Jahres 1916 findet sich beispielsweise der Hinweis: "Hat selbst in der Kriegszeit trotz des hohen Bierpreises sehr häufig fünf halbe Liter Bier sich reichen lassen. Erst seit die Kapläne für das Bier selber aufkommen müssen, beschränkt er sich merklich." Drei Jahre später heißt es in einer Beurteilung: "Ein besonderer Eifer kann Kandolf nicht nachgesagt werden. (...) Am liebsten sitzt er über Romane und liest in rücksichtsloser Lichtverschwendung auf Kosten des Pfarrers bis in die tiefe Nacht hinein." Und dann ist da noch sein - für einen Geistlichen ganz und gar ungewöhnliches - Faible für den bis heute meistgelesenen Schriftsteller deutscher Sprache. Oder wie die Kirchenleitung anmerkt: "In der Großstadtseelsorge passt ein Karl-May-Apostel nicht."

Wobei die Vorgesetzten von Franz Kandolf kaum geahnt haben dürften, wie sehr das Karl-May-Fieber den Kaplan der Pfarrei St. Johann Baptist gepackt hat. So arbeitet er nicht nur für den Karl-May-Verlag und schreibt Beiträge für die Karl-May-Jahrbücher. Sondern der Geistliche verfasst auch zwei Bücher, die Teil der "Gesammelten Werke" des großen Autors werden: "In Mekka" (Band 50) sowie den Sonderband "Die Söhne des Scheiks". Überdies bereist der Kaplan aus Haidhausen die halbe Welt von Albanien bis zum Wilden Westen - stets auf den Spuren der Geschichten von Karl May. Derweil gerät Kandolfs eigene Geschichte nach seinem Tod 1949 vielerorts in Vergessenheit, nachgerade in seinem Heimat-Stadtteil. Nun jedoch widmet das dortige Haidhausen-Museum dem "Karl-May-Kaplan vom Gasteig-Spital" eine Ausstellung, die am Sonntag eröffnet wird.

Wobei Museumsleiter Hermann Wilhelm den Namen Franz Kandolf noch nie gehört hatte, als ihn vor einigen Jahren ein Herr namens Ludwig Stimpfle aufsuchte. Dieser profunde Karl-May-Kenner hatte Wilhelms Ausstellung "München und der Wilde Westen" im Gasteig besucht und wollte ihn nun auf die Geschichte des außergewöhnlichen Kaplans aus Haidhausen hinweisen. Und so erzählte Stimpfle von Franz Kandolf, von dessen Karl-May-Leidenschaft, von den Büchern, von den Reisen. In den Ohren des Heimatforschers und Haidhausen-Experten Hermann Wilhelm klang das fast zu gut, um wahr zu sein. Doch je tiefer Stimpfle und er in die Recherche einstiegen, desto klarer zeigte sich: "Es hat alles gestimmt, was er mir erzählt hat", sagt der Museumsleiter.

Gemeinsam haben die beiden nun eine Ausstellung konzipiert, die mit vielen Fotos und Dokumenten, aber noch mehr Anekdoten und Zitaten von Zeitzeugen die erstaunliche Lebensgeschichte des Franz Kandolf erzählt. Er wird 1886 als Sohn eines Fabrikarbeiter-Ehepaars geboren und wächst in einem Häuschen auf der Kalkinsel auf - dort, wo heute der Vater-Rhein-Brunnen nördlich der Ludwigsbrücke vor sich hin plätschert. Nach dem Abitur am Wilhelmsgymnasium studiert Kandolf Theologie in München und in Freising, wird 1911 zum Priester geweiht und kehrt zwei Jahre später als Kaplan der Johanniskirche nach Haidhausen zurück. 1932 wechselt er schließlich als Anstaltsgeistlicher ans städtische Altenheim am Gasteig, das gut 40 Jahre später abgerissen wird, um Platz für ein neues Kulturzentrum zu machen.

Zum Zeitpunkt seines Umzugs von der Kirchenstraße an den Gasteig ist Kandolf längst ein angesehener Karl-May-Experte und seit 1921 Mitarbeiter des Karl-May-Verlags in Radebeul. Mit dessen Besitzer Euchar Albrecht Schmid bearbeitet er etliche Werke des 1912 verstorbenen Schriftstellers, und das oft tief greifend. Zudem schreibt er Abhandlungen über Karl May in verschiedenen Publikationen und verfasst 1923 als Fortsetzung von dessen Buch "Am Jenseits" den Band "In Mekka", von dem 350 000 Exemplare verkauft werden. Am spannendsten sind freilich - und diese Geschichte wird im Keller des Museums erzählt - die Reisen des Franz Kandolf, der sich von den 1920er-Jahren an auf die Spuren Old Shatterhands, Kara Ben Nemsis und anderer Karl-May-Figuren begibt. Seinen kirchlichen Vorgesetzten gegenüber führt er mehrfach Eucharistische Weltkongresse an, die er besuchen wolle. "Tatsächlich ging es ihm aber vor allem um seine Karl-May-Leidenschaft", sagt Hermann Wilhelm. All die Erkenntnisse, die Kandolf in den USA, auf dem Balkan, in Südamerika, in Nordafrika und anderswo sammelt, fließen in verschiedene Reiseberichte und in ein umfangreiches Landkartenwerk ein, das ebenfalls im Karl-May-Verlag veröffentlicht wird.

Der Zweite Weltkrieg setzt den Reisen des Franz Kandolf dann ein jähes Ende. Zudem verändert sich auch seine Persönlichkeit, wie ein Zeitgenosse bemerkt: "Er war stiller, in sich gekehrter und wortkarger geworden." Nach Kriegsende verschlechtert sich Kandolfs Gesundheitszustand; im Juni 1949 stirbt er im Krankenhaus rechts der Isar und wird auf dem Ostfriedhof begraben. "Dass seine Geschichte danach fast in Vergessenheit geriet, ist einfach unglaublich", findet Heimatforscher Hermann Wilhelm. Ein Glück, dass das Haidhausen-Museum sie nun ausgegraben hat.

Die Ausstellung "Franz Kandolf - Der Karl-May-Kaplan vom Gasteig-Spital" wird am Sonntag, 3. Oktober, um 14 Uhr vor dem Haidhausen-Museum eröffnet. Es sprechen der Karl-May-Experte Ludwig Stimpfle sowie Museumsleiter Hermann Wilhelm; dazu gibt es Musik und Gesang von Michaela Lugo. Fortan ist die Ausstellung bis 23. Januar sonntags von 14 bis 17 Uhr sowie von Montag bis Mittwoch von 17 bis 19 Uhr zu sehen. Im Museum gelten eine Maskenpflicht und die 3-G-Regel (geimpft, genesen, getestet).

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SZ vom 02.10.2021
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