Aubing:Vergangenheit braucht Zukunft

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Bei einem Bürger-Spaziergang mit Vertretern der Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung geht es um die drängende Frage, wie die geplante Ausweisung Altaubings als Sanierungsgebiet für das Viertel ein Gewinn wird

Von Ellen Draxel, Aubing

Auch bitterkaltes Schmuddelwetter hält Aubings Bürger nicht davon ab, sich für den Erhalt und die Verschönerung ihres Dorfkerns stark zu machen. Eine oder zwei besonders Engagierte hatte Julie Kleinke von der Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung (MGS) am Sonntagnachmittag erwartet - trotz des Schneeregens kamen etwa 20. "Den Menschen ist der Schutz Altaubings wirklich wichtig", resümiert sie nach einem zweistündigen Spaziergang, "das ist ganz offensichtlich."

Aubings Dorfkern soll Sanierungsgebiet werden, Stadtteilspaziergänge sind Teil der vorbereitenden Untersuchungen im Städtebauförderprogramm. "Wir sind derzeit dabei, Stärken und Schwächen zu analysieren", erklärt Julie Kleinke. Die MGS erhofft sich bei diesen Spaziergängen von den Bürgern Anregungen zu den Themen Verkehr, Grün und Denkmalschutz.

Schon der Ausgangspunkt der Tour beweist - an Stärken mangelt es nicht. Klaus Bichlmayer, Vorsitzender des Fördervereins "1000 Jahre Urkunde Aubing", der sich mit seinen Vereinskollegen seit Jahren für den Erhalt des historischen Ortsbildes und den Ensemble-Status des Dorfkerns stark macht, deutet auf die Pfarrkirche St. Quirin hin, das unbestrittene Prunkstück Altaubings: "Wir haben hier eine einmalige Kombination, Einzel- und Bodendenkmal in einem." Die gotische Kirche mit dem barocken Innenleben, 1489 eingeweiht und vor sechs Jahren für rund 1,9 Millionen Euro restauriert, steht unter Denkmalschutz, der Friedhof ist als Bodendenkmal ausgewiesen.

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(Foto: Catherina Hess)

Mit Blick für das Wichtige: Werner Dilg ist einer der Anwälte des alten Dorfkerns.

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(Foto: Florian Peljak)

Auch der Maibaum zeigt Flagge.

Aubinger Geschichte: die Kinderbewahranstalt im Jahre 1915.

Ein paar Meter weiter, an der Ubostraße längs, findet sich bei der Hausnum- mer 10 eines der typischen ortsbildprägenden Gebäude: zweigeschossig, mit Giebel, Pfettendachstuhl, Satteldach und Dachüberstand. Auch die noch immer zahlreichen Bauernhöfe verweisen auf die historische Struktur Altaubings. Der Neumaierhof an der Ubostraße 21 beispielsweise, war während einer rund 500-jährigen Periode bis zur Säkularisation im Jahr 1803, in der zwei Drittel der Aubinger Bauernhöfe dem Kloster Ettal gehörten, Sitz des Ettaler Verwalters und Amtsrichters. Den Kerkerraum im Keller des Hofes unter einer Falltür gibt es noch heute. Oder der Bauernhof "Zum Mehringer" an der Ubo-straße 30 - der Vorgarten mit dem Hausbaum, oft ein Birnbaum, ist typisch für die Höfe von früher.

"Die Topographie von Aubings Dorfkern ist dreigeteilt", erläutert Simone Knupfer vom Planungsbüro Lars Consult, "es gab einen Lehmhügel entlang der Ubo-straße mit Bauernhöfen, etwas weiter unten die Bauerngüter an der Altostraße." Und dann die Sölden für Tagelöhner und Handwerker, die unterste Schicht in der bäuerlichen Hierarchie. Man geht davon aus, sagt Simone Knupfer, die im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege ein kommunales Denkmalkonzept für Aubing erarbeiten soll, dass die Hofstellen der Kern der Besiedelung Aubings vor mehr als tausend Jahren waren. Erstaunlich findet sie, dass nahezu das gesamte Straßennetz noch wie anno 1809 aussieht: "Das ist selten." Die Gotzmann-straße beispielsweise spiegele in ihrem Verlauf noch heute den historischen Ortsrand wider.

Denkmalgeschützte Gebäude, alles ehemalige Bauernhäuser, stehen auch an der Altostraße 28, 56 oder auch an der Zwillergasse 1. Das alte Schulhaus an der Altostraße 16 aber besitzt diesen Schutz-Status bislang nicht - zur Verwunderung der Fördervereinsmitglieder. "Dieses Gebäude ist ein kulturhistorisches Dokument des Wandels vom Bauernhaus zum Schulhaus", betont Werner Dilg, der sich seit Langem für den Ortskern engagiert. Unter dem Einfluss des Kloster Ettals wurden die Kinder dort schon im 17. Jahrhundert unterrichtet. 1822 entstand dann ein neues Schulhaus, eines der modernsten der damaligen Zeit, entworfen vom Architekten des für die Einführung der Schulpflicht verantwortlichen Grafen Montgelas. Zwischen 1914 und 1966 betrieben Ordensschwestern in dem Haus erstmals einen Kindergarten, die Kinderbewahranstalt, später eine Handarbeitsschule und im Krieg eine Armenspeisung. Danach kam die Volkshochschule, bis heute ist dort das Rote Kreuz. "Das Gebäude", sagt Dilg, "hat immer der Lehre gedient". 2012 wurde ein Antrag auf Würdigung des Hauses als Einzeldenkmal abgelehnt, der Förderverein gibt nicht auf: Ein weiterer Antrag ist in Arbeit.

Als man beim Rundgang schließlich auf die Schwächen zu sprechen kommt, rückt der gegenüber dem Alten Schulhaus liegende Brunnenplatz in den Mittelpunkt. Lothar Epe, ehemals Chef beim Hochbau der Stadt München, plädiert dafür, den Dorfplatz aus seiner "momentan bedauernswerten Gesichtslosigkeit in ein denkmalwürdiges Bauwerk zurück zu verwandeln". Er schlägt vor, den Verkehr an dieser Ecke der Altostraße zu drosseln und zwischen den drei Kastanien beim Dorfbrunnen und der mächtigen Baumgruppe vor der Alten Schule eine "grüne Brücke" zu schlagen. Bichlmayer ergänzt: Nur, wenn wirklich der Verkehr verlangsamt werde, sei am Ende auch eine Aufenthaltsqualität gegeben. "Ansonsten bleibt die Aufwertung ein Feigenblatt."

Bei der Führung am Tag zuvor hatten Teilnehmer bereits angeregt, verwirrende Kreuzungen etwa am Knoten Marzellgasse/Bergson-/Altostraße, wo der Maibaum steht, oder an der Gabelung Altostraße/ Mundesgasse/Ubostraße zurückzubauen. Debattiert wurde außerdem über eine Öffnung des Langwieder Bachs an der Pferdeschwemme.

Im kommenden März soll es dann einen weiteren Bürgerworkshop geben, bevor dann sämtliche Anregungen in einen Maßnahmenkatalog eingearbeitet werden. Die Entscheidung, ob Altaubing Sanierungsgebiet wird, trifft letztlich der Stadtrat.

© SZ vom 08.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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