Süddeutsche Zeitung

Zwangsarbeiterlager in München:Relikt des Terrorapparats

Lesezeit: 3 min

Von Konstantin Kaip

Zwanglos gehe es heute zu auf dem Gelände des einstigen Gefangenenlagers, sagt Alexander Werner. Seit 30 Jahren hat der Schreiner seine Werkstatt an der Ehrenbürgstraße 9 in Neuaubing, dort, wo die Nationalsozialisten früher Zwangsarbeiter eingepfercht hatten.

Der 60-Jährige ist einer von etwa 20 Handwerkern und Künstlern, die sich hier angesiedelt haben. Er schwärmt von der Gemeinschaft, die über die Jahre gewachsen ist, "ohne dass es jemand bezweckt hat". Die historischen Baracken würden von "reinen Individualisten" genutzt, sagt er: "Jeder macht sein eigenes Ding." Und trotzdem: Wenn etwas ansteht wie das jährliche Sommerfest, "sind immer alle da".

Und die Vergangenheit? Die verbirgt sich derzeit hinter einem Bauzaun. Auf dem Gelände soll ein Erinnerungsort entstehen - als Außenstelle des NS-Dokumentationszentrums. Von seiner Werkstatt aus blickt Werner daher seit dem vergangenen Herbst auf eine Zeltkonstruktion: Die soll die Baracke V vor der Witterung schützen. Das Baudenkmal soll zum "inhaltlichen Ausgangspunkt" werden für den Erinnerungsort.

Die Stadt hat die im Originalzustand erhaltene Baracke Anfang 2014 erworben, derzeit wird sie mit Mitteln des Kulturbaufonds baulich gesichert. Im Sommer sollen die Maßnahmen abgeschlossen sein. Einen Eröffnungstermin gebe es noch nicht, sagt Sabine Schalm, die im Dokumentationszentrum für die künftige Dependance zuständig ist.

"Alle Unternehmen haben von der Arbeitskraft dieser Menschen profitiert"

Das Areal am Stadtrand ist ein seltenes Zeugnis: Das Ensemble mit acht Baracken und zwei Bunkern ist neben Berlin-Schöneweide das einzige erhaltene Lager seiner Art. 30 000 Zwangsarbeiterlager hat es im Deutschen Reich gegeben, mehr als 400 allein in München.

Zwangsarbeit war eines der zentralen Unterdrückungsinstrumente des NS-Staates - und ein "sichtbares Massenphänomen", sagt der Historiker Andreas Heusler, der für das Stadtarchiv München die Geschichte des Aubinger Lagers erforscht hat. "Alle Unternehmen, aber auch die Münchner Zivilgesellschaft haben von der Arbeitskraft dieser Menschen profitiert."

Im "Russenlager", wie die Bevölkerung das Gelände in Neuaubing nannte, waren hauptsächlich Polen, Russen und Ukrainer untergebracht, die systematisch in ihren Heimatländern auf der Straße aufgegriffen worden waren, um sie vor allem für die Rüstungsindustrie auszubeuten. Von ihren Baracken aus wurden sie ins Reichsbahnausbesserungswerk und in die Dornier-Werke geschickt.

Ihren Alltag im Lager zu erforschen, war schwierig. Von der Lagerverwaltung war kein einziges Dokument übrig, und auch bei den beteiligten Firmen renne man mit dem Thema Zwangsarbeit "keine offenen Türen ein", sagt Heusler. Immerhin konnte er zusammen mit Schalm 15 Namen von Angestellten ermitteln und neun Sterbeurkunden von Insassen des Lagers ausfindig machen.

Und er fand den letzten Überlebenden: Iwan Hont, der 1943 als 14-Jähriger aus seinem Heimatdorf in der Ukraine nach Neuaubing verschleppt worden war. Hont berichtete von überfüllten Baracken, in denen 40 Menschen in einem unbeheizten Raum schlafen mussten, und von ständigem Hunger bei einem halben Liter Suppe und einem Stück Brot am Tag.

Zu dem Konzept, das Heusler und Schalm für den Erinnerungsort entwickelt haben, gehört ein permanenter Ausstellungsraum, der die Geschichte der Zwangsarbeit in Deutschland anhand des Aubinger Lagers darstellen und in einen modernen Kontext stellen soll - mit Blick auf Länder wie China und Pakistan.

Der Platz vor der Baracke V ist als "grünes Klassenzimmer" geplant, Münchner Gymnasiasten erarbeiten gerade einen Audio-Guide. Der Erinnerungsort solle aber vor allem durch die "Sichtbarmachung der Topografie" wirken, wie Schalm erklärt. Und so hat der Stadtrat im März beschlossen, das gesamte Gelände zu erwerben. "Die Kaufverhandlungen laufen", sagt Schalm.

Es hat lange gedauert, bis man sich von offizieller Stelle an das Areal erinnerte, das erst 2009 unter Ensembleschutz gestellt wurde. "Wir sind die, die diesen Ort erhalten haben", sagt Werner. "Und wir haben auf ihn aufmerksam gemacht." Die Künstler und Handwerker haben die Baracken günstig gemietet, erst von der Bahn, dann von der CA Immo, die das Gelände übernahm.

Bleibt der besondere Charakter des Künstlerbiotops erhalten?

Über die Jahre haben sie die Gebäude auf eigene Kosten instand gehalten. Als Vorsitzender des Vereins "Freie Ateliers und Werkstätten Ehrenbürgstraße", zu dem sich die Künstlerkolonie zusammengeschlossen hat, setzt sich Werner seit Jahren für einen Fortbestand der Ateliergemeinschaft unter Würdigung des historischen Ortes ein.

Das will auch der Stadtrat. Laut Beschluss soll der Erinnerungsort ausdrücklich die Mieter, zu denen auch ein Kindergarten und die Kinder- und Jugendfarm gehören, einbeziehen. Man wolle den "besonderen Charakter dieses seltenen Künstlerbiotops" weder stören noch zerstören, erklärt Heusler.

Bei Alexander Werner dagegen ist die Euphorie verhalten. "Im Prinzip sind wir uns alle einig", sagt er. Aber es sei schwierig, die Interessen unter einen Hut zu bringen. Im Konzept von Planungs-und Kulturreferat sind "rückwärtige Bereiche der äußeren Bauten" als "privater Rückzugsraum" für die Künstler vorgesehen.

Kunstobjekte, Wagenburgen und der Bewuchs aber stören laut "städtebaulicher Feinuntersuchung" das Bild des historischen Zwangsarbeiterlagers. Das klinge nach "musealer Atmosphäre", sagt Werner. "Man wird unseren Verhau da nicht mehr haben wollen."

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SZ vom 29.04.2015
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