Die Größenordnung, in der Stadtwerke-Chef Florian Bieberbach denkt, sind Milliarden - seien es Euro oder Kilowattstunden. Milliardensummen müssen die Stadtwerke (SWM) investieren, um ihre ehrgeizigen Ziele zu erreichen. Das Hauptziel: Die SWM wollen so große Mengen grünen Strom mit ihren Windparks, Solaranlagen und Wasserturbinen erzeugen, dass rein rechnerisch im Jahre 2025 der gesamte Strom, den München mit seinen Haushalten und Unternehmen, seinen U- und Trambahnen und den öffentlichen Gebäuden verbraucht, regenerativ erzeugt wird: 7,5 Milliarden Kilowattstunden.
Am 23. Juli, wenn der Hochsee-Windpark Sandbank offiziell ans Netz geht, haben die SWM ein wichtiges Etappenziel erreicht, und das ein Jahr früher als erwartet: "Mit Sandbank und den anderen bereits realisierten Anlagen der Ausbauoffensive Erneuerbare Energien können die SWM schon mehr als die Hälfte, 56 Prozent, des Münchner Stromverbrauchs, mit Ökostrom decken", sagt Florian Bieberbach. Bereits seit zwei Jahren produzieren sie rechnerisch so viel grünen Strom, wie die privaten Haushalte und die U-Bahnen benötigen. Und es deutet sich eine weitere Erfolgsmeldung an: Die SWM seien zuversichtlich, nicht die ursprünglich vom Stadtrat einkalkulierten neun Milliarden Euro ausgeben zu müssen, sondern unter dieser Marke zu bleiben, heißt es. Gekostet haben die bisherigen Projekte etwa drei Milliarden Euro - im vergangenen Geschäftsjahr haben diese etwa 130 Millionen Euro zum Ergebnis vor Steuern beigetragen.
Nicht nur in München und für München, sondern über ganz Europa verstreut säen die SWM ihre Projekte - und ernten Strom. Den speisen sie in den Stromsee ein, er wird dann gehandelt und sorgt für Einnahmen, aus denen neue Investitionen gestemmt werden können. So zumindest der Plan. Lange ging den SWM das "Projekt 2025" sehr glatt von der Hand, und der Betriebswirt Florian Bieberbach konnte sich zu Beginn seiner Amtszeit sehr oft an Projekten und Erfolgsmeldungen erfreuen, die noch unter seinem Vorgänger angestoßen worden waren. Doch spätestens 2015 fiel die Bilanz in einem deutlich schwieriger gewordenen Umfeld für die gesamte Energiebranche düster aus.
Bieberbach warnte die Stadt, die Eigentümerin der GmbH, vor kargen Jahren, in denen die SWM Probleme haben könnten, die üblichen 100 Millionen Euro Gewinn an die Kämmerei zu überweisen. 2015 fiel der Beitrag zum Haushalt aus. Die Energiepreise waren eingebrochen. Die Zinsen näherten sich immer mehr der Nulllinie und manche Rechnung ging für die SWM nicht mehr auf. Bieberbach und sein Team mussten ihre Bilanzerwartungen deutlich nach unten korrigieren, verzeichneten ein dickes Minus von fast 540 Millionen Euro, wo noch fünf Jahre zuvor ein Bilanzgewinn von etwa 900 Millionen Euro stand.
Schlechte Zahlen gerade zu einem Zeitpunkt, da die SWM eigentlich Erfolgsmeldungen hatten verkünden wollen: Einige der Großprojekte auf See und an Land gingen ans Netz: Der Windpark Gwynt y Mor vor der walisischen Küste, Global Tech I in der Nordsee vor Bremerhaven - viele Großvorhaben, an denen die Stadtwerke gemeinsam mit weit größeren Konzernen wie Siemens oder RWE die deutsche Energiewende vorantrieben. Doch der grüne, nicht zu Marktpreisen, sondern zu besseren Konditionen vergütete Strom sorgte nun nicht für den gewünschten Glanz, sondern musste den SWM helfen, die Schläge für den Energiesektor abzudämpfen. Branchengrößen wie Eon oder Vattenfall mussten dagegen katastrophale Bilanzen veröffentlichen.
Das, was Bieberbach und seine etwa 20-köpfige Ausbau-Mannschaft auf dem Energiesektor treiben, hat seit vielen Jahren kaum noch etwas mit dem zu tun, was man sich gemeinhin unter einem kommunalen Versorger vorstellt. Zwar sind auch die Münchner Stadtwerke dafür zuständig, dass Wasser aus dem Hahn fließt, dass Schwimmbäder öffnen und U-Bahnen fahren können. Doch zugleich haben sie sich zu einem der größeren deutschen Energieversorger entwickelt, der bei zahlreichen großen Projekten beteiligt ist, vor allem bei der Windkraft auf See, an Küsten und auf Land. Anfangs, so berichtete Bieberbach einmal, sei man belächelt worden, unterschätzt.
Die Stadtwerke konnte das nutzen, um den Konzern früher und wagemutiger auf grüne Energiegewinnung umzustellen als andere. Inzwischen ist es schwieriger geworden, geeignete Projekte zu finden, weil es mehr potenzielle Investoren gibt, nicht nur aus der Energiebranche selbst, in der sich von lokalen Stadtwerken bis zum Großkonzern alle um die renditeträchtigsten Projekte balgen. Konkurrenz kommt auch von anderer Seite: von Anlegern, von Rentenfonds, Versicherern, die bei einem Windpark möglicherweise eine sichereres Geschäft wittern als bei anderen Investments, die sich über Zinsen rechnen sollen. Diese Wettbewerber kalkulieren wagemutiger - zum Beispiel bei jenem dänischen Windpark, an dem sich die SWM vor zwei Jahren mit zwei Partnern beteiligen wollten. Doch daraus wurde nichts: Das politische Umfeld für Windkraftanlagen in Dänemark wurde plötzlich unsicher, damit auch die ökonomischen Bedingungen. Also zogen die SWM und ihre Partner sich zurück. Der Gewinner habe am Ende mit einem aus SWM-Sicht "völlig unrentablen Gebot" den Zuschlag bekommen.
Gelernt haben die SWM dabei aus der jüngsten Vergangenheit. Investitionen in noch junge Technologien sind schwieriger kalkulierbar als andere. Projekte verzögern sich aus technischen Gründen, etwa bei Global Tech I, bei dem ein Partner große Probleme hatte, den Hochsee-Strom ins Netz zu bringen. Und auch die Politik kann Entscheidungen treffen, die Investoren das Geschäft verhageln. Letzteres passierte in Spanien, wo der Staat plötzlich versprochenes Steuergeld wieder strich. Die SWM und ihre Geschäftspartner des Solarthermie-Kraftwerks Andasol klagen dagegen, im August wird es laut SWM dazu ein Hearing in Paris geben, danach sei eine Entscheidung "zeitnah" zu erwarten. Die SWM mussten etwa 100 Millionen Euro abschreiben, weil das Kraftwerk nun zwar den erwarteten Strom, aber nicht den einkalkulierten finanziellen Ertrag abwirft. Im Erfolgsfall könnten sie sich den entgangenen Betrag zurückholen.
Das entspricht etwa der Hälfte jener Summe, welche die SWM einkalkulieren müssen, um die Vergangenheit abzuwickeln: Wenn der Atommeiler Isar II einmal vom Netz geht, fällt nicht nur einer der zuverlässigsten bisherigen Stromlieferanten für den Großraum München weg. Dann muss das gesamte Areal rückgebaut und müssen die Brennstäbe entsorgt werden, wovon ein Viertel die SWM und drei Viertel Eon zahlen muss.
Auch ein Engagement im schwedischen Sidensjö belastet die Stadtwerke. Der dortige Windpark sollte eine Rendite von 4,5 Prozent erzielen, tatsächlich mussten die SWM als Minderheitseigner kürzlich 72 Millionen Euro Eigenkapital zuschießen, damit das Gemeinschaftsunternehmen nicht zahlungsunfähig wird. Geld, das nun fehlt, um neue Projekte anzugehen. Derzeit sind die SWM mit 2,2 Milliarden Euro verschuldet, ein Drittel davon ist laut Geschäftsbericht variabel verzinst und über sogenannte Zinsswaps abgesichert. Das haben viele Unternehmen so gehandhabt - und viele wurden dabei von ihren Banken schlecht beraten. Auch die SWM klagen derzeit vor dem Landgericht Frankfurt am Main gegen Credit Suisse. Es geht um einen Schaden von 161 Millionen Euro. Verhandlungstermine sind bis weit in den Herbst angesetzt, ein Urteil ist laut Gerichtssprecher nicht vor Jahresende zu erwarten. Eine ähnliche Auseinandersetzung mit der japanischen Nomura-Bank endete im 2014 mit einem Vergleich.
Kritik an der Investitionsstrategie der SWM bringt vor allem einer an: FDP-Stadtrat Michael Mattar. Er sieht in vielen Projekten ein zu hohes Risiko für ein Unternehmen, das der öffentlichen Hand gehört. Kritik übte im Herbst 2015 auch das städtische Revisionsamt. Die SWM hätten sich zu einem für die Stadträte kaum mehr überschaubaren Geflecht aus Beteiligungen und Töchtern entwickelt. Politische Kontrolle sei so nur schwer möglich, gerade bei den zahlreichen Minderheitsbeteiligungen. Die SWM sehen wenig Substanz für diese Kritik. Sie verweisen auf ein "umfangreiches Berichtswesen" für den Aufsichtsrat und den Stadtrat. Man habe jedoch reagiert und dieses noch weiter verbessert.