Ausstellung:Das Geheimnis der drei N

Nachbarschaften, Netzwerke, Nahversorgung: Am Beispiel Obergiesings und des Domagkparks untersuchen Teilnehmer des Masterstudiengangs Geografie der Uni Innsbruck, wie verschiedene Instrumente der Stadtplanung wirken. Die Ergebnisse werden in einer Ausstellung präsentiert

Von Thomas Kronewiter

Wie funktioniert nachhaltige Stadtentwicklung? Wenn sich Geografen diese Frage stellen, ist der Blick nicht beschränkt auf Themen wie CO₂-Einsparung, Klimaneutralität und Energiebilanz. Da geht es vielmehr auch und gerade um Nachbarschaften, Netzwerke und Nahversorgung. Das wesentliche Ergebnis einer intensiven, über drei Semester vorangetriebenen Untersuchung an der Universität Innsbruck zu Wohnen, Mobilität, Versorgung und zum öffentlichen Raum in zwei Quartieren in München kann Stadtplanern und Architekten an der Isar als Bestätigung dienen: Denn danach stehen einer Stadt durchaus wirksame Steuerungsinstrumente zur Verfügung, wollen ihre Akteure in Politik und Verwaltung Lebens- und Umweltqualität, sozialen Ausgleich und Zusammenhalt erreichen, dabei wirtschaftlich tragfähig bleiben und obendrein kulturell innovativ.

Die Beobachtungen und Folgerungen des Masterstudiengangs Geografie der Uni Innsbruck am Beispiel der Quartiere Obergiesing im Münchner Südosten und Domagkpark im Norden sind in einer Ausstellung zusammengefasst, die derzeit im Münchner Planungsreferat zu sehen ist. Dass diese Kooperation zwischen München und Innsbruck und die Ausstellung im Planungsreferat so zustandekommen konnte, ist vor allen Dingen den Bemühungen von Professor Martin Coy, den Verantwortlichen im Planungsreferat und Michaela Schier zu verdanken, die in Personalunion Lehrbeauftragte an der Uni Innsbruck und Geschäftsführerin des Münchner Forums ist. Dieser Verein bemüht sich darum, wesentliche Fragen der Münchner Stadtentwicklung kontinuierlich in Arbeitskreisen, Diskussionen und Aktionen zu begleiten.

Die Bedeutung des Öffentlichen

Die Herangehensweise verdeutlicht sich anschaulich am Beispiel von Jugendlichen. Bei einem Stadtteilrundgang in Obergiesing definierten 16 Zehn- bis 18-Jährige Stress-Orte, an denen sie Lärm oder Dreck sowie fehlende Angebote für junge Leute konstatierten - oder an denen sie einfach unerwünscht sind. Stress spüren sie etwa an der Tegernseer Landstraße, am Walchenseeplatz, im Giesinger Grundschul-Umfeld oder um die Giesinger Polizeiinspektion. Attraktive Schauplätze wurden dagegen als Orte der Erholung wahrgenommen, darunter der Freizeittreff 103er, das Grünwalder Stadion oder der Weißenseepark. Fazit der Geografen: Der öffentliche Raum ist von großer Bedeutung für die Entwicklung von Jugendlichen. Damit er ihren Bedürfnissen gerecht werden könne, "müssen Jugendliche durch partizipative Prozesse in die Planung aktiv mit einbezogen werden". Dass das erfolgversprechend ist, zeigt das Beispiel Weißenseepark. Vor 2009 ein Ort der Angst, wurde der Park mit den Nachbarn zusammen entwickelt. Inzwischen ist die Grünzone gut angenommen - gerade von jungen Leuten, die sich dort eben nicht unerwünscht fühlen.

Funktionierende Nahversorgung

Regionale und Bio- Produkte, dazu mehr Fairtrade - auch im zentralen Giesing ist das ein Thema. Dem wird die Einkaufsmeile an der Tegernseer Landstraße nur unzureichend gerecht, außerdem herrscht dort starke Konkurrenz um Parkplätze, es fehlen durchgängige breite Radwege als Alternative zum Auto, Querungsmöglichkeiten sind begrenzt, Barrieren dagegen vorhanden. Die fußläufige Erreichbarkeit für die Giesinger ist andererseits das große Plus der Tela. Im Projekt Giesinger Grünspitz an der Ecke zur St.-Martin-Straße, wo es regionale Produkte, aber auch kulturelle Angebote gibt, sehen die Innsbrucker eine Chance, die Defizite partizipativ zu beheben, die fußläufige Versorgung weiter zu verbessern - und zugleich unnötige Autofahrten einzusparen.

Alternative Mobilität

Anders die Situation im Neubauviertel Domagkpark. Dort hat man nicht nur das Viertel völlig neu planen können, dort haben mit alternativen, aktiv gemanagten Mobilitätsangeboten mit den neuen Bewohnern auch Innovationen Einzug gehalten. "Die Untersuchung ergab, das sich diese Maßnahmen in einer Reduktion der Neukäufe oder in der kompletten Abschaffung von Pkw niederschlagen." Auch dabei stellen die Studenten noch Optimierungspotenzial fest: Je einfacher die Buchung etwa von Carsharing-Fahrzeugen, desto stärker lassen sich diese Ideen ausschöpfen.

Am Domagkpark zeigt sich andererseits auch, dass selbst etablierte Beteiligungsprozesse nicht immer das gewünschte Ergebnis bringen. Denn der Mobilität von morgen steht ein Straßenbild von gestern gegenüber - zumindest empfinden es manche Anwohner so angesichts (zu) breiter Bürgersteige, Hitzestau auf Radwegen, mancherorts zu schnell fahrender Autos in linear geführten Straßen. Bunter, mehr Bänke, mehr Bäume statt einer Betonwüste - die Liste der Wünsche ist lang und zeigt, dass sich innerhalb des Planungsapparates die Kommunikation weiter verbessern muss und alle Bevölkerungsgruppen angesprochen werden müssen.

Integrative Nachbarschaft

Neu bedeutet nicht automatisch besser. Diese Beobachtung machten die Innsbrucker an der Perlacher Straße in Obergiesing, an der sie zwei sehr unterschiedliche Wohnviertel vorfanden: die 1927/28 entstandene Gewofag-Siedlung und das nagelneue Agfa-Gelände. In der Gewofag-Siedlung war langjährige Verwurzelung ebenso zu konstatieren wie funktionierende Nachbarschaftshilfe, Austausch und Aktivitäten an festen Treffpunkten und damit ein stark ausgeprägtes Sozialkapital. Das Agfa-Areal ist geprägt von losen Kontakten zu den Nachbarn, Brückenbauer wie betreuende Nachbarschaftstreffs zur Aktivierung sind viel stärker gefragt. Fazit: Soziale Nachhaltigkeit ist dennoch in beiden Quartieren erreichbar, sofern Orte der Begegnung geschaffen werden.

Innovative Genossen

Das maßgeblich von Genossenschaften mitgetragene Mobilitätskonzept im Domagkpark ist nur ein Beispiel für deren "identitätsstiftende integrierende und beteiligungsfördernde Wirkung", heißt es. Von ihnen kommen soziale Innovationen, sie spielen deshalb keine geringe Rolle für die Zukunftsfähigkeit der Stadt. Doch auch letztere selbst hat eine transformative Kraft - etwa wenn sie starke Quartiere schafft, Netzwerke fördert, alternative Mobilität stärkt und sich umstrittenen Themen wie der Frage einer Bodenrechtsreform stellt.

Die Ausstellung "Nachhaltige Stadtentwicklung zwischen Planung und Wirklichkeit" ist bis Freitag, 12. Juli, montags bis freitags von 8 bis 18 Uhr zu besichtigen. Interessierte kommen ins Referat für Bauordnung und Stadtplanung, Blumenstraße 28 b, Raum 018 (Erdgeschoss). Die Ausstellungsbroschüre ist auch im Internet unter https://www.uibk.ac.at/geographie/studium/master/courses/ss18_muenchen.html einzusehen.

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