Au:Hypnotische Beats in der Bierhalle

Au: Auch wenn eine solche Mischung aus Hoch- und Subkultur zwangsläufig bei allen Beteiligten Zugeständnisse erfordert, ist das Experiment an diesem Abend geglückt.

Auch wenn eine solche Mischung aus Hoch- und Subkultur zwangsläufig bei allen Beteiligten Zugeständnisse erfordert, ist das Experiment an diesem Abend geglückt.

(Foto: Robert Haas)

10.000 Menschen hatten sich bei Facebook für die "Abrissparty" auf dem ehemaligen Paulaner-Gelände in der Au interessiert. Statt einer wilden Sause wurde es ein meditativer Musik-Abend.

Von Thomas Jordan

Das Bier kommt natürlich von Paulaner an diesem Abend. Es gibt Helles in der Flasche und alkoholfreies Weißbier mit Zitronengeschmack. Ansonsten sind die Hinweise darauf, dass in den beiden Industriehallen an der Regerstraße 28 bis vor kurzem Münchens ältester Brauereistandort war, ziemlich dezent gehalten. Erst im Februar dieses Jahres war die Großbrauerei aus Platzgründen an den Stadtrand nach Langwied gezogen. Seitdem stehen die Produktionshallen leer und warten auf ihren Abriss im kommenden Jahr, ein genauer Termin dafür steht noch nicht fest.

Wie gemacht für den Konzert- und Partyveranstalter Otger Holleschek, der immer auf der Suche nach "einzigartigen" Lokalitäten für seine Reihe "Konzert und Fest" ist. Zum Konzept gehört es, Klassik- und Elektromusik-Publikum zusammenzubringen und so viele Zuhörer wie möglich für die Musik der Anderen zu begeistern. Im zweiten Teil des Abends verwandeln sich dazu das ehemalige Fasslager und die Flaschenfüllerei in Tanzflächen, auf denen Münchner und Berliner Szene-DJ's auflegen.

Zunächst gehört die Bühne aber vier Herren in Schwarz, die so konzentriert zu Werke gehen, dass sie eher wie Chirurgen im OP-Saal wirken als wie Schlagzeuger bei einer Live-Session. Leicht vornübergebeugt, in hellblaues Scheinwerferlicht getaucht und ganz in sich versunken, sezieren Sebastian Förschl und seine drei Mitspieler Stefan Gagelmann, Jörg Hannabach und Michael Leopold einzelne Rhythmusphasen in Steve Reichs "Mallet Quartett". Eine der jüngsten Kompositionen des amerikanischen Pioniers der Minimal Music, die hier zu Ehren seines 80. Geburtstags aufgeführt wird.

Erhaben-melodische Klänge entlocken die Musiker der Münchner Philharmoniker ihren Schlaginstrumenten, streckenweise erinnert die Harmonik gar an Kirchenorgeln. Eine ungewöhnlich-kontemplative Atmosphäre ist das an einem Ort, an dem bis vor kurzem das Geklirre von 40 000 Bierflaschen, die hier pro Stunde abgefüllt wurden, den Soundtrack vorgegeben hat. Es gehört zum Konzept der Reihe "MPhil vor Ort" der Münchner Philharmoniker, klassische Musik aus dem Konzertsaal hinaus an ungewöhnliche Orte zu tragen und damit ein anderes, jüngeres Publikum anzusprechen.

Schon nach wenigen Minuten beginnen die ersten Zuhörer mit dem Kopf im Takt zu wippen - die bevorzugte Tanzform im ersten Teil des Abends - und spätestens als die letzten Takte des Eröffnungsstücks "Music for Pieces of Wood" verklungen sind, entfalten die einfachen, gleichmäßigen Rhythmen ihre meditative Wirkung. Für ein paar Sekunden herrscht gespannte Stille, bevor das Publikum, das im Schnitt um die Vierzig ist, in tosenden Beifall ausbricht. Am Ende des Konzerts, gegen halb elf, hat die Atmosphäre im blau angestrahlten Fasslager dann einen Grad an Andächtigkeit erreicht, der an eine Massen-Meditation auf dem Gelände des ehemaligen Mönchsklosters der Paulaner erinnert.

Die 32-Jährige Marlies Bayha ist rundum begeistert: "Beim zweiten Stück dachte ich, ich muss heulen, beim dritten dachte ich, ich wär im Club, und beim Vierten kam zum Herz der Körper dazu und ich musste einfach mitwippen." "Fantastisch" bricht es auch aus der weißhaarigen Biologin heraus, die ein langjähriger Fan der minimalistischen "Neuen Musik" von Steve Reich ist. Der Abend hat ihr so gut gefallen, dass sie spontan beschließt, auch für die anschließende Techno-Party zu bleiben.

Die Taktik des Veranstalters Holleschek geht auf: Etwa die Hälfte der Minimal-Fans bleibt auch für den zweiten Teil des Abends. Das liegt auch an der geschickten Raum-Nutzung: Wer vom blau angestrahlten Fasslager ins Freie will, muss durch die Flaschenfüllerei, und noch während die letzten Töne von Steve Reich im Nachbarraum verklingen, erinnern die wummernden Beats dort daran, dass die Party gerade erst begonnen hat.

Für manche ist das alles ein wenig zu entspannt

Drei Stunden später, gegen halb zwei Uhr nachts, sind die Philharmoniker längst weg, aber die tiefenentspannte Atmosphäre, die sie erzeugt haben, ist erhalten geblieben. Während in der Flaschenfüllerei Techno-Beats durch die Luft wabern, leuchten im Fasslager die Wände zu Pop- und Hip-Hop-Klassikern im paulanerfarbenen Rot-Blau. Die Tanzflächen sind gut gefüllt, aber überall gibt es noch freie Plätze. Wer sich vorher wegen der 10 000 Facebook-Interessenten für die "Abrissparty" auf dem Paulaner-Gelände Sorgen gemacht hatte, wurde an diesem Abend eines Besseren belehrt.

Noch gegen halb zwei sind es nicht mehr als ein paar Dutzend Gäste, die vor dem Eingang stehen, kaum jemand muss länger als ein paar Minuten warten, bis er hereingelassen wird. Für manche ist das alles ein wenig zu entspannt. Etwa für den 27-jährige Bauingenieur Manuel Philipp und seine Freunde, die sich an kleinen offenen Feuern, die in alten Bierfässern vor den Industriehallen glimmen, die Hände wärmen. "Ein bisschen lahm" sei die Stimmung, sagt Philipp, der seine langen braunen Haare zum Dutt hochgesteckt hat. Der rote Elektro-Floor sei ja ganz in Ordnung, dass aber im Nachbarraum Hip-Hop-Musik von Rihanna gespielt werde, sei ihm schon etwas "zu mainstreamig".

Auch wenn eine solche Mischung aus Hoch- und Subkultur zwangsläufig bei allen Beteiligten Zugeständnisse erfordert, ist das Experiment an diesem Abend geglückt: Ist es doch gelungen, auf dem ehemaligen Brauereigelände einen generationen- und genreübergreifenden musikalischen Meditationszustand hervorzurufen, der allein mit Bier nur schwer zu erreichen wäre.

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