Ohne einen der peinlichsten Fehler im Geschäft mit gedrucktem Papier gäbe es diese Ausstellung nicht. Herbert Hauke, Mitbetreiber des Münchner Rockmuseums, druckte in einer Publikation ein Bild mit Mick Jagger drauf, das ihm der Musikmanager Rudi Martini mal geschenkt hat. Prompt hatte Hauke kurz später einen gewissen Tom Schmid am Telefon, der ihn darauf hinwies, dass es sich hierbei um eine Verletzung des Bildrechtes handle, denn die Aufnahme sei von ihm, dem Fotografen Tom Schmid, was aber hier nicht kenntlich sei, vom Honorar ganz zu schweigen.
Ein Blick ins Netz genügt, um zu sehen: Herbert Hauke hätte mit diesem international bekannten Profi echte Probleme kriegen können. Doch man fand sich dann bei allem Ärger im Laufe der Verhandlungen über das Missverständnis sympathisch, und Hauke stellte fest, dass dieser Tom Schmid eine fotografische Goldgrube war: kaum ein Rockstar der berühmten Siebzigerjahre, den er nicht abgelichtet hätte. Die Idee zu der Ausstellung "Die wilden Siebziger" im Rockmuseum war geboren. Kein schlechter Ort, war doch München ein musikalisches Zentrum dieser grandiosen Epoche.
Nachtleben:Was Münchner in den dunklen Stunden treiben
Feierbiester wie Mick Jagger oder Freddie Mercury durchtanzten einst die Münchner Nächte. Heute hält sich hartnäckig das Klischee vom verschnarchten Provinznest. Warum nur?
Es sind 34 zum Teil sehr großformatige Bilder, die den einzigartigen Raum oben im Olympiaturm mit der Atmosphäre dieser so speziellen Rock-Ära füllen. Denn nach der großen Musikrevolution der Sechziger war da der Rock einerseits - fast - erwachsen geworden, andererseits taumelte er zwischen den Extremen akademische Perfektion, stadionfüllende Gebrauchsmusik und lärmiger Post-Beatles-Punk ziellos hin und her.
Hier die Gott-gleiche Gitarrenkunst eines Eric Clapton, der nach Blind Faith mit Derek And The Dominos zugange war und mit Layla einen Dauerbrenner schuf; dort die massenverzaubernde Groove-Maschine von Queen, dessen Frontman Freddie Mercury einem Liebhaber am Münchner Sebastiansplatz nächtens gerne rote Rosen ins Fenster im ersten Stock warf. Hier die pianistischen Akademiker Jon Lord und Keith Emerson, jeder für sich auf der Suche nach der idealen Verbindung zwischen Klassik und Rock, dort der wilde Schrat und Querflötist Ian Anderson von Jethro Tull, zerberstend zwischen barockem Bourrée und depressivem "Locomotive Breath".
Hier der feingeistige Macho Peter Gabriel, mit Sexismen a la "Sledgehammer" auf der Suche nach sich selbst, dort die von ihrem Mann in Allem missbrauchte Tina Turner, die erst in den Achtzigerjahren zu sich finden sollte und nach der Trennung von Ike mit einem Test-Konzert in der Alabamahalle zur "Privat Dancer"-Tour durchstartete. Der Rest ist Geschichte.
Oft zu Gast in München
Allesamt waren sie große Verkleidungskünstler und Poser. Freddie Mercury lockte bei "Crazy Little Thing Called Love" gerne mit freiem Oberkörper; David Bowie streifte zu dieser Zeit gerade das Kostüm von Ziggy Stardust ab; und Alice Cooper, der sich auf der Bühne schon mal foltern und dann guillotinieren ließ, verschüttete literweise Bühnenblut und trat nie ohne seine Schlange auf - wie derzeit gerade auf US-Tour immer noch. In den späteren Siebzigern wechselte Cooper das Rauschmittel, bevorzugte also nun Kokain statt Alkohol; mittlerweile ist er übrigens trocken, braver Familienvater, regelmäßiger Kirchgänger, bekennender Republikaner und ziemlich guter Golfer mit Handicap zwo.
Die meisten der im Rockmuseum ausgestellten Stars der damaligen (und manchmal auch noch heutigen) Szene waren oft in München zu Gast. Meist dank der Musicland Studios im Arabellapark, dort, wo heute das Sheraton Hotel steht. Der Südtiroler Komponist Giorgio Moroder hat es für seine Tonspielereien gegründet und mit einem - damals eine Sensation - Moog Synthesizer ausgestattet.
Weil der Mann aus St. Ulrich im Grödnertal dank Donna Summer, die nach der Hair-Premiere in München hängen geblieben war, mit "Love To Love You Baby" oder "I Feel Love" ein paar Nummer-Eins-Hits landete, wurde der Laden schnell berühmt und zum Produktions-Paradies für die Größen der Rockmusik. Deep Purple waren hier, wo Jon Lord dann Eberhard Schoener traf, den Erfinder von "Rock meets Classic", und der wiederum das musikalische Chamäleon Brian Eno.
München profitierte von der Starschwemme
T-Rex nahmen 1974 "A Creamed Cage in August" auf, in jenem Jahr, als deren schriller Sänger Marc Bolan sich von seiner Frau trennte und in New York dafür wieder mit dem Trinken begann. Elton John nahm "Victim Of Love" hier auf, Falco "Junge Römer" und Ian Gillan "Child In Time". Die Rolling Stones spielten "It's Only Rock'n'Roll" ein, Marius Müller-Westernhagen sein "Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz", Queen nahmen - allerdings etwas später - vier Alben hier auf, darunter "A Kind Of Magic"; und auch Udo Jürgens begab sich in den Arabella-Keller für das Album "Silberstreifen" mit dem Hit "Ich war noch niemals in New York".
Kein Wunder also, dass auch München bei Nacht von der Starschwemme profitierte. Man traf sich auf ein paar Drinks oder auf der Suche nach Übernachtungshilfe im Sugar Shack an der Herzogspitalstraße. Manche hingen im Schwabylon ab, einem mittlerweile geschleiften Klotz an der Leopoldstraße nahe der Wilhelm-Hertz-Straße, wo wiederum das Lokal Randstein lag, in dem ein gewisser Stefan Gabányi, der heute eine Bar mit Livemusik von sehr hoher Qualität betreibt, ab und zu Klavier spielte.
Und nach einem Konzert von Ray Charles im Kongresssaal fanden sich dessen Musiker zu später Stund' im "domicile" an der Leopoldstraße ein und mischten die dort amtierende Band des Abends auf. Es war, das darf man rückblickend so sagen, was los damals in der Stadt. Die Frage ist: Wird sich in dreißig, vierzig Jahren wiederum genug Material finden für eine Ausstellung im Rockmuseum unter dem Titel "Die wilden Zehner"?
"Die wilden Siebziger", Ausstellung im Rockmuseum, 3. Mai bis 9. Oktober, Besucherplattform des Olympiaturms, Spiridon-Louis-Ring 7