Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Ob es das wert ist?

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Die Ausstellung "dissolving mater & value" in der Lothringer13 hinterfragt das Verhältnis von Ökologie und Ökonomie.

Von Evelyn Vogel, München

Wie ein ums Überleben kämpfender Wurm reckt sich der Arm empor. Schwarz, verbrannt, verkrustet, vor einem glutroten bis feuerorangefarbenen Hintergrund schüttelt diese Hand immer wieder eine zähe Flüssigkeit ab, wird selbst zu nichts als Material, nimmt wieder Form an, beugt und dreht sich, bis das Bild in die Totale wechselt und man erkennt: Die Hand ragt aus trockener, rissiger Erde empor, schweres, dickes Öl tropft von ihr, drückt sich irgendwann auch aus dem dicken Rohr daneben, das sich wie ein Bandwurm in der Weite der Landschaft verliert.

Barbara Kapustas Installation "The Leaking Bodies Series" von 2020 ist die eindrücklichste Arbeit in der Ausstellung "dissolving mater & value" in der Lothringer13. Die Drei-Kanal-Videoinstallation der Wiener Künstlerin ist umgeben von mehreren Objekten aus Acrylglas. Sprechblasenartige Schriftfelder, welche die Aggregatzustände unserer Körper hinterfragen. Die Haut als durchlässige Membran, Hüllen als Barrieren. Bewahrer vor oder Einfallstor für Umweltverschmutzung, Vergiftung, Vernichtung von Mensch und Natur.

Liesbeth Bik und Jos Van der Pol beobachten, wie der Mensch sich die Erde untertan macht

Um ein Umweltthema geht es auch in einer weiteren sehr starken Videoarbeit: "Facts on the Ground" von Bik Van der Pol. Die Arbeit von 2009 zeigt Fragmente aus dem Prozess der Landgewinnung für das Maasvlakte-2-Terminal (MV2) im Rotterdamer Hafen. Wie ein Sisyphos arbeitet sich der Schwimmsaugbagger - was für ein herrlich absurdes, typisch deutsches Kompositum - durch den Hafen. Saugt und schaufelt riesige Mengen von Material vom Meeresgrund auf und spuckt und sprüht den Sand an anderer Stelle kontinuierlich wieder aus. Liesbeth Bik und Jos Van der Pol leben und arbeiten in Rotterdam, konnten so gleichsam vor ihrer Haustür beobachten, wie der moderne Mensch sich die Erde untertan macht.

In der Gruppenausstellung "dissolving matter & value" geht es allenthalben um Zustandsänderungen, wobei die Prozesse immer mit Wertsteigerung oder Wertverlust verbunden sind. Die Künstlerinnen und Künstler stellen sich die Frage, ob das, was entsteht, den Verbrauch von Ressourcen jeglicher Art rechtfertigen kann. Was wird eingesetzt, um was zu erlangen? Was ist verfügbar? Was entsteht, wenn Wert vergeht?

Die scheinbare Immaterialität des Vorgangs einer Online-Bestellung materialisiert der Münchner Künstler Robert Keil, indem er mit seiner aktuellen Arbeit "Oder Anders" den Empfang der Lothringer13-Halle in einen real funktionierenden UPS Access Point verwandelt. Die beiden in München ausgebildeten Künstlerinnen Helin Alas und Judith Neunhäuserer hinterfragen den Wert von Markenkleidung beziehungsweise menschlicher Weltbilder, während Nina Radelfahr aus Hamburg organisches Material zeichnerisch auf Papier überträgt. Das Künstlerduo Viltė Bražiūnaitė & Tomas Sinkevičius schließlich konterkariert Werbefotos durch Erzählungen von Entfremdung und Heimatlosigkeit, so dass der Eindruck einer schönen, aber seelenlosen Warenwelt entsteht und klar wird: Wer begehrt, verliert.

dissolving matter & value, Lothringer13-Halle, bis 28. Nov., Di-So 11-19 Uhr

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