Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Anziehende Kunst

Franz Erhard Walthers Werkaktivierungen

Von Evelyn Vogel

Es geschieht nicht allzu oft, dass Museumsbesucher Werke anfassen können. In der Ausstellung "Perspectives" von Franz Erhard Walther im Haus der Kunst können die Besucher einige Werke nicht nur anfassen, sie sollen es sogar. Man soll die Stoffe entfalten, hineinschlüpfen, anziehen oder überstülpen. Man kann damit stehen, gehen und laufen, darf darauf schreiten, daran ziehen, sich damit hinknien. Man kann sogar um das Werk herum einen Handstand machen oder ein Rad schlagen - wenn man denn könnte. Doch egal, ob man damit eine statische Skulptur bildet oder mit Bewegung einen performativen Ansatz wählt: Der "Erste Werksatz" von Franz Erhard Walther aus den Jahren 1963 bis 1969 will von den Besuchern spielerisch zum Leben erweckt werden.

"Aktivierung" nennt Walther das, was er seinem aus 58 Objekten bestehenden Schlüsselwerk aus Stoffen durch die Besucher angedeihen lassen will. Bei der Wiedereröffnung der Ausstellung nach dem Corona-Lockdown war es zunächst fraglich, ob auch die Aktivierungen wegen der Hygiene- und Abstandsregelungen wieder möglich sein würden. Seit diesem Donnerstag ist es nun mit Einschränkungen erlaubt. Und was soll man sagen: Der Homo ludens sollte sich den kreativen Spaß nicht entgehen lassen.

Die Objekte aus hellen Stoffbahnen liegen gefaltet auf einer großen, nur wenige Zentimenter hohen, weiß lackierten Fläche, die sich inmitten des riesigen Ausstellungsraums im Haus der Kunst wie eine Bühne ausnimmt. Tänzerinnen und Tänzer des Kollektivs Tanzquelle führen die Besucher in die von Walther in der Grundstruktur vorgegebenen "Aktivierungen" ein. Vieles lässt sich zu zweit ausprobieren, für manche Werke benötigt man vier Personen, an einem könnten viele Menschen teilnehmen, doch weil hier die Abstände zu eng wären, muss dieses aktuell außen vor bleiben. Was möglich wäre, kann man auf den an der Seite stehenden Tablets sehen, wo Aufzeichnungen aus den Tagen vor der Eröffnung Anfang März im Loop laufen. Walther selbst hatte damals Werke vor Ort einer "Aktivierung" unterzogen.

Am Donnerstagnachmittag legten einige Ausstellungsbesucher ihre Scheu ab und eigneten sich die Werkgruppe einzeln oder im Familienverbund an. Auf Socken und mit Einweghandschuhen sowie Mund-Nasen-Schutz umtänzelten sie die am Boden liegenden Stoffgeraden und machten daraus bildhaft wirkende dreidimensionale Objekte oder sie schlüpften mit ihren Körpern in die Bahnen und formten gestisch-plastische Gebilde im Raum. Es war eine recht kreative stoffliche Aneignung.

Franz Erhard Walther. Shifting Perspectives, Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, bis 29. Nov., Mo - So 10 - 20 Uhr, Do 10 - 22 Uhr, Werkaktivierungen: Do 14 - 19 Uhr, Sa/So 11 - 17 Uhr

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4928159
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 06.06.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.