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Auftakt Deutschlandtournee:James Blunt - pro und contra

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Man mag ihn oder absolut nicht: James Blunt polarisiert zum Auftakt seiner Deutschlandtour.

PRO: Eine Massenknutschorgie

Es war der Abend, an dem Weihnachtsgeschenke wahr wurden. An dem Sie und Er den langen Weg nach Freimann ins Zenith durchstanden und die James-Blunt-Tickets eintauschten gegen eine gute Stunde Zweisamkeit.

Da nahmen sie in Reihe Kuschelhaltung ein (Er hinter Ihr, seine Hände auf Ihrem Bauch; oder Sie hinter Ihm, ihr Kinn auf seiner Schulter) und wogten im Dur- und Moll-Meer der Glückshormone, gipfelnd in der Massenknutschorgie zur Schmusehymne "You're beautiful".

Ein paar Tausend Pärchen und ein paar bedauerliche Einzelfälle, die der strubbelige Brite aber auch noch zu verbandeln versprach. Derzeit gibt es im Pop keinen geschickteren Kuppler als den 27-Jährigen. Zwischen warme Mädchen- und Jungenwangen passen keine kalten Kritikergedanken an Musikmarketing und die Peinlichkeit von Massenradiosongs.

Mit Leidensstimme, bleischweren Pianoakkorden und luftigen Gitarrenschläge macht er die Fans "fuckin' high". Und verabreicht mit der süßen Droge die bittere Pille - Liedermacherlyrik über Abschied, Tränen, Leid im Kosovokrieg (den er als Soldat selbst erlebte) und unerhörte Liebe.

CONTRA: Songwriterische Larmoyanz

Er ist ein gutes Beispiel für die Ratlosigkeit der Musikindustrie. Noch vor einem Jahr krähte kein Hahn nach James Blunt, dem jungen Mann aus England, der traurige Lieder sang. Man konnte ihn im Feierwerk vor einem Dutzend Zuhörern erleben - einer der vielen Liedermacher mit Gitarre unterm Arm und Träumen im Kopf.

Es wurde ein zartschmelzend melancholisches Album produziert. Das nach Stars dürstende, lange Jahre vernachlässigte Segment des Adult Pops witterte Morgenluft. So wurde eine Promotionmaschine mit Radio-Dauerberieselung angeworfen, wie sie schon lange nicht mehr zu erleben war.

Da stand er nun im Zenith, der redliche Junge, und spielte bewährte und ein paar neue Songs, wie man sie von den Elton Johns und Billy Joels dieser Welt kennt. Das war nett, erfreulich transparent gemischt, aber nicht mehr als ein konventionelles, smart groovendes Popkonzert mit Tendenz zur songwriterischen Larmoyanz.

Blunt ist genau das, wonach sich die Branche sehnt: ein unverbrauchter, talentierter Junge, der sich nach oben schießen lässt. Hoffentlich landet er weich. (SZ vom 21.1.2006)

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RALF DOMBROWSKI
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