Aubing:Kirche von unten

Wenn Pfarrer Gawdzis am 1. Dezember nach Giesing geht, steuert ein Team von Haupt- und Ehrenamtlichen seinen alten Pfarrverband Neuaubing-Westkreuz. Das kollegiale Leitungsmodell ist dem Priestermangel geschuldet, soll aber auch Gläubige stärker einbinden

Von Ellen Draxel, Aubing

"Noch ist nichts spruchreif, wir stricken daran, wie wir in Zukunft weitermachen", sagt Pastoralreferentin Susanne Engel und wirft dabei einen Blick auf Pfarrer Michael Holzner. "Unser Ziel ist es, Kirche präsenter zu machen, sie zu öffnen", ergänzt der Vikar. Ein Patentrezept gebe es dafür nicht, die Geschichte an sich aber sei "reizvoll und herausfordernd".

Die "Geschichte", von der Seelsorger Holzner spricht, ist eine aus Sicht der katholischen Kirche fast schon revolutionäre. Bis Ende November liegt die Leitung des Pfarrverbands Neuaubing-Westkreuz, zu dem die Gemeinden St. Konrad in Aubing, St. Markus in Neuaubing und St. Lukas am Westkreuz gehören, noch in den Händen von Pfarrer Robert Gawdzis. Doch vom 1. Dezember an übernimmt Gawdzis den Pfarrverband Maria Königin der Engel im Dekanat Giesing. Den Zusammenschluss Neuaubing-Westkreuz soll dann ein Team aus Haupt- und Ehrenamtlichen steuern.

Der Verband im Westen der Landeshauptstadt ist einer von dreien im Erzbistum München und Freising, in denen die Kirche nach neuen Wegen sucht. Zum einen weil hauptamtliche Seelsorger zunehmend rarer werden - 2030, weiß Pastoralreferentin Engel aus St. Konrad, werde es einer Studie zufolge voraussichtlich 30 Prozent weniger Pfarrer und Pastoralreferenten geben als heute. Grund für die Neuerung ist aber zum anderen auch der Gedanke, Kirche wieder von der Basis her zu strukturieren. "Jeder Getaufte hat ja einen missionarischen Auftrag, selbst aktiv zu sein und Verantwortung zu übernehmen", erklärt Vikar Holzner. Das "kollegiale Leitungsmodell", wie die Erzdiözese das Pilotprojekt in Neuaubing-Westkreuz und zwei weiteren Pfarrverbänden, Feldkirchen-Höhenrain-Laus bei Rosenheim sowie Geisenhausen bei Landshut, nennt, ist nur die konsequente Umsetzung dieses Ansatzes. Bislang können Pfarrer Ideen des Pfarrgemeinderats blockieren, sofern sie sie für ungeeignet halten. Bei dem neuen Modell geht das nicht mehr.

Die Gemeinde St. Konrad in Aubing ist Teil eines Pfarrverbandes, bei dem ein neues Leitungsmodell mit Haupt- und Ehrenamtlichen statt wie bisher einem leitenden Pfarrer an der Spitze ausprobiert werden soll.

Die Kirche St. Konrad wurde in den Fünfzigerjahren gebaut. Die Fenster der Apsis, ein "Glasteppich des Gotteslobes", stammen von Albert Burkart.

(Foto: Jan A. Staiger)

Warum aber ausgerechnet Neuaubing-Westkreuz als Erprobungsort des neuen Leitungsmodells? "Vermutlich, weil wir in der Seelsorge schon länger als Team arbeiten und es ganz gut läuft", sagt Pfarrvikar Holzner. Der jetzige Pfarrverband mit zwei Pfarrern, zwei Diakonen und drei Pastoralreferenten harmoniert bereits seit 2014. Hinzu kommt, dass der neu entstehende Stadtteil Freiham ebenfalls zum Pfarrverband zählt und als noch weißer Fleck auf der Strukturlandkarte besonders prädestiniert für Innovatives erscheint.

Dennoch - Neues zu implementieren, kostet Zeit, Kreativität und Engagement. Damit der Verband nach dem Wechsel von Pfarrer Gawdzis arbeitsfähig bleibt, haben Engel, Holzner und Pastoralreferent Johannes van Kruijsbergen zunächst einmal die klassischen Aufgaben des Pfarrers unter sich aufgeteilt. Engel aus der Gemeinde St. Konrad ist Hauptansprechpartnerin für die Kirchenverwaltung, Pfarrer Holzner aus St. Markus übernimmt die priesterliche Verantwortung. Und van Kruijsbergen aus Ct. Lukas kümmert sich um den Aufbau der neuen Zweigstelle Freiham.

Die Gemeinde St. Konrad in Aubing ist Teil eines Pfarrverbandes, bei dem ein neues Leitungsmodell mit Haupt- und Ehrenamtlichen statt wie bisher einem leitenden Pfarrer an der Spitze ausprobiert werden soll.

Das neue Leitungsteam: Pfarrer Michael Holzner aus St. Markus, Pastoralreferentin Susanne Engel aus St. Konrad und Pastoralreferent Johannes van Kruijsbergen aus St. Lukas (von links).

(Foto: Jan A. Staiger)

Auch ein erstes Treffen zum Brainstormen gab es bereits: Unter dem Arbeitstitel "Pilot-AG" tagte eine Arbeitsgruppe von Seelsorgern, Mitgliedern der Kirchenverwaltung, Pfarrgemeinderäten und Ehrenamtlichen. Es gilt zu klären, was es überhaupt bedeutet zu leiten, ob Entscheidungen mehrheitlich oder einstimmig gefällt werden sollten, was für Aufgaben kirchenrechtlich zu verteilen sind und wie man dafür Ehrenamtliche finden kann. "Wichtig ist dabei vor allem, delegieren zu können und andere Meinungen zuzulassen", betont Holzner.

Eine zweite Arbeitsgruppe beschäftigt sich ausschließlich mit neuen Gottesdienstformen. "Beispielsweise können wir an Weihnachten nicht dreimal Eucharistie feiern", erläutert der Pfarrvikar. Es gebe ja aber auch noch Andachten, Wortgottesdienste, neue liturgische Formen etwa mit Musik, ergänzt Engel. "Wir wollen versuchen, etwas zu entwickeln, das die Leute mitnimmt. Darin liegen Chancen." Tatsache ist: Die Zahl der Kirchgänger im knapp 10 000 Gläubige umfassenden Verband ist mit fünf Prozent eher gering. Künftig jedoch ist jeder aufgefordert, sich einzubringen, mitzugestalten, auch ohne leitenden Pfarrer. "Unsere Hoffnung ist, dass daraus neue Angebote und Strukturen erwachsen, mit denen sich mehr Menschen anfreunden können", sagt die 51-Jährige. Konzepte speziell für Senioren etwa. Oder für Menschen mit Migrationshintergrund.

Die Gemeinde St. Konrad in Aubing ist Teil eines Pfarrverbandes, bei dem ein neues Leitungsmodell mit Haupt- und Ehrenamtlichen statt wie bisher einem leitenden Pfarrer an der Spitze ausprobiert werden soll.

Die modernen Skulpturen sind von Klaus Backmund.

(Foto: Jan A. Staiger)

Ehrenamtliche könnten, so die Pastoralreferentin, den Job des Kirchenverwaltungsvorstands übernehmen, sich federführend um die Jugendpastorale, um Neuzugezogene, um Partnerschaften mit der Weltkirche oder um karitative Bereiche kümmern. Denkbar wären auch Kooperationen mit Vertretern der politischen Ebene, die Arbeit mit Taufeltern, der Ausbau der Ökumene. Um nur wenige der zahlreichen Möglichkeiten zu nennen. Sehr viele Aktivitäten gibt es jetzt schon, und die sollen auch bleiben. Engel, Holzner und van Kruijsbergen wollen nicht alles komplett auf den Kopf stellen. Bisher jedoch erforderte dieses Gemeindeleben immer eine Rückkoppelung an Hauptamtliche. Das wird künftig nicht mehr nötig sein.

Voraussetzung allerdings ist, dass sich auch Ehrenamtliche finden, die bereit sind, zwei bis drei Stunden pro Woche zu erübrigen. "Uns ist bewusst, dass Ehrenamtliche nicht auf Bäumen wachsen", sagt Engel. Klassische Hausfrauen gebe es heute kaum mehr, und rüstige Rentner seien auch nicht automatisch gewillt, sich zu engagieren. Zumal Ehrenamt heiße, dass es im Einzelfall maximal eine Aufwandsentschädigung geben könne. "Kirche", sagt Pfarrer Holzner, "wird aber nur dann erfolgreich sein, wenn sie erlebbar wird." Und die Menschen an Ort und Stelle wüssten schließlich am besten, was sie interessiere. Das kann von Pfarrei zu Pfarrei unterschiedlich sein. Wichtig ist dem neuen Leitungsteam in Neuaubing-Westkreuz vor allem eins: "Das Ganze muss möglichst transparent passieren."

Drei Jahre sollen die drei Pilotprojekte im Erzbistum nun erst einmal mindestens Zeit haben, Erfahrungen zu sammeln. Danach wird von den Verantwortlichen des Ordinariats, Robert Lappy und Judith Müller, Resümee gezogen.

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