Süddeutsche Zeitung

Auftaktveranstaltung:"Gewaltige Marktmacht"

Der neue Ernährungsrat stellt sich im Alten Rathaus vor

Von Franz Kotteder

Über gutes und richtiges Essen kann man reden, bis der Magen knurrt, manchmal auch ein bisschen länger. Weil das so ist, verkürzte der neue Münchner Ernährungsrat seine Auftaktveranstaltung im Alten Rathaus am Mittwochabend nach zwei Stunden einfach um den letzten Programmpunkt. Die vorgesehenen Videobotschaften, so Moderatorin Agnes Streber, könne man sich ja auch auf der Website www.ernaehrungsrat-muenchen.de ansehen. Das Büffet aus nachhaltigen Bio-Schnittchen war damit eröffnet.

Zuvor hatte unter anderem Albrecht von Schultzendorff als Vorsitzender die Ziele des Ernährungsrats vorgestellt. Fördern will man "ein resilientes, gerechtes und gemeinwohlorientiertes Ernährungssystem". Saisonale und regionale Lebensmittel aus fairer und ökologischer sowie nachhaltiger Herstellung und artgerechte Tierhaltung sollen bevorzugt werden. Um die 200 Vereine und Organisationen unterstützen mittlerweile diese Ziele in der Stadt; man will weniger abhängig werden von der internationalen Lebensmittelindustrie und den schädlichen Auswirkungen ihrer Produktionsweisen.

Ein Ziel, das an diesem Abend auch die Stadt in Gestalt der Grünen-Stadträtin Katrin Habenschaden und der Gesundheits- und Umweltreferentin Stephanie Jacobs unterstützte. Jacobs sagte in ihrem Grußwort: "1,5 Millionen Einwohner haben eine gewaltige Marktmacht, die muss man nutzen." Die Stadt sei da schon auf einem guten Weg und fördere bioregionale Lebensmittel, wo sie es könne.

Warum das auch notwendig ist, veranschaulichten die weiteren Redner des Abends. Viel Applaus erhielt die 18-jährige Liliane Köppl vom Gymnasium Trudering, die für die Klimastreikbewegung Fridays for Future gekommen war und befand: "Es ist doch ein Unding, dass sich heutige Teenager nicht mehr mit Liebeskummer herumschlagen müssen, sondern gleich mit dem Weltuntergang!" Karl Ludwig Schweisfurth, Gründer der Herrmannsdorfer Landwerkstätten, sprach vom "Unsinn der industrialisierten Tierzucht" und meinte: "Es ist eine Frage der Zukunft, ob wir es lernen, achtsam mit der Natur umzugehen." Das sah auch der Biobauer Sepp Braun so, der sich vor allem mit der Regenerierung der landwirtschaftlichen Böden befasst. Und Markus Vogt, Professor für christliche Sozialethik, forderte "eine kohärente Ernährungspolitik auf internationaler, nationaler und regionaler Ebene". Auf Verbote bestimmter Formen der Tierhaltung und auch auf Strafen für Fehlverhalten könne man in Zukunft nicht mehr verzichten. Von München wünscht sich Vogt in erster Linie eines: "Wir könnten das Silicon Valley der Ernährungswende werden!"

Bis dahin ist es freilich noch eine Weile hin, dazu müssen sich Aktivisten, Vereine, Politik, Verwaltung, Gastronomie und Lebensmittelwirtschaft doch noch erheblich stärker vernetzen, als es jetzt der Fall ist. Jürgen Müller vom Ernährungsrat wünschte sich dafür einen hauptamtlichen Koordinator wie in anderen Städten, forderte aber auch: "Ernährungspolitik muss in München Chefsache werden." Das gemeinsame Ziel sei jedenfalls klar: "Gutes Essen für alle!" Mit dem Verzicht auf die Videobotschaften war der Weg dazu dann ja auch bereitet.

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Quelle:
SZ vom 15.03.2019
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