Süddeutsche Zeitung

Aus für Gepäckträger am Hauptbahnhof:Dienstschluss in der Bahnhofshalle

Von 2008 an fanden ehemals Wohnungslose als Gepäckträger im Hauptbahnhof einen Weg zurück in ein geregeltes Leben. Doch im Oktober muss der Männerfürsorgeverein den Service einstellen, weil das Projekt nicht mehr gefördert wird.

Sven Loerzer

Schon von weitem sind sie gut zu erkennen, die Männer in ihren leuchtend gelben Westen mit der Aufschrift "Gepäckträgerservice" und der blauen Kappe auf dem Kopf. Zu ihren Stammkunden gehören Schauspieler und Geschäftsleute, aber auch viele ältere Menschen. Doch die bei den Reisenden beliebten Dienstmänner am Münchner Hauptbahnhof müssen im Oktober den Service aufgeben. Der Katholische Männerfürsorgeverein (KMFV) stellt das Beschäftigungsprojekt ein, das neun ehemals wohnungslosen Männern Arbeit gab.

Ursache sei, dass die bisherige Form der Finanzierung, die hauptsächlich das Jobcenter leistete, ausläuft. Eine Folge der Reform der Förderungsinstrumente für Langzeitarbeitslose im vergangenen Jahr, sagt KMFV-Abteilungsleiter Thomas Ballweg. Nach den strukturellen Veränderungen und finanziellen Kürzungen durch den Bund gebe es keine Finanzierungsgrundlage mehr. Der Männerfürsorgeverein bemüht sich darum, den Betroffenen einen Anschlussjob zu verschaffen, doch dies gestaltet sich schwierig.

Peter Ulbricht, 49, hat es geschafft: Er war seit 2008 von Anfang an dabei und bekommt nun eine Stelle in einem Wertstoffhof. In zwei Schichten, von 6 bis 14.30 und 12 bis 20.30 Uhr, war er mit seinen acht Kollegen am Bahnhof im Einsatz - kein leichter Job, nicht nur wegen der Schlepperei. "Im Sommer ist es in der Bahnhofshalle zu heiß, im Winter zu kalt", sagt Ulbricht. Bis zu zwei Gepäckstücke kosten 2,50 Euro, jedes weitere 1,20 Euro.

"Wir wollten ein soziales Angebot haben, das offen ist für alle", erklärt Ballweg. Etwa 5500 Reisende nutzten den Service im vergangenen Jahr, darunter 1000 Stammkunden, unter ihnen der Schauspieler Thomas Fritsch, der sich immer anmeldete. Ulbricht schätzte den persönlichen Kontakt. "Manche Kunden sieht man drei bis fünf Mal im Jahr. Da entstehen kleine zwischenmenschliche Beziehungen." Reisegruppen bis zu 40 Personen nahmen den Dienst in Anspruch, dann mussten alle Kollegen zusammen helfen, so auch beim König von Tonga, der mit 30 Koffern anreiste.

Für die ehemals Wohnungslosen eröffnete das Projekt eine Chance, wieder ins Arbeitsleben einzusteigen. Ulbricht war lange arbeitslos gewesen und hatte ein knappes Jahr lang auf der Straße gelebt, bevor er 2006 in ein Heim des Katholischen Männerfürsorgevereins zog. 2008 bekam er eine Wohnung und die Arbeit: "Mein Leben hat sich dadurch wieder zum Positiven geändert", bekräftigt er, und dabei soll es auch bleiben: "Ich brauche Arbeit."

Etwa 20.000 Euro pro Arbeitsstelle betragen die Zuschüsse, die bisher überwiegend vom Jobcenter kamen und zu einem geringeren Teil vom Referat für Arbeit und Wirtschaft. Die Stadt finanziert außerdem über das Münchner Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramm die Projektleitung und einen Sozialpädagogen in Teilzeit. Räume hat die Bahn kostenlos überlassen. Die Erträge flossen in die Ausstattung. Rund 80.000 Euro hat der KMFV in den vier Jahren zusätzlich an Eigenmitteln in das Projekt gesteckt, sagt Ballweg. Man habe mit der Bahn zusammen nach Lösungen gesucht, aber sie könne nach dem Auslaufen der bisherigen Finanzierung nicht einsteigen.

Das Jobcenter habe ein neues Förderungsinstrument angeboten, erklärt Jobcenter-Sprecher Felix Magin: "Wir hatten ein großes Interesse daran, diese Maßnahme aufrechtzuerhalten." Unter der neuen Förderung hätte es aber wohl allenfalls zwei bis drei Stellen gegeben, erwidert Ballweg. Das sei aber zu wenig für den Dienst.

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SZ vom 16.08.2012/mane
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