Ausstellung:Dem Menschen ein Bild geben

Begegnungen im angstfreien Raum: Der Nürnberger Papiertheaterkünstler Johannes Volkmann erstellt in seinem Projekt "Innere Stadt" persönliche Profiltafeln mit Flüchtlingen. Sie sollen zur "Menschlichen Erstaufnahme" einladen

Von Barbara Hordych

Eine Million Flüchtlinge ist eine Zahl, die Angst einjagen kann. "Die persönliche Begegnung mit einem einzelnen Menschen ist hingegen etwas ganz anderes", sagt der Nürnberger Papiertheaterkünstler Johannes Volkmann. Eine Erkenntnis, die er zum Ausgangspunkt seines jüngsten Projekts "Innere Stadt" gemacht hat: Gemeinsam mit der Sozialwissenschaftsstudentin Anna Maubach errichtete er in einer Flüchtlingsunterkunft in einem kleinen Hotel in Nürnberg ein Atelier, und lud die Bewohner ein, auf 80 × 60 Zentimeter großen Platten aufzuschreiben, was sie bewegt. Ihre Wünsche, Ängste und Fähigkeiten notierten sie mit roten, blauen und grünen Stiften in den weißen Leerräumen zwischen zuvor aufgeklebten Strichcodes, wie sie zur amtlichen Registrierung asylsuchender Menschen gebräuchlich sind. Eine künstlerische Erfassung des Individuums gewissermaßen, jenseits der Bürokratie. "Der Zugang zu den Bewohnern der Flüchtlingsunterkunft gelang mir nur, weil Anna Maubach durch ihre ehrenamtliche Tätigkeit Kontakt zu ihnen hatte", erklärt Volkmann. Die Studentin habe die Wege gebahnt und das Vertrauen gebildet, damit er seine Projektidee überhaupt vermitteln konnte. Als nächstes galt es das Verständigungsproblem zu lösen. Die Teilnehmer schrieben ihre Gedanken zunächst in ihrer jeweiligen Landessprache auf, in Arabisch, Syrisch oder Eritreisch. Die Sätze übertrugen Volkmann und seine Mitarbeiter der "Fa. Zusammenkunst" ins Deutsche, "auf dem Umweg über das Englische, mithilfe von Handy-Programmen, oder mit der Unterstützung der Kinder, die schon besser Deutsch sprechen als ihre Eltern". Diese Übersetzungen schrieben die beteiligten Flüchtlinge dann noch einmal in ihrer eigenen Handschrift ab - als farbigen "persönlichen Code" zwischen den schwarzen Strichcodes.

Die so entstandenen Profilbilder hätten einen grafischen Charakter und eine ganz individuelle Ästhetik, erklärt Volkmann. Der die Bilder im Anschluss sorgfältig verpackte - "Einpacken war schon für Christo eine Mittel der Kunst" - und mit blauem Band umwickelte, um sie ihrer nächsten Station zuzuführen: Der Galerie Kohlenhof in Nürnberg. Dort warteten die verpackten Tafeln bei der Vernissage vor einigen Tagen auf Besucher, die bereit waren, zehn Euro für das Auspacken zu bezahlen. Die ,Künstler' standen neben ihren Profilbildern und schauten zu, wie die Gäste dabei selbst Hand anlegten - und ihre Sätze zum Vorschein brachten. Da gab es den Bäcker, der nach einer Anstellung sucht; die junge Frau, die Krankenschwester lernen will; und immer wieder den Wunsch, schnell Deutsch zu lernen, um mit den Menschen in der neuen Stadt sprechen zu können. "Aber auch von Dank war viel zu lesen", sagt Volkmann. Erste Kontakte wurden geknüpft, Handynummern ausgetauscht, Einladungen ausgesprochen - ganz so, wie Volkmann es sich von dem zweiten Schritt seines Projekts unter dem Stichwort "Menschliche Erstaufnahme" in einem angstfreien Raum erhofft hatte. Schließlich seien es Sozialkontakte, die die Geflüchteten und Asylbewerber am meisten bräuchten.

Der Initiator und Motor des Projekts sieht im Übrigen die Zeit dafür gekommen, dem Künstlerbegriff eine neue Ausrichtung zu geben. "Wir sollten mit unseren Werken nicht nur an der Ausbildung unserer individuellen ,Marke' arbeiten, sondern viel mehr unsere Kräfte bündeln", meint Volkmann. Der in der Vergangenheit mit viel beachteten Gesellschaftsinszenierungen im öffentlichen Raum auf sich aufmerksam machte. Etwa mit seiner Aktion "Unbezahlbar", für die er vier Jahre lang von Deutschland über Spanien, Irland, Ägypten, Israel, Palästina bis nach Indien und China unterwegs war; auf zentralen Plätzen stellte er mit Papier umwickelte Tische auf, die er mit Papptellern deckte. Auf diesen konnten Passanten ihre Gedanken dazu notieren, was für sie "unbezahlbar" ist.

Eine große Tafel soll denn auch bei der Finissage in der Galerie Kohlenhof gedeckt werden, bei der Realisierung des letzten Schritts unter dem Titel "Soziale Grundversorgung". Eine gemeinsame Mahlzeit mit Bürgern der Stadt, bei der die beteiligten Flüchtlinge landestypische Speisen ihrer Heimat kochen, deren Zutaten sie mit den gespendeten Geldern kaufen. Bleibt den "Zusammenkünftlern", wie Volkmann sich und seine Mitstreiter nennt, nur noch ein Wunsch: Dass sie Nachahmer für ihr Projekt in anderen Städten finden. München, Gauting und Murnau haben bereits Interesse bekundet.

Ausstellung: Will mit seinem Kunstprojekt Kontakt herstellen: Johannes Volkmann.

Will mit seinem Kunstprojekt Kontakt herstellen: Johannes Volkmann.

(Foto: Catherina Hess)

Innere Stadt, Ausstellung bis 23. Dez., Kunstverein Kohlenhof, Grasersgasse 15, Finissage Mi., 23. Dez., 18 Uhr

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