Süddeutsche Zeitung

Au:Odyssee eines Brunnens

Am Rand des neugestalteten Tassiloplatzes in der Au befindet sich ein ganz besonderer Wasserspender. Er stand schon an einigen Orten in der Stadt, und einmal wäre er fast im Entsorgungscontainer verschwunden

Von Thomas Anlauf, Au

Brunnen sind Symbole der Beständigkeit. Sie prägen Plätze in der Stadt, sie zu versetzen erscheint undenkbar. Und doch haben viele Brunnen in München eine durchaus bewegte Geschichte. Am Rand des neu gestalteten Tassiloplatzes in der Au plätschert seit einigen Tagen leise ein russischgrün gestrichener gusseiserner Brunnen, und schon die Jahreszahl an seiner Seite lässt erahnen, dass es etwas Besonderes mit ihm auf sich hat: 1889.

In jenem Jahr begannen die Münchner Brüder Heinrich und Wilhelm Hildebrand mit der Konstruktion eines "Zweirades mit Dampfmotor". Am Neuen Rathaus entstand 1889 der Erweiterungsbau entlang der Diener- und Landschaftstraße, am Preysingplatz in Haidhausen wurde die Notkirche St. Johannes eingeweiht. Und in der Gießerei Pfefferkorn entstand der schlanke Trinkwasserbrunnen, der nach einer langen Odyssee nun in der Au seine Heimat gefunden hat.

Ursprünglich stand der Brunnen mit den zahlreichen Verzierungen auf dem Maffeianger in der Marsstraße, wo sich seit 1880 ein Viktualienmarkt befand. Der musste wegen Straßenbauarbeiten umziehen und befindet sich seit 1903 auf dem Elisabethplatz. Der Wasserspender fand nach dem Zweiten Weltkrieg ein neues Zuhause: an der Benediktbeurer Straße 11 nahe dem Asamschlössl in Maria Einsiedel.

Doch auch der Münchner Süden sollte nicht der letzte Bestimmungsort für den Brunnen sein: Viele Jahre später, es muss in den späten Siebzigern gewesen sein, stand er plötzlich vor einem Büro der Münchner Stadtwerke an der Infanteriestraße 8, wo ihn Ernst Theodor Mayer entdeckte. Den Brunnen habe sich der Leiter der Rohrnetze bei den Stadtwerken gewissermaßen ausgesucht, sagt der Medizinaldirektor im Ruhestand. Für eine Jubiläumsausstellung des Deutschen Vereins von Gas- und Wasserfachmännern habe der Münchner Experte den Brunnen sogar im VW-Bus nach Berlin gefahren. "Beim Umzug seiner Dienststelle musste dann aber der Brunnen abgebaut und konnte nicht gleich wieder aufgestellt werden", erzählt Mayer.

Beinahe wäre das gute Stück beim Umzug in die Emmy-Noether-Straße, dem heutigen Stammsitz der Stadtwerke München, "mit der großen Menge unersetzlicher Stücke aus der Münchner Wasserleitungsgeschichte ebenfalls in einen Entsorgungscontainer geraten". Doch ein Brunnenliebhaber der Stadtwerke rettete den historischen Wasserspeier und brachte ihn nach Trudering in ein Depot der Stadtwerke, wo er fortan lagerte und beinahe in Vergessenheit geriet. Doch Mayer, der sich seit seiner Pensionierung intensiv mit der Geschichte der Münchner Brunnen befasst, machte sich auf die Suche. Über Monate recherchierte der Bogenhauser und fand ihn schließlich mit Hilfe von ehemaligen Brunnenpflegern in Trudering und fasste einen Plan. Am 25. Mai 2006 schrieb er an die Haidhauser Bezirksausschussvorsitzende Adelheid Dietz-Will, den "schönen alten Trinkwasserbrunnen an einem besonderen Platz am Gasteig wieder aufstellen zu helfen". Seine Idee war, ihn am Gasteigkircherl zu installieren, wo sich einst die erste Münchner Brunnstube am Isarhang befand. Seit 1471 wurde von dort das Wasser in Holzrohren über die Isar bis zum Marienplatz geleitet.

Drei Jahre später übereigneten die Stadtwerke dem Bezirksausschuss den Brunnen, doch am Gasteig wurde er trotzdem nie aufgestellt. Der Grund: Der Ausschuss hätte nicht nur die Restaurierung, sondern auch den Unterhalt und die Kosten für den Wasserverbrauch übernehmen sollen. Die konnte das Gremium aus seinem Budget nicht stemmen.

Doch dann meldete sich das städtische Baureferat und versprach, den Brunnen am Rand des nun neugestalteten Tassiloplatzes neben den Welfenhöfen aufzubauen, den Unterhalt werde das Baureferat übernehmen. Die Kunstschmiede "Metallkunst Nüssel" aus der Nockherstraße restaurierte den mittlerweile 126 Jahre alten Trinkbrunnen, der jetzt Tag und Nacht in der Oberen Au sprudelt.

Wasserspeier

München ist erst in der Zeit König Ludwigs I. (1786 - 1868) zu einer Stadt der Brunnen geworden. Waren es im ausgehenden 16. Jahrhundert noch ein Dutzend Laufbrunnen im Stadtgebiet, wuchs die Zahl auf mehr als 80 200 Jahre später. Heute weiß niemand genau zu sagen, wie viele Brunnen es in München gibt. Knapp 300 betreut die Stadt, darüber hinaus gibt es mehrere hundert staatliche, die berühmtesten finden sich im Nymphenburger Schlosspark. Aber auch Investoren und Privatleute unterhalten ungezählte Brunnen. Einer der ältesten noch existierenden Wasserspeier Münchens dürfte der klassizistische Felsenbrunnen am Marstallplatz in der Altstadt sein (1790). Er stand einst vor der Westfassade der Residenz. Ein bei Touristen beliebtes Fotomotiv ist das Brunnenbuberl von Mathias Gasteiger in der Neuhauser Straße (1895). Und als einer der schönsten Anlagen Münchens gilt der Glaspalast-Brunnen am Weißenburger Platz in Haidhausen. 1853 von August von Voit geschaffen stand er zunächst im Alten Botanischen Garten vor dem ehemaligen Glaspalast. 1875 wurde er ab- und am Orleansplatz wieder aufgebaut. Seit 1975 schmückt er den Weißenburger Platz. anl

Fast genau an dem Ort, wo sich einst ein anderer Brunnen befand. Der Münchner Bildhauer Franz Mikorey (1907 - 1986) schuf für den Tassiloplatz einen Brunnen mit dem Motiv zweier sich aufbäumender Pferde. Die "Springenden Pferde", wie sie genannt werden, gibt es heute noch. Aber auch sie mussten umziehen. Sie befinden sich seit 1974 in der Herzog-Wilhelm-Straße, inmitten der Altstadt.

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SZ vom 07.07.2015
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