Süddeutsche Zeitung

Auktion:Zwei Mackes auf einen Streich

Fast 100 Jahre war es im Familienbesitz, jetzt wird das Gemälde "Mädchen mit blauen Vögeln" des berühmten expressionistischen Malers bei Ketterer Kunst versteigert - und offenbart ein Geheimnis.

Von Evelyn Vogel

Der Wald leuchtet in Grün- und Gelbtönen, Baumstämme recken sich lilafarben daraus hervor, während sich im Vordergrund ein Mädchen vorsichtig zwei großen, storchenähnlichen Vögeln in Blau nähert. Fast scheint sie in ein inniges Tête-à-Tête mit einem der beiden versunken zu sein. Es ist ein wahrer Paradiesgarten, den August Macke im Sommer 1914 da malte. Ursprünglich wohl unter dem Titel "Kind mit blauen Vögeln", inzwischen aber verzeichnet und bekannt als "Mädchen mit blauen Vögeln". Es ist eines der letzten Werke von August Macke, der Anfang des Ersten Weltkriegs eingezogen wurde und wenige Wochen später im Alter von nur 27 Jahren fiel.

Zwei bis drei Millionen Euro - so viel soll der Macke bringen, der Anfang Juni von Ketterer in München versteigert wird. Vergleichbare Werke befinden sich heute im Kunstmuseum Bonn, im Museum Ludwig in Köln, im Museum of Modern Art in New York und im St. Louis Art Museum. "Ein vergleichbares museales Werk von August Macke wurde in den letzten 20 Jahren nur einmal auf dem internationalen Auktionsmarkt angeboten", erklärt Nicola Keglevich von Ketterer Kunst. "Und wir wissen, dass die höchsten Zuschläge für Gemälde Mackes aus dieser Schaffensperiode stammen. Wir erwarten deshalb, dass August Macke der Auktionshöhepunkt 2022 wird."

Das Gemälde "Marc in Tunis" von Macke wurde für etwa 4,4 Millionen Euro versteigert

Tatsächlich wurden Mackes Werke laut der Kunstmarktplattform artprice.com in den zurückliegenden Jahren zwischen einer und zwei Millionen gehandelt. Den bislang höchsten Zuschlag für einen Macke erzielte Christie's im Jahr 2000: Damals wurde das Gemälde "Marc in Tunis", das ebenfalls 1914 entstanden war, für etwa 4,4 Millionen Euro versteigert. Dass die zwei bis drei Millionen Euro, die sich Ketterer für das Gemälde "Mädchen mit blauen Vögeln" erhofft, vermutlich nicht zu niedrig geschätzt sind, hat aber mehrere Gründe, wie Auktionator Robert Ketterer betont.

Da ist natürlich die Tatsache, dass es eines seiner letzten Werke war. Aber das Jahr 1914 war auch eines der künstlerisch bedeutsamsten Jahre im Schaffen August Mackes. Gerade war er von der Tunis-Reise mit Paul Klee und Louis Moilliet zurückgekehrt. Den Kopf voller Farben, Formen und Licht, die er auf die Leinwand bringen wollte. "Es war, als arbeite er in einem Rausch, einem Fieber, um noch möglichst viel von dem zu gestalten, was er sich als Ziel gesetzt hatte", schrieb Mackes Ehefrau Elisabeth, die sich später systematisch um den Nachlass ihres Mannes kümmerte, in ihren 1962 erschienen Erinnerungen. Schon 1945, als sie es in der Ausstellung "Deutsche Kunst unserer Zeit" wiedergesehen hatte, hatte sie in ihrem Tagebuch notiert: "'Kind mit blauen Vögeln' allein an einer Wand, ein Ruhepunkt, von dem ein Leuchten und Glanz ausging. Welch eine Traumwelt, einem Kindheitsparadies gleich, dem unsere immerwährende Sehnsucht gilt."

Nicht nur der kunsthistorische Rang des Werkes könnte für den erhofft hohen Zuschlag verantwortlich sein. Auch die lückenlose Provenienz dürfte dazu beitragen. Bis 1928 blieb das Bild im Nachlass des Künstlers. Beinahe 100 Jahre war "Mädchen mit blauen Vögeln" dann in Privatbesitz der Familie des Krefelder Seidenfabrikanten Erich Raemisch, der ein großer Sammler moderner Kunst war. Ein anderes Detail macht das "Mädchen mit blauen Vögeln" im Wortsinn doppelt interessant: Auf der nur blass übertünchten Rückseite, auf der auch groß die Signatur und das Entstehungsjahr des Bildes "Mädchen mit blauen Vögeln" notiert ist, ist Mackes Komposition "Drei Frauen am Tisch" aus dem Jahr 1912, mit Elisabeth Macke auf der linken Seite, gut zu erkennen. Was Robert Ketterer zu der Bemerkung veranlasste: "Wer dieses Bild kauft, kauft nicht nur einen Macke, er kriegt auch einen geschenkt."

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