Heute kann sich beinahe jeder, der es möchte, für erschreckend wenig Geld auf einem Ozeandampfer einkaufen und um die Welt schippern. Und im Notfall schaut er einfach nur anderen dabei zu, wie sie es tun, und schreibt Liebesbriefe an Kapitänsdarsteller Florian Silbereisen oder seine Fernseh-Crew. Doch wahre Traumschiffe sehen anders aus als die 2500-Kabinen-Pötte mit ihrem Plastik-Charme.
Von Traumschiffen, die diesen Namen verdienen, erzählt derzeit eine Ausstellung im Bayerischen Nationalmuseum, und am Sonntag, 9. Juni, dort ein ganzer Aktionstag für Jung und Alt. Die Schau ist der Seefahrt um das Jahr 1600 und den zugehörigen Schiffspokalen gewidmet, das sind schiffsförmige Trinkgefäße und Tafelaufsätze, die in der Renaissance alles in sich vereinten: Abenteuerlust, Entdeckungsdrang, Wagemut, Erfindergeist, unermesslichen Reichtum, handwerkliche Virtuosität und die Wirkmacht der Symbole.
Denn ein Schiff – ob aus Gold, Holz oder reiner Imagination – war niemals nur ein Schiff. Es ist immer auch eine Metapher, etwa für die Kirche, den Staat, die Reise des menschlichen Lebens oder die reinste Narretei; vom Binsenkörbchen, in dem die Mutter ihren Sohn Moses in den Fluss gesetzt haben soll, bis zur letzten Überfahrt über den Styx in der Fähre des finsteren Herrn Charon.
Dass diese detailversessenen Goldschmiede-Schöpfungen prächtigst ausgestatteter Dreimaster just in die Zeit Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts fielen, kommt nicht von ungefähr. Europa hatte seinerzeit die Segel gesetzt, um die Welt zu erkunden und für seine Herrscher gewinnbringend auszubeuten. Nürnberger und Augsburger Goldschmiedewerkstätten bildeten diesen Aufbruch ab. Wer solch ein Objekt auf seinen Tisch stellen oder gar daraus trinken konnte, der war mit im Boot der obersten 1000 adligen Herrscher oder Patrizier.
Die Bergung eines 500 Jahre als Wracks und seiner kostbaren Ladung
Nun will das Bayerische Nationalmuseum seinen Besuchern die mehr als 100 Objekte, Gemälde, Grafiken, kostbaren Manuskripte, Karten und Navigationsinstrumente, darunter viele Leihgaben aus anderen internationalen Museen, noch einmal besonders plastisch erfahrbar machen. Workshops, Vorträge und Sonderführungen stehen dafür auf dem Programm.
Ein Referat widmet sich etwa der Bergung eines 500 Jahre alten Wracks. Doch dabei wird nicht nur die Ladung bestaunt, die sich im Bauch des portugiesischen Seglers Bom Jesus befand. Es wird auch dem Schicksal der Menschen an Bord nachgegangen: Was wusste die ertrunkene Mannschaft über die weite Welt? Gestartet waren sie im Jahr 1533, um kostbare Gewürze aus Indien nach Europa zu holen. Vor der Küste Namibias sank das Schiff dann mit unvorstellbaren Schätzen.
Erst fast 500 Jahre später, im April 2008, entdeckten Archäologen der Diamantenmine Namdeb diese kostbare Fracht. Der Wissenschaftler Wolfgang Knabe kann aus erster Hand die spannende Geschichte der Bergung von Wrack und Ladung der Bom Jesus erzählen – und auch praktische Details klären: Wie trank man eigentlich bei festlichen Banketten aus diesen schiffsförmigen Pokalen? Eine Frage, die auch Kinder brennend interessieren dürfte.
Sie bekommen nach einer Spezialführung die Gelegenheit, selbst einen kleinen Schiffspokal aus goldener Metallprägefolie zu gestalten. Was passiert, wenn einmal nicht ein meerestaugliches Holzschiff, sondern einer der Silbersegler Schiffbruch erleidet, erzählt eine Restauratorin mit dem wunderbar lautmalerischen Namen Elisabeth Krack.
Und wer all seine Eindrücke von Aktionstag und Ausstellung vertiefen möchte, der übt sich in Vorfreude auf eine Publikation, die im Juli erscheinen wird: der Katalog „Traumschiffe der Renaissance“, mit einem wahren Bildermeer und vielen kundigen Aufsätzen, herausgegeben vom Museumsdirektor Frank Matthias Kammel (Hirmer Verlag).
Traumschiffe der Renaissance. Schiffspokale und Seefahrt um 1600, Themensonntag: 9. Juni, von 10.30 Uhr an; Ausstellung allgemein: bis 1. September, Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr, Donnerstag, 10 bis 20 Uhr, 15. August bis 17 Uhr geöffnet, Bayerisches Nationalmuseum, Prinzregentenstraße 3