Im Streit um den Ausbau der Münchner S-Bahn-Stammstrecke will Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) nun "einen Schnitt machen" und sich von den Plänen für einen zweiten Tunnel bis auf weiteres verabschieden. Im Landtag kündigte Seehofer an, die Regierung werde bis nächste Woche über schnell umsetzbare Alternativen zur Tunnellösung beraten.
Chancen zur Einigung mit seinem Herausforderer bei der Landtagswahl, Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), über die umstrittene Vorfinanzierung sieht Seehofer nicht: "Ich erlebe jetzt seit Monaten, dass ständig spitzfindig neue Bedingungen und Hürden aufgebaut werden." Es werde "immer wieder gedreht, gedeichselt und nachgeschoben", so Seehofer. "Dieses Theater müssen wir beenden."
Bayern-SPD-Chef Florian Pronold nahm Ude in Schutz. Um "vom eigenen Versagen abzulenken, bellt Seehofer wie ein wild gewordener Rauhaardackel", schimpfte Pronold. Zuständig für Ausbau und Betrieb der S-Bahn sei die schwarz-gelbe Staatsregierung. "Seit 15 Jahren verspricht die CSU den geplagten Pendlern die zweite Stammstrecke." Seehofer wolle nun Ude den "schwarzen Peter" zustecken.
Der OB hatte zuvor die auch von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verfochtene Lösung definitiv abgelehnt, Stadt und Land sollten gemeinsam die noch bestehende Finanzlücke von 700 Millionen Euro durch eine Vorfinanzierung schließen. "Ich bedauere das", sagte Seehofer. Anders als andere Regionen sei die Landeshauptstadt "seit einiger Zeit in keinem Bereich zu einer kreativen Gemeinschaftsleistung bereit".
Münchens SPD-Chef Hans-Ulrich Pfaffmann entgegnete, Seehofer fordere "aus parteitaktischen Gründen" einerseits Geld von der Stadt, verteile andererseits "Millionen für neue Konzertsäle".
Auch die FDP distanziert sich
Mit seinen Aussagen setzte sich Seehofer auch vom zuständigen Fachminister Martin Zeil (FDP) ab. Der Vizeregierungschef richtete zwar ebenfalls scharfe Angriffe gegen Ude, plädierte aber dafür, die Planungen für die zweite S-Bahn-Röhre fortzuführen. "Wir haben zwölf Jahre lang alle Alternativen ausgeleuchtet", sagte Zeil.
Es gebe zwar einzelne Projekte, mit denen sich das S-Bahn-System verbessern lasse, aber keine Alternative zum Tunnel, um sämtliche Probleme zu lösen. Deswegen, so Zeil, könne man nun nicht "mit leichter Hand" die Pläne "einfach in den Mülleimer schmeißen." Das sei "nicht verantwortbar".
Zeil griff die schwarz-gelbe Berliner Koalition scharf an, weil sie den Nahverkehr in München und anderswo vernachlässige. "Ich verstehe auch die Bundesregierung nicht", sagte Zeil: "Wir reden von Klimaschutz, wir reden von Energiewende, und wir lassen zu, in Zeiten, wo wir Milliarden bereitstellen für europäische Rettungsschirme, dass die Nahverkehrssysteme in unseren Ballungsräumen kollabieren."
Grünen-Fraktionschef Martin Runge gab Seehofer wie Ude gleichermaßen die Schuld am Scheitern. So habe auch Rot-Grün im Rathaus durch "das verdusselte Festhalten am zweiten Tunnel" dafür gesorgt, dass zehn Jahre Planungszeit und 70 Millionen Euro Planungskosten vergeudet wurden.