Es besteht Konsens darüber, dass Fußgängerzonen nützlich, aber hässlich sind. Den Einheimischen bieten sie geballte Einkaufsmöglichkeiten; für viele Touristen sind sie das, was der Amerikaner, der stets das sucht, was er kennt, "a home away from home" nennt. Weil es in den meisten deutschen (und mittlerweile auch anderen europäischen) Städten sehr ähnliche Fußgängerzonen mit den gleichen Läden von denselben Ketten und Herstellern gibt, ist es fast egal, ob man in Hamburg, Berlin oder München flaniert und einkauft. Man sieht überall das Gleiche, es kostet das Gleiche, es riecht sogar genau so.
Nun ist der Buchhändler Hugendubel nicht unbedingt ein Symbol für größeren Individualismus in der Fußgängerzone. Der Laden am Stachus und mehr noch der am Marienplatz sind Buchkaufhäuser mit einem erheblichen Anteil an Schnickschnack, sogenannter Non-Books-Ware. Sie galten, nicht ganz zu Unrecht, früher als abträglich für den klassischen Buchhandel, den wiederum der Bücherfreund liebt. Er mag diese kleinen Läden, in denen es fast so aussieht wie in Fritz Göttlers Büro, und in denen man mit einer Buchhändlerin reden kann, wenn man will, aber in Ruhe gelassen wird, wenn man nicht will. Wer viel liest, redet nicht gern viel.
Mittlerweile haben die digitalen Ungeheuer aus Amazonien die Buchkaufhäuser an der Gurgel. Weltbild röchelt nur noch, Hugendubel ist in Mitleidenschaft gezogen und stellt fest, dass man zu viele Filialen in zu teuren Gegenden unterhält. Der Marienplatz ist eine sehr teure Gegend und wahrscheinlich ist man bei Hugendubel nicht unfroh, von dort wegzugehen. Die anständige Kapitalisierung einer Fußgängerzonenimmobilie ist ihren Besitzern allemal wichtiger als die Lage einer, wenn auch großen Buchhandlung, einer normalen Stadtwirtschaft oder gar einer Zeitung. Was sich verlagern lässt, wird verlagert. Was sich nicht verlagern lässt, wird zugemacht.

Exklusiv Schließung der Buchhändler-Filiale:Aus für Hugendubel am Marienplatz
Einst war es das erste Buchkaufhaus Deutschlands. Im Frühjahr 2016 wird Hugendubel den Marienplatz verlassen. Der Mietvertrag läuft aus und der Eigentümer hat für das Gebäude andere Pläne.
Nun hat aber selbst ein Buchkaufhaus in einer Fußgängerzone etwas Besonderes. Es beherbergt eben nicht irgendwelche flachen Piepsgeräte, spanische Flatterhosen oder dieterbohlenhaft bestickte Sweatshirts, die einem von sehr seltsam gewandeten Menschen angeboten werden ("ey, kann ich dir helfen?"). Es geht um Bücher, jene Kulturgüter, die einen im Kopf verreisen lassen, ohne dass man auf einen Bildschirm glotzt, weil die Sätze und Absätze selbst Bilder machen. Bücher sind Seelenentblößer, Lehrer, Leidenschaftspakete oder auch Großärgernisse. Bücher sind Leben, und weil eine Buchhandlung in diesem Sinne ein Lebenshaus ist, geht man gerne dahin. Selbst in einer Fußgängerzone. Nein: gerade in einer Fußgängerzone. Da nämlich sind Lebenshäuser sehr selten.
Ein Buchkaufhaus mit Woody-Allen-Figuren
In Berlin hat das Medienkaufhaus Dussmann so eine Funktion. Es ist einerseits ein Kommerzkasten, aber andererseits läuft man durch, bleibt hier stehen, schmökert dort, hört in eine CD rein (CDs sind nicht tot!) und schon ist eine Dreiviertelstunde vergangen.
Viele, die reisen und mit Büchern leben, haben auswärts solche Plätze. In London gibt es Foyles, seit 1906 in der Charing Cross Road. Foyles war die Buchhandlung des Empire, was sich bis heute in wunderbaren Abteilungen für Geschichte, Reisen oder Ethnologie niederschlägt. Es ist gut, dass Foyles, anders als das Empire, nicht zusammengebrochen ist.
Und dann natürlich The Strand in New York, am Broadway, Ecke 12. Straße Ost. Auch irgendwie ein Buchkaufhaus, aber ein ehrwürdiges, chaotisches, übervolles Kaufhaus mit neuen, nicht mehr ganz neuen und fast alten Büchern. Die Regale sind in herrlicher Weise unübersichtlich. Etliche der Angestellten sind Woody-Allen-Figuren. Im Strand lernt man Menschen kennen und verliebt sich in Bücher. Manchmal auch umgekehrt.

Digitalisierung:Wie der Buchhandel sich retten will
Krimi-Festivals, Jazz-Spezialisierung und kompetente Beratung: Buchhändler überlegen, wie sie die Herausforderung der Digitalisierung und die "Shades-of-Grey-Delle" überleben. Wem es gelingt, dem schreibt schon mal Donna Leon ins Gästebuch.
Nein, Hugendubel am Marienplatz ist nicht Foyles und schon gar nicht The Strand. Aber er - es heißt zwar die Buchhandlung, aber der Hugendubel - bietet einem Asyl, wenn man vor dem Regen flüchtet oder allein sein will unter Menschen. Er zeigt einem viel Schreckliches - all die Ratgeber-Bücher und jene Dinger, in denen Alfred Besserwisser erklärt, warum die Politiker, die Banker, die Beamten, die Journalisten Idioten, Gauner und Volksverdummer sind.
Aber es gibt eben auch jene große Vielfalt an Romanen, Biografien, Bildbänden, Essaysammlungen, Sachbüchern, die in Deutschland erstaunlicherweise immer noch so groß und differenziert ist wie in kaum einem anderen Land der Welt. Doch, ja, Deutschland ist Leseland, und dazu gehören Buchläden.
Glücklicherweise gibt es in München immer noch viele kleine Buchläden, in denen vielleicht sogar der Hugendubel-Rückzug vom Marienplatz goutiert wird. Was, andererseits, bleibt dann aber noch in der Fußgängerzone jenseits dessen, was alle anziehen, alle essen oder alle dauernd in der Hand halten?
Dreißig Jahre lang war der Hugendubel ein Treffpunkt im Zentrum. Ein selbstverständlicher, mäßig hübscher, sehr populärer Laden, eine Adresse und ein Symbol. Ein Lebenshaus.