"Ausgehetzt"-Demo in München:Ja zu politischem Anstand - aber wer sind die Anständigen?

"Ausgehetzt"-Demo in München: Immerhin: Gegen Hetze sind sie alle. Die Teilnehmer der „ausgehetzt“-Demo in München und die CSU. Aber da sind noch Missverständnisse...

Immerhin: Gegen Hetze sind sie alle. Die Teilnehmer der „ausgehetzt“-Demo in München und die CSU. Aber da sind noch Missverständnisse...

(Foto: Robert Haas)

SZ-Leser werfen großenteils der CSU Scheinheiligkeit vor, manche kritisieren aber auch die Großkundgebung als zu hassbetont

"Aufstand der Mutbürger", "CSU protestiert gegen CSU-Protest", "Münchner Freiheit" (Seite Drei) und Kommentar "Die Pforten der Hölle" vom 23. Juli sowie "Pi mal Daumen" vom 24. Juli über die Berechnung der Demo-Teilnehmerzahl:

Scheinheilige CSU (I)

Die CSU weiß doch ganz genau, wie bedeutsam die Wortwahl ist, sonst hätte sie ja nicht Wortschöpfungen wie "Ankerzentrum" und "Ausschiffungsplattform" erfunden, weil das Wort "Lager" natürlich auf gar keinen Fall verwendet werden durfte. Auf der anderen Seite dann der "Asyltourist", das "Asylgehalt" und die "Anti-Abschiebungsindustrie". Diese Worte sind verhetzend, was denn sonst? Sie hetzen übrigens auch den einen Teil der Bevölkerung, der sich fürchtet oder lieber fürchten möchte statt anzupacken, gegen den Teil der Bevölkerung auf, der keine Lust hat, sich Angst machen zu lassen. Das Maß war voll, und die CSU hätte uns und sich besser die Posse von der verfolgten Unschuld erspart. So wirkt die Aussage von Herrn Söder, er werde das Touristenwort nicht mehr verwenden, doch sehr unglaubwürdig. An die Arbeit, es gibt viel zu tun: Einwanderungsgesetz verabschieden, Wohnungen bauen, Sozialämter, Jobcenter und Polizei personell und sachlich stärken und die Probleme nicht größer machen, als sie sind! So macht man gute Politik! Ulrike Capezzone, Geretsried

Anständige Kehrtwende

Ich habe das Plakat der CSU zur Demo vom 22. Juli auch gesehen - und mich sehr gefreut! "Ja zum politischen Anstand", das ist doch für die CSU, zumindest für deren Spitze, eine 180-Grad-Wende. Da haben doch unsere Proteste etwas bewirkt. Jetzt müssen wir nur noch die allerersten Schritte der CSU in die neue Richtung genau beobachten. Gerd Baumann, München

Ziemlich unanständige CSU

In den letzten Tagen habe ich immer wieder gelesen und gehört, dass die CSU wieder zu politischem Anstand zurückkehren will. Das begrüße ich sehr. Aber: Als alleinregierende Partei mit einer teuren Plakataktion gegen eine Demonstration zu protestieren, der es um eben diesen Anstand geht (und das im Falle von vorangegangen Pegida- und AfD-Veranstaltungen in Bayern nicht getan zu haben): Das ist nicht anständig.

Und weit über 25 000, friedlich und höchst anständig demonstrierende Menschen, die wirklich zum allergrößten Teil aus der Mitte der Gesellschaft kommen (junge Eltern, Rentner/-innen, Nonnen und Pfarrer, - endlich wieder - engagierte Jugendliche, Flüchtlingshelfer/-innen, Kollegen aus der Politik, Künstler/-innen, meine Freunde und auch mich) - wahlweise als "verirrte Blumenkinder" (Herr Spaenle) zu bezeichnen oder gleich komplett in die linksradikale Ecke zu stellen: Das ist auch nicht anständig.

Ich weiß nicht, wie viele mit Regierungsverantwortung betraute Mitglieder der CSU bei der "#ausgehetzt"-Demonstration vor Ort waren. Ich war es - von 13 bis 18 Uhr. Und ich habe in diesen fünf Stunden wirklich niemanden gehört, der auch nur annähernd etwas gesagt oder geschrien hätte, was CSU-Parteimitglieder uns Demonstrierenden jetzt mantraartig in allen zur Verfügung stehenden Medienkanälen vorwerfen. - Aber vielleicht klappt das mit dem Anstand ja ab morgen. Ich hoffe es. Jeden Tag aufs Neue. Verena Machnik, Berg/Höhenrain

Nie gegen Flüchtlinge gehetzt

Nun haben wir sie also hinter uns - die Demo der "Mutbürger". Ich möchte eher sagen: die Hass-Demo. Dass die vereinigte Linke hier Stimmung gegen die Politik der CSU macht, ist ihr gutes Recht. Aber ich frage mich, wie sich die SZ hier derartig einseitig einspannen lassen kann. Herr Seehofer hat nie gegen Flüchtlinge gehetzt. Er hat in einer - wie Kardinal Marx mit Recht sagt - extrem komplizierten Lage versucht, rechtsstaatliche Regeln (wieder) einzuführen. Und die Antwort der vereinigten Linken: Hassbotschaft gegen den Innenminister. So wie auf dem Demo-Plakat hat man in den Volksdemokratien "Volksfeinde" zu Freiwild gemacht. Fehlt nur noch das Fadenkreuz. Die "Botschaften" brauche ich nicht im Einzelnen zu wiederholen: "Scheiss-Nazis" war noch harmlos.

Ich kümmere mich seit Jahren um Flüchtlinge, nicht nur mit Geld, sondern mit Aufstehen in der Früh, mit Nachhilfe und so weiter, und ich kann nicht verstehen, dass die SZ sich für eine derartige Denunzierung der CSU hergibt. Dr. Wolfgang Jacobi, München

Grenzüberschreitung à la AfD

Mit ihrem "plakativen" Protest gegen die Großdemo vom 22. Juli begibt sich die CSU nun auch methodisch auf die Ebene der AfD und anderen Rechtsextremisten. Deren Vorgehen besteht immer darin, zunächst inhaltlich und verbal Grenzen des demokratischen Diskurses zu überschreiten (wie Seehofer, Söder, Dobrindt), um sich dann, wenn sich Widerstand artikuliert (hier: die Großdemo), in die Ecke des wehleidigen und unschuldigen Opfers zu begeben (hier: die unsägliche Plakataktion der CSU). Diese Methode ist seit Jahren bei der AfD zu beobachten, die immer wieder damit Themen besetzt. Man darf gespannt sein, was der CSU-Spitze als Nächstes einfällt. Und man darf gespannt sein sein, wie weit das in der CSU ja auch vorhandene liberale Bürgertum noch bereit ist, sich in die Richtung von AfD, Orban, Salvini schieben zu lassen. Udo Loose, Holzkirchen

Scheinheilige CSU (II)

Die CSU hat uns aufgefordert, "politischen Anstand" zu zeigen. Die CSU! Wir haben nicht nur politischen Anstand, wir leben ihn! Deswegen gehen wir massenhaft auf die Straße gegen Rechtspopulismus, Ausgrenzung und Scheinheiligkeit. Bundesweit. Wir sind die Guten! Heino Schomaker, Kiel

Keine Frage des Mutes

Egal, wie die Haltung des Autors zum Thema Flüchtlingspolitik ist und wie groß die Freude über die Demonstration am Königsplatz, die Überschrift "Aufstand der Mutbürger" ist lächerlich: Mut zu demonstrieren braucht es in der Türkei, in Russland und leider in vielen anderen Ländern dieser Welt, aber nicht in Deutschland - auch nicht in Bayern. Diese Überschrift ist zuviel der Ehre, auch hier wäre Achtsamkeit mit Worten angebracht. Angela Erzberger, München

Königsplatz überfüllt: Waren es bis zu 100 000 Demonstranten?

Nach Großveranstaltungen läuft immer dasselbe, lächerliche Spiel: Die Veranstalter nennen eine Teilnehmerzahl, die Polizei mindestens 50 Prozent weniger. So auch bei der Demonstration "Ausgehetzt" in München. Die Zahlen lauteten diesmal 50 000 und 25 000. Dabei hätte man ziemlich einfach eine genauere Zahl ermitteln können: Der Königsplatz war überfüllt. Mit der Annahme von vier Personen pro Quadratmeter liegt man sicher nicht ganz falsch. Der Königsplatz hat eine Fläche von 20 000 Quadratmetern. Damit ergeben sich schon 80 000 Teilnehmer/-innen. Nun tummelten sich aber auch in den Grünanlagen und auf den Straßen um den Königsplatz noch sehr viele Menschen, und der Demonstrationszug vom Goetheplatz hatte den Königsplatz noch nicht ganz erreicht, als dieser schon überfüllt war. Mit bis zu 100 000 Teilnehmern liegt man sicher näher an der Wirklichkeit. Die Veranstalter waren mit ihren 50 000 sehr bescheiden, die Polizei lag mit ihren 25 000 jenseits von Gut und Böse. Werner Deiglmayr, Gilching

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