Süddeutsche Zeitung

Ausschreibung:Außer Reih und Lied

Gemeinsam Singen ist für klassische Chöre gerade unmöglich. Lieber plant der Via Nova Chor für die Zukunft.

Von Rita Argauer

Im Chor zu singen ist etwas sehr Erbauliches. Denn die menschliche Stimme wird nicht nur in der Philosophie in die Nähe der Seele gerückt. Auch in der Musik gilt sie als reinster Ausdruck. So wurden zahlreiche Instrumente historisch daran gemessen, wie nah ihr Klang dem der menschlichen Stimme kommen könne. So gesehen ist Singen als Krisenbewältigung also gar kein schlechtes Rezept. Doch der Moment, wenn Singen durch das Gemeinschaftserlebnis im Chor am schönsten werden könnte, ist leider streng untersagt. Nicht auszudenken wie viele Viren potenziell in einem Chorprobensaal herumfliegen können und dann im Konzert von der Bühne gen Publikum segeln.

Für den Münchner Via Nova Chor bedeutet das leider erst einmal Stillstand. Denn Online-Zusammenkünfte kommen für das hochprofessionelle und preisgekrönte Laien-Ensemble nicht in Frage, wie die künstlerische Leiterin und Dirigentin Kerstin Behnke erklärt. "Singen über eine der Plattformen ist nur sehr rudimentär möglich und für den Via Nova Chor nicht geeignet." Der Via Nova Chor ist auf Zeitgenössisches spezialisiert. Das bedeutet sehr komplizierte Kompositionen mit Tönen und Intervallen, die erst einmal nicht so schnell ins Ohr gehen. Da braucht es physische Nähe und genaues Hören, um solche Musik zu einer Einheit zu formen. Behnke, die den Chor seit 2017 leitet, erstellt nun Podcasts für den Chor, damit die einzelnen Sänger weiter für sich alleine proben können. "Das ist schon sehr unbefriedigend", sagt Behnke, deren Chor eigentlich in diesem Frühjahr eine Konzertreihe unter dem schmerzlich passenden Titel "Sei mir nicht fern" gesungen hätte.

Stattdessen denkt Kerstin Behnke aber nun darüber nach, einen Kompositionspreis auszuschreiben. Komponieren ist eine der wenigen Ausübungen der Kunst, die derzeit uneingeschränkt möglich ist. "Der Kompositionspreis soll eine Möglichkeit sein, freischaffende bayerische Komponistinnen und Komponisten zu unterstützen", sagt Behnke. Dazu hat sie je zwei Texte von Emerenz Meier und Christian Morgenstern ausgewählt, von denen einer ausgesucht und in einem Stück von maximal vier Minuten verarbeitet werden soll.

Gerade sucht Behnke nach Förderungen und Spenden für den Preis. "Wir könnten natürlich irgendetwas ausschreiben", sagt sie, doch jetzt, wo so vielen Künstlern die Gagen und die finanzielle Lebensgrundlage wegbricht, findet sie das nicht gut. Sie peilt um die 1000 Euro pro prämiertem Stück an, drei Stücke sollen es werden. Ein Teil des Geldes geht an den Chor für die Umsetzung, der andere an den Preisträger. Die Stücke werden dann vom Chor uraufgeführt - hoffentlich bald. Bis dahin kann man sich das Video anschauen, das Behnke mit der Musik ihres Chors für das "Arts for Spring"-Projekt der Stiftung Nantesbuch anfertigte. "Das zeigt eigentlich sehr schön, wie traurig die Situation für uns zur Zeit ist", sagt sie.

Auch Münchens großes Profi-Vokalensemble, der BR-Chor, kann im Moment nicht auftreten. In der kommenden Saison feiert der sein 75-jähriges Bestehen. Hoffentlich werden die Sänger spätestens da wieder gemeinsam mit ihrem Dirigenten Howard Arman singen können. Bis dahin heißt es zumindest für die Hörer, auf das umfassende Tonarchiv in der BR-Mediathek zurückzugreifen.

Der Via Nova Chor München hat einen eigenen Youtube-Kanal

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SZ vom 30.04.2020
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