"Bergson Kunstkraftwerk" im Münchner Westen:Eine Kathedrale für die Kultur

Eine 25 Meter hohe Halle, Ziegelwände und womöglich ein Biergarten: Das alte Heizkraftwerk im Münchner Westen soll sich in einen Veranstaltungsort verwandeln. Was geplant ist.

Von Ellen Draxel und Jutta Czeguhn

Ein Teil des Daches ist schon offen. Vom Hängekorb eines über der Halle schwebenden Krans aus lassen sich die ausgehöhlten, fast porösen Betonplatten, die die alte Decke bilden, wunderbar herausbrechen. Was unten ankommt, ist nicht viel mehr als grober Staub - und warmes, flutendes Sonnenlicht. Es beleuchtet die mit Graffiti besprühten Ziegelwände. Es gewährt Einblicke in die freigelegten Ascheschächte in der Mitte des Raumes, auf denen früher die Heizkessel standen.

Einen der Schächte wird künftig eine Bar bedecken, schwarzverkleidet, als Reminiszenz an die Kessel. Über einem anderen entsteht "die neue Mitte" des Gebäudes, wie Architekt Markus Stenger sich ausdrückt: die Küche, dank der das Leben in der Halle eine neue Zukunft erhält. Bis in den bunkerartigen Keller, der zu einem Jazz-Ort mit kleiner Bar werden soll, dringen die Sonnenstrahlen allerdings noch nicht - die Lichtschächte sind noch zugemauert. Den dort durch eindringendes Wasser entstandenen, anderthalb Meter hohen See aber haben die Arbeiter bereits abgepumpt. Und ein an einer Ecke vertäutes Schlauchboot entfernt.

Aus einem "Lost Place", einer seit Jahren leer stehenden Industrieruine mit Kathedralen-Charakter und Graffiti-Charme in Aubing, wird bis zum Herbst 2023 das "Bergson Kunstkraftwerk". So haben die Brüder Christian und Michael Amberger, Geschäftsführer der Firma Allguth und seit 2005 Eigentümer des Geländes, ihr privat finanziertes Projekt an der Rupert-Bodner-Straße inzwischen getauft.

Zuerst verwandelt sich die 25 Meter hohe, denkmalgeschützte Halle des Aubinger Heizkraftwerks unter der Ägide des Niederbayern Stenger, dessen Büro schon das Heizkraftwerk an der Drygalski-Allee umgebaut hat, in einen Kunst- und Kulturtempel inklusive diverser kulinarischer Angebote. Vor allem die Chance, einen großen Biergarten als "Angebot an die Aubinger" realisieren zu dürfen, freut den Architekten. Danach soll nebenan noch ein Neubau mit einem Konzertsaal für 400 Besucher errichtet werden.

Ein spektakuläres Projekt, das bereits heute viele Vorschusslorbeeren eingeheimst hat. Wie aber kommen die Pläne im Viertel an? Bei der Politik im Münchner Westen, bei der lokalen Kunstszene, bei den Nachbarn? Zu hören sind zumeist Superlative. Bereits vor drei Jahren, als die Brüder ihre Vision erstmals dem Aubinger Bezirksausschuss vorgestellt hatten, reagierten die Lokalpolitiker begeistert. Daran hat sich laut Gremiums-Chef Sebastian Kriesel (CSU) nichts geändert. "Die Ambergers haben einen hohen Kunstsinn, das ist für uns ein Glücksfall."

Das Kraftwerk, davon ist Kriesel überzeugt, werde nach dem Umbau dank der Kombination von Gastronomie und Kultur nicht nur zu einem "schönen Treffpunkt für den Münchner Westen" werden. Es sei auch eine "starke Bereicherung, künftig die große Kunst vor der Haustür zu haben". Als Stadtbezirk mit rund 50 000 Einwohnern könne man sich "so etwas schon gönnen". Der Bedarf, glaubt der BA-Vorsitzende, ist da: Karten für kulturelle Höhepunkte in der Innenstadt seien oftmals schnell ausverkauft, in Aubing könnten die Chancen dagegen besser sein. Bedenken, dass der Weg in den Westen manchem Besucher zu weit sein könnte, hat Kriesel keine: "Wenn einen etwas wirklich interessiert, ist es egal, wo es stattfindet - dann fährt man da hin." An "Strahlkraft" mangele es den Kulturangeboten sicher nicht.

Mit Spannung erwartet wird das "Bergson" auch von der lokalen Kulturszene. Wolfgang Mayer vom Kulturnetz 22, der für das Bespielen des Aubinger Kulturzentrums Ubo 9 zuständig ist, ist sich sicher, dass das Kunstkraftwerk die Kulturlandschaft in München und Umgebung "toll ergänzen" wird. Möglicherweise, meint er, entstehe sogar ein "Kunstpark West" - je nachdem, was sich infolge des Strukturwandels im Industriegebiet im Umfeld noch entwickeln werde. In Konkurrenz mit der Stadtteilkultur sieht Mayer das Kunstkraftwerk nicht, "das hat ein anderes Level".

Im Ubo 9, im Bürgersaal am Westkreuz oder auch im Veranstaltungssaal des Bayerischen Schnitzel- und Hendlhauses in Neuaubing werde Kulturförderung betrieben, diese Orte seien Foren für lokale Künstler, Orte der Teilhabe und auch "Experimentierfelder". Stadtteil-Kulturarbeit, sagt Mayer, lebe von bürgerschaftlichem Engagement und sei dazu da, das Gemeinwesen zu stärken. "Ob Geld reinkommt, ist mir da letztlich egal." Interessant wäre es für Mayer dennoch zu wissen, ob so ein Haus wie das Bergson auch Bilder des heimischen Künstlerkreises ausstellt.

Auch von Frank Przybilla, Geschäftsführer der Pasinger Fabrik, kommt eine ausgestreckte Hand in Richtung der Amberger-Brüder. Im künftigen Kulturkraftwerk sieht er keinesfalls einen Konkurrenten für die Fabrik, die ja als Bürgerzentrum auch einen sozialen Auftrag hat. "Kultur kann es gar nicht genug geben", ist er überzeugt, zumal im Münchner Westen, der mit seinen vielen Neubauquartieren gerade mit unglaublichem Tempo wachse. Der Hunger nach Kultur sei da enorm. "Eigentlich könnten noch zwei, drei Bergsons und Fabriken dazukommen. Der Westen wird die Stadtmitte kulturell eines Tages ablösen", wagt Przybilla eine recht selbstbewusste Prognose.

Das werden Christian und Michael Amberger gerne hören. Und sie wollen ihre Hand ebenfalls ausstrecken und "in den nächsten Tagen und Wochen Kontakte zu den lokalen Protagonisten herstellen". Auch die direkten Nachbarn rund um das Kraftwerk haben die Brüder bereits über ihr Projekt informiert. Ansonsten halten sie sich noch bedeckt, wenn es um die Events geht. Nur so viel verrät Michael Amberger vorab: Dass es "schön wäre, wenn wir den ganzen Bogen von lokaler über stadtweiter bis hin zu überregionaler Kultur spannen könnten". Sie seien "ambitioniert", ergänzt er. "Aber auch geerdet."

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