Darf ein städtisches Theater zu einer Anti-CSU-Demo aufrufen? Nein, findet Stadtrat Manuel Pretzl, CSU, und fordert daher Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) zu "dienstaufsichtsrechtlichen Maßnahmen" gegen die Verantwortlichen der Münchner Kammerspiele auf. Es gelte eine parteipolitische Neutralitätspflicht, wettert der Fraktionschef. Die Bühne an der Maximilianstraße zählt jedoch zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs für die "Ausgehetzt"-Demonstration am Sonntag.
Die Kundgebung richtet sich explizit gegen die Politik der CSU-Granden Horst Seehofer, Markus Söder und Alexander Dobrindt, deren Konterfeis auf den Plakaten prangen. Die Münchner SPD reagiert verständnislos auf die Attacke des Bündnispartners im Rathaus: Die CSU habe einen "Tiefpunkt des demokratischen Grundverständnisses" erreicht.
Streit um Kammerspiele:Noch viel Zeit bis zum letzten Vorhang
Auch wenn Intendant Matthias Lilienthal nach Angriffen der CSU schon zur Halbzeit seinen Abschied mitteilt, will das Ensemble der Kammerspiele in seinem Sinn weitermachen.
Zu der Groß-Demo am Sonntag rufen nach Angaben der Veranstalter mehr als 130 Parteien und Organisationen auf, neben den Kammerspielen auch die Initiative "Bellevue di Monaco", die Münchner Lichterkette, "München ist bunt" sowie das ebenfalls städtische Volkstheater. Die Münchner Bühnen haben sich in den vergangenen Jahren regelmäßig gegen Ausgrenzung und für eine offene Gesellschaft engagiert, das (staatliche) Nationaltheater etwa protestierte offensiv gegen durch die Maximilianstraße ziehende Pegida-Demonstranten.
"Das ist mein Grundverständnis von Theater", sagt denn auch Kammerspiele-Intendant Matthias Lilienthal, dessen Vertrag auf Betreiben der CSU nach 2020 nicht mehr verlängert wird. Pretzl könne ja "versuchen, mich zum zweiten Mal rauszuschmeißen", lästert der Theatermann. Lilienthal findet, dass in München viel zu wenig über das Verhalten der CSU diskutiert wird. Es sei eine "Ungeheuerlichkeit", dass der ungarische Staatspräsident Viktor Orbán schon Dauergast bei der Regierungspartei sei. Die Ära Merkel sei ganz allgemein dadurch gekennzeichnet, dass kaum noch politische Debatten stattfinden. "Ich will aber eine Kultur der politischen Debatte", so der Intendant. "Ich will nicht in einer Orbánschen Republik aufwachen."
Auch beim Volkstheater, dessen Mitwirkung Pretzl offenbar übersehen hat, gilt das politische Engagement der Münchner Bühnen als wichtig. "Wir stehen drauf und dahinter", sagt Intendant Christian Stückl über den Demonstrationsaufruf. Das Grundanliegen sei richtig. Oberbürgermeister Dieter Reiter will den offiziellen CSU-Antrag nun "selbstverständlich fristgerecht" bearbeiten. Allerdings hält der SPD-Politiker offenkundig nicht viel von Maulkörben: "Die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kultur sind in einer liberalen Stadtgesellschaft wie in München ein überragend schützenswertes Gut."
Münchens SPD-Vizechef Roland Fischer findet die CSU-Attacke auf die Kammerspiele "traurig": "Noch herrscht bei uns in München ein anderes Demokratieverständnis als in Orbáns Ungarn oder Putins Russland. Das werden wir mit aller Kraft verteidigen, notfalls auch gegen die CSU." In den Augen Fischers liege es einzig und allein an den Repräsentanten der CSU, sich so zu verhalten, dass sie sich von Vorwürfen der Spaltung und eines massiven Rechtsrucks nicht angesprochen fühlen müssen. Münchens SPD-Chefin Claudia Tausend erinnert daran, dass die Kammerspiele stets bei allen großen Demonstrationen für Gleichberechtigung, Menschlichkeit und Solidarität dabei gewesen seien. Die nun geplante Demo unterscheide sich von den bisherigen Aktivitäten nicht im geringsten.