Ausgehen in München:Du bist Atomic!

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Ein Wohnzimmer mit Türsteher: Münchens Indie- und Sixties-Hauptquartier, das Atomic Café, feiert den zehnten Geburtstag.

Klaus Raab

Es gibt die Vertreter der Wohnzimmer-These: Sie sagen, das Atomic Café sei über die gemütliche Atmosphäre definiert, die es ausstrahle. Es gibt die Vertreter der Türsteher-These: Sie finden, es sei darüber definiert, dass man an der Tür leicht aussortiert werden könne. Und es gibt die Vertreter der Gewohnheits-These, die sagen, der Club zeichne sich dadurch aus, dass seit zehn Jahren immer alles gleich sei.

Pete Doherty bei seinem Geheimkonzert vor dem Glitzervorhang im Atomic Café (Foto: Foto: Maximilian Sterz)

Es gibt jedoch ein bis heute gelegentlich wiederbelebtes Ritual, das bezeichnend dafür ist, dass alle drei Thesen zusammengehören. Das Ritual wurde stets in der Nacht von Freitag auf Samstag ausgeübt, und wie der Großteil der Musik, die in diesen Nächten lief, kam es aus England.

Es begann spät, wenn Türsteher Dirk für zehn Minuten die schwere Eingangstür verlassen konnte, weil der Club - wie oft freitags - voll war und ohnehin kein Gast mehr hereinkommen konnte.

Marc Liebscher, Sportfreunde-Stiller-Manager und als langjähriger Resident-DJ im Atomic ein stilprägender Mann, legte dann ,,Sit Down'' von James auf. Und alle, die eben noch wild mit den Armen rudernd, Luftgitarre spielend oder tanzend herumgehopst waren, setzten sich, die Knie angewinkelt, auf die Tanzfläche. Türsteher Dirk saß mittendrin und sah aus, als hätte er wirklich Spaß an seiner Arbeit.

Schwer ist ein Clubabend vorstellbar, bei dem das Publikum in größerem Zusammengehörigkeitsgefühl miteinander verbunden ist als das Atomic-Publikum während dieses Rituals. In diesen Minuten des Sitzens fand unter dem Deckmantel des öffentlichen Clubabends ein privates Beisammensein von 400 Gästen statt.

Nicht nur aufgrund der warmen Rottöne, der gemütlichen Ledersofas, der Lavalampen und der runden Sixties-Formen, sondern gerade auch dieser Atmosphäre wegen kann das Atomic Café als Wohnzimmer bezeichnet werden.

Ihretwegen aber konnte und kann der Türsteher nicht immer allen Einlass in den Club gewähren: Damit das Atomic Café ein Wohnzimmer sein kann, braucht es Türsteher, die eine Auswahl an Gästen treffen. Und indem sie die Gäste klassifizieren, klassifizieren sie auch den Club.

Es gab deshalb immer auch Gäste, die im Atomic Café statt Zugehörigkeit auf Dauer stärker als anderswo Gruppenzwang empfanden. Wer einmal versucht hat, sich während des ,,Sit Down''-Rituals nicht hinzusetzen, weiß, wovon die Rede ist. So machten die einen Gäste um fünf Uhr morgens eine Polonaise durch die Innenstadt, grölten dabei die Zeile ,,free to do whatever'' der britischen Band Oasis und hielten sich für die unangepasstesten Menschen der Welt.

Andere dagegen fanden, dass kaum irgendwo in jenem Milieu, in dem als beliebte Selbstbeschreibung das Wort Underground dient, die Unfreiheit, der Konformitätsdruck und das Bedürfnis nach Gewohnheit größer sind als im Atomic Café.

Wenn man also fragt, was Münchens - vielleicht sogar Deutschlands - Indierock-Hauptquartier ausmacht, dann ist es wohl die Tatsache, dass es einen Grundanspruch an den Gast stellt: Du bist Atomic!

Wer nicht Atomic ist, wird sich irgendwann abwenden; doch wer Atomic ist, hat eine Heimat gefunden, bis - was im Drei- bis Vierjahreszyklus passiert - die nächste Generation von Stammgästen im Club steht, ohne dass der sich dafür verändern würde. Denn, und das war immer so, das Atomic Café macht den Gast und nicht umgekehrt - das Ergebnis der Gesamtkomposition von Christian Heine und Roland Schunk, den Betreibern.

Von Mitte 1996 an hatten Heine, heute 41, und Schunk, heute 36, freitags unter dem Namen ,,Atomic Café'' in der Wunderbar in der Hochbrückenstraße Beat, Garagen- und Indierock und Sixties-Soul aufgelegt, die Musik, die auch ihren eigenen Club auszeichnet, seit sie ihn in der nahen Neuturmstraße 5 eröffneten. Das war am 11. Januar 1997.

Der erste Flyer zeigte eine Kaffeetasse mit einem Atompilz darin, die Band Stereo Total spielte, und der Laden war schon am ersten Abend voll. Heine und Schunk hatten mit dem Atomic Café ein für München damals wirklich neues Angebot geschaffen. Und dass der Club heute noch ist wie damals, liegt daran, dass sie alle Stilfragen schon vor der Eröffnung endgültig und bis heute nicht verhandelbar beantwortet hatten.

Von der Optik über die Musikauswahl und die für sie oft teure Idee, Live-Konzerte mit anschließenden Partys zu kombinieren, bis zum Umgang mit Gästen und Personal hatten sie den Club penibel durchkonzipiert. ,,Manche finden das Atomic Café ganz schrecklich'', sagt Roland Schunk, ,,manche finden es ganz toll, aber es hat noch nie jemand angezweifelt, dass es in sich stimmig ist.''

Es ist so stimmig, dass es sie vor fünf Jahren fast die Existenz gekostet hätte. Denn zur Stimmigkeit gehört für Heine und Schunk auch, dass sich kein Gast über den Tisch gezogen fühlt. ,,Wir finden es stylisch, wenn der Barmann beim Mixen eines Drinks eine Flasche in die Hand nimmt und nicht nur auf einen Knopf an einer Zapfanlage drückt'', sagt Christian Heine.

So schenkten die Barleute stets eher zu viel Alkohol als zu wenig aus, und Heine und Schunk wurden beschuldigt, Millionen unterschlagen zu haben. Eine Steuernachzahlung von eineinhalb Millionen Euro wurde verlangt - was erst nach langem Ringen zurückgewiesen werden konnte.

,,Die Vorstellung gab es nicht, dass es einen Club gibt, in dem zu gut eingeschenkt wird'', sagt Schunk. Doch tatsächlich gehört zur Philosophie des Atomic Cafés auch, dass die enge Verbindung zwischen Club und Gästen auch vonseiten des Clubs wirklich so gemeint ist. Von morgen an feiern alle zusammen, dass diese Verbindung nun seit genau zehn Jahren besteht; dass das Atomic Café ein Wohnzimmer mit Türstehern ist; und auch, dass das so bleibt.

© SZ vom 8.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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