Ausstellung:Kuriositäten und Kontraste

Ausstellung Harald Schmitt

2016 hat Harald Schmitt an der Straße zum Rila-Kloster in Bulgarien diesen Laden entdeckt. Im orangefarbenen Auto versteckt sich eine Stalin-Büste.

(Foto: Harald Schmitt)

Die Bayerische Staatsbibliothek zeigt Bilder des ehemaligen Stern-Fotografen Harald Schmitt aus Südosteuropa.

Von Jürgen Moises, München

Man muss schon sehr genau hinschauen, um hinter der aufgeklappten Fronttür der orangenen BMW Isetta die weiße Stalin-Büste zu entdecken. Weiß man bei dem ganzen Gerümpel darum herum, den Holzrädern und Holztöpfen, den alten Öfen und Motorrädern oder verrosteten Mini-Autos auf dem Dach doch gar nicht, wo man hinschauen soll. Fotografiert hat Harald Schmitt dieses Kuriositätenkabinett an der Straße zum Rila-Kloster, das im 10. Jahrhundert gegründet wurde und heute als das bedeutendste und größte Kloster in Bulgarien zum Unesco-Welterbe gehört. Die Antiquitäten und der Trödel stammen vorwiegend aus der Zeit des Sozialismus. Wer als Tourist daran vorbeikommt, darf gegen eine kleine Spende darin stöbern.

Harald Schmitt

Zwischen 2015 und 2021 bereiste der ehemalige Stern-Fotograf Harald Schmitt den Balkan.

(Foto: Thorsten Baering)

Zu sehen ist das Bild aktuell in "Facing the Balkans". Einer Ausstellung in der Bayerischen Staatsbibliothek mit mehr als 100 Fotografien aus elf Ländern, welche der renommierte Fotojournalist und ehemalige Stern-Fotograf Harald Schmitt zwischen 2015 und 2021 auf insgesamt fünf Reisen in Südosteuropa gemacht hat. Mit dem Balkan hat die eindrückliche Schau kein Kuriositätenkabinett, aber dafür eine Region der Kontraste zum Thema, die als Schnittstelle zwischen Ost und West, Okzident und Orient viele Jahre lang als Projektionsfläche für westeuropäische Vorstellungen gedient hat. Der Balkan galt dabei in der Regel als primitiv und rückständig, als unorganisiert, gewalttätig und autokratisch. Als "Pulverfass", das man ansonsten mit billigem Badeurlaub oder durch die sogenannte Balkanroute mit dem Thema Migration verbindet.

Offenheit und Neugierde statt Vorurteile und Klischees

Diese Abwertung, sie geschah oft aus dem Grund, den Westen als überlegen darzustellen. Genau das Gegenteil, das heißt den Ländern und Menschen offen, neugierig und möglichst frei von Vorurteilen zu begegnen, war eines der Ziele, das hinter den Reisen von Harald Schmitt durch 27 Länder in Ost- und Südosteuropa stand. Denn tatsächlich hat der mit sechs World Press Photo Awards ausgezeichnete Fotograf mit seiner Frau Annette Stams-Schmitt nicht nur den Balkan bereist. Dabei entstanden rund 3000 digitale Bilder, welche der 73-Jährige der Bayerischen Staatsbibliothek übereignet hat. Bereits 2019 gingen etwa 100 000 Bilder von Schmitt in den Besitz der Bibliothek über, als diese das analoge Fotoarchiv der Zeitschrift Stern als Schenkung erhielt.

Harald Schmitt

Hinter dem Dedebaba ist ein Bild des Propheten Mohammed mit seiner Tochter Fatima und ihrem Ehemann Kalif Ali zu sehen. Die Bektaschi in Albanien halten sich nicht an das islamische Bilderverbot.

(Foto: Harald Schmitt)

Dazu gehörten Fotografien, die der 1948 in Nordrhein-Westfalen geborene Schmitt als akkreditierter Fotoreporter des Stern in Ostberlin zwischen 1977 und 1983 in der DDR und umliegenden Ostblock-Ländern wie der Tschechoslowakei gemacht hat. Damals entstand seine Liebe für den Osten, der für ihn also nicht fremd, aber in Vielem eine unbekannte Welt geblieben ist. Was er dort nun vor allem entdeckt hat, das sind Menschen. Passend dazu hat er am Tag der Ausstellungseröffnung gesagt: "Bei Fotos ohne Menschen, da sträubt sich mein Auslöser." Die Kontakte stellten sie, so Schmitt, in allen Fällen selber her. Von Vorteil sei dabei vor allem bei der älteren Bevölkerung gewesen, dass Annette Stams-Schmitt Russisch spricht.

Harald Schmitt sieht sich als Fotojournalist und nicht als Künstler

Eingeteilt ist die von Gudrun Wirtz und Caroline Finkeldey von der Osteuropaabteilung der Bibliothek kuratierte Ausstellung in sieben Stationen, die den Themen Reisen, Flucht, Glauben, Erinnern, Wandel, Landleben und Verbundenheit gewidmet sind. Zu allen Kapiteln gibt es Einleitungs- und zu den Fotos kurze Infotexte sowie informative Statistiken zu allen Themen. Für den Betrachter ist das äußerst hilfreich und von Schmitt auch so gewollt. Er hat sich nie als Fotokünstler, sondern stets als traditioneller Fotojournalist verstanden.

Viele Bilder könnten aber auch für sich stehen. Hier zeigt sich das Talent des Fotoreporters Schmitt, bestimmte Themen und Zusammenhänge motivisch zu verdichten. Sei es der Blick durch einen Drahtzaun auf den Goldstrand in Bulgarien, die Kleidungsstücke im Stacheldraht an der Grenze zwischen Nordmazedonien und Griechenland oder die Einschusslöcher in den Wänden einer Bank in Mostar, die ein Graffiti-Künstler übermalt hat.

Ausstellung Harald Schmitt

Im Stacheldraht, der Nordmazedonien und Griechenland trennt, hängen Kleidungsstücke. Flüchtlinge versuchen mit ihnen zu verhindern, dass sie sich beim Überwinden der Grenzbarriere verletzen.

(Foto: Harald Schmitt)

Ansonsten lernt man eine Region kennen, in der die Religion, die Tradition und die Geschichte, die Familie und die Landwirtschaft vielfach eine noch weit bedeutendere Rolle als bei uns spielen. In der die Geister und Konflikte aus vergangenen Kriegen herumspuken, wo Nationalismus und ausländische Investoren in die Leerstellen und Lücken vorstoßen, welche der Zusammenbruch des Sozialismus und europäisches Zaudern und Desinteresse erzeugt haben. Eklatante Beispiele sind etwa die montenegrinische Insel Sveti Stefan, die ein Investor aus Singapur in ein Luxusressort umgewandelt hat, der Raubbau an rumänischen Urwäldern oder ein Kohlewerk und eine Goldgrube in Serbien, die in chinesischem Besitz sind.

Die Fotografien von letzteren kann man sich an einem Computer anschauen, der eine Dia-Show mit zusätzlichen Bildern enthält. Einige davon sind neu in diesem Jahr entstanden. In zwei Jahren soll es vielleicht erneut nach Südosteuropa gehen, 2022 sei aber erst mal Frankreich dran, so Schmitt. Was das Interesse am Balkan wach hält? Der permanente Wandel, der die Region seit Jahren wie kaum eine andere in Europa prägt. Und dann sind da noch die Offenheit, die Gastfreundschaft und Lebensfreude der Bewohner, die sich ebenfalls auf den Bildern ausdrücken. Auch sie gehören zu den vielen Gesichtern des Balkans.

Facing the Balkans, bis 4. März, Bayerische Staatsbibliothek, Ludwigstr. 16

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