Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Neuentdeckungen im Blauen Land

Vier Ausstellungen in den Kunstmuseen in Kochel, Murnau, Bernried und Penzberg beleuchten unterschiedliche Facetten des Expressionismus und halten vielerlei Überraschungen parat.

Von Sabine Reithmaier, Kochel / Bernried / Murnau / Penzberg

1905 erhebt August Macke in einem Selbstporträt lachend und prostend ein Weinglas. Acht Jahre später später malt er sich als traurigen Clown. Ein knappes Jahr später fällt er 1914 in Frankreich, gerade mal 27 Jahre alt. Zwei Selbstbildnisse, die viel erzählen über die Anfänge des 20. Jahrhunderts. Auch darüber, dass es Männer meist besser verstanden, sich zu inszenieren. Gabriele Münter jedenfalls malt sich uneitel und nüchtern, auffallend nur ihr intensiver Blick. Andererseits erfindet sich Else Lasker-Schüler als Prinz Jussuf von Theben gleich eine ganz neue Identität.

Die Künstlergruppen Brücke und Blauer Reiter wollten mit ihren Bildern die Welt verändern. Doch wie sahen sie sich selbst? Dieser Frage geht das Kochler Franz-Marc-Museum in "Ich bin mein Stil" nach. Und es ist ein großes Vergnügen, in dieser fabelhaften, von Museumsleiterin Cathrin Klingsöhr-Leroy kuratierten Ausstellung die Vielfalt der Selbstdarstellungen zu studieren. Die Schau zählt zum diesjährigen Gemeinschaftsprojekt der Museenlandschaft Expressionismus. Unter dem Titel "Avantgarde in Farbe" haben sich neben dem Kochler und dem Lenbachhaus auch das Buchheim-Museum Bernried, das Campendonk-Museum Penzberg und das Schlossmuseum Murnau auf eine sommerliche Ausstellungsreihe zu Brücke, Blauer Reiter und Expressionismus verständigt. Und jede davon ist sehenswert.

Franz Marc blickt lieber visionär in die Ferne

Von seinem 42. Geburtstag an porträtiert sich Lovis Corinth alljährlich, beobachtet den Alterungsprozess. Ungern verzichtet er auf die Insignien seines Berufs, er stellt sich oft mit der Zeichenfeder in der Hand dar. Im Gegensatz zu ihm hat sich Franz Marc nur einmal selbst gemalt, 1904 in bretonischer Tracht. Aber selbst da wendet er sein Gesicht vom Betrachter ab. Auf Fotos blickt er gern visionär in die Ferne. Schon deshalb ist die karikierende Zeichnung, in der ihn sein Freund Macke mit Zigarette im Mund festhält, eine echte Überraschung. Überhaupt war das Rauchen für die Expressionisten enorm wichtig. Von Max Pechstein gibt es kaum Bilder ohne Pfeife, auch keine Fotos, seine Gemälde entstehen quasi im Pfeifenqualm. Karl Schmidt-Rottluff bevorzugt Zigarren, sogar dann, wenn er sein Gesicht wie eine afrikanische Maske malt.

Dass die Blauen Reiter mit der Volkskunst sympathisierten und im Blauen Land lebten, ist unübersehbar. Münter malt eine "Bootsfahrt mit Kandinsky" (1909), im Hintergrund türmen sich die Berge. Kandinsky pinselt ein "Interieur (mit zwei Damen)", in dem Münter und Marianne von Werefkin plaudernd auf einem roten Sofa vor Hinterglasbildern sitzen. Die Brücke-Künstler malen auch Interieurs. An ihren Wänden hängen aber die eigenen Akt-Gemälde, auf dem Tisch platziert ist eine nackte Frauenfigur. Und die Gespräche wirken in Kirchners "Erich Heckel und Doris im Atelier" noch ein wenig intimer als im bürgerlichen Ambiente des Blauen Reiters. Kandinsky reagiert Marc gegenüber auch recht ablehnend auf die vielen Nackten der Brücke: "Von 24 Fotos sind 9 + 1/2 Akte mit oder ohne Schamhaare, 5 Badende und 2 Circusbilder ..." Ihm ging es eben mehr um das Geistige in der Kunst.

Während und nach dem Ersten Weltkrieg konnten sich die überlebenden Künstler nicht mehr als Visionäre sehen, die Darstellungen werden deutlich melancholischer, verzweifelter. Max Beckmann interpretiert sich 1915 als Krankenpfleger, Ernst Ludwig Kirchner 1918 als Kranker. Und Ludwig Meidner hatte die Katastrophe wohl schon geahnt: Er malte sich schon 1912 als Selbstmörder (bis 3. 10., Katalog (Hirmer Verlag): 27,50 Euro im Museum, sonst 35 Euro).

Farbenrausch im Buchheim-Museum

Sich der Wucht der Farben einfach hingeben und ihre Wirkung genießen, ist im Buchheim-Museum möglich. Museumschef Daniel J. Schreiber hat sich bei der großzügigen Hängung an Farben und Kontrasten orientiert, die für die Maler des Expressionismus wichtig waren. Für die großen Zwischenwände mit jeweils nur einem Gemälde auf Vorder- und Rückseite hat er die Farben des Regenbogens ausgesucht. So wandert man von Gelb über Orange, Rot, Pink hin zu Blau, Türkis, Grün und schwelgt in den gelungenen Gegenüberstellungen von Meisterwerken.

Freilich, der Fundus, aus dem Schreiber für "Die Farben der Avantgarde" schöpfen kann, ist beneidenswert; neben der Sammlung des Museumsgründers steht ihm noch die tolle Sammlung von Hermann Gerlinger zur Verfügung. 76 Gemälde hat er ausgewählt, darunter Werke von Beckmann, Heckel, Kirchner, Paula Modersohn-Becker, Nolde, Pechstein, Schmidt-Rottluff und, als einzigen zeitgenössischen Maler, Bernd Zimmer.

Wer häufiger im Buchheim-Museum unterwegs ist, trifft auf viel Bekanntes. Die prachtvollen Bilder von Max Kaus dagegen sind nur selten zu sehen. Erstaunt steht der Besucher vor Kirchners "Mädchenakt im Atelier" (1909). Jahrzehntelang wurde dieses Bild im Hochformat präsentiert, ein sitzender Frauenakt. Doch nun ist es, jüngsten Forschungsergebnissen folgend, ins Querformat gekippt, die Frau, vermutlich Kirchners Freundin Doris Große, liegt auf einem Sofa. Und endlich gibt das rote Kissen unter ihrem Kopf einen Sinn (bis 7.11.).

Zurück zum Anfang

Einen anderen Aspekt beleuchtet das Schlossmuseum Murnau in "Punkt, Linie, Fläche", nämlich die Auseinandersetzung mit kindlicher Kunst, die nicht nur die Expressionisten, sondern auch deren Nachfolger nach 1945 beschäftigte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erschienen zahlreiche Publikationen zu dem Thema. Kandinsky und Münter sammelten, auf der Suche nach den Ursprüngen menschlicher Kreativität, vieles und eben auch jede Menge Kinderkunst.

Verblüffend, wie systematisch Münter Kinderzeichnungen analysierte und später umsetzte, etwa beim "Haus", zu dem ein Robert die Vorlage lieferte. Kandinsky hingegen malte zauberhafte Märchenbilder.

Auch Constant, Karel Appel, Asger Jorn und die Cobra-Gruppe (1948-1951), deren Name sich auf die Städte Kopenhagen, Brüssel und Amsterdam bezieht, fasziniert die nicht von Konventionen verschütteten Kreativität und Direktheit der Kinder. Jorn zeichnete zusammen mit Tochter Bodil die Geschichte eines riesigen schwarzen Vogels, auch ein Beleg dafür, dass es in Kinderzeichnungen nicht zwingend heiter zugeht, sondern oft wild und düster. Den Schlusspunkt setzt die Münchner Gruppe Spur (1957-1965) mit HP Zimmer, Helmut Sturm, Lothar Fischer und Heimrad Prem, die gegen die Abstraktion opponierte und sich auf schöpferischen Urkräfte berief. Deren berühmtes Malspiel können Kinder im Museum nachspielen (bis 7. 11., es gibt einen Katalog).

Symbiose von freier und angewandter Kunst

Eine bislang wenig beachtete Facette des Expressionismus, das Kunsthandwerk, beleuchtet das Campendonk-Museum in "Ringsum Schönheit". Museumsleiterin Diana Oesterle wurmt es schon länger, dass Heinrich Campendonk oft nur als jüngster Blauer Reiter wahrgenommen wird. Dabei hatte er, als er 1911 als 22-Jähriger nach Sindelsdorf kam, schon eine vierjährige Ausbildung an der Kunstgewerbeschule Krefeld hinter sich und befasste sich zeitlebens mit kunsthandwerklichen Techniken. Sticken, Weben, Töpfern oder Schnitzen galten den Künstlern damals als gleichrangige Ausdrucksformen des Kunstschaffens, sie strebten eine Symbiose von freier und angewandter Kunst an.

Daran erinnert die Schau mit Stühlen des Jugendstil-Architekten Richard Riemerschmied, Aquarellen Thorn Prikkers, Campendonks Lehrer in Krefeld, oder in Bronze gegossenen Schlüsselloch-Beschlägen, die Marc 1910 seinem Freund Macke zu Weihnachten schenkte. Imposant der reich beschnitzte Spiegel, den Ernst Ludwig Kirchner für sein Haus in Davos anfertigte. Besonders hinreißend sind die Stickvorlagen Fifi Kreutzers (1891-1977), einer heute fast vergessenen Künstlerin. Und dass August Macke für die Gastwirtschaft seiner Schwester im Schwarzwald Holzpaneelen bemalte, wussten bisher vermutlich auch nur Eingeweihte (bis 1. 11.).

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