Asylpolitik:Flüchtlingshelfer sind frustriert

Asylpolitik: Die Tische in der Einrichtung sind schon mit Getränkeflaschen und Müllbeuteln bestückt. Die leeren Plätze warten darauf, besetzt zu werden.

Die Tische in der Einrichtung sind schon mit Getränkeflaschen und Müllbeuteln bestückt. Die leeren Plätze warten darauf, besetzt zu werden.

(Foto: Inga Rahmsdorf)
  • In München stehen Helfer und Einrichtung für die Ankunft weiterer Flüchtlinge bereit.
  • Die Freiwilligen verstehen nicht, warum sie Däumchen drehen müssen, während sich an den Grenzen dramatische Szenen abspielen.
  • Einige vermuten: Das könnte so gewünscht sein - damit der Eindruck entstehe, die Kommunen an den Grenzen seien überfordert.

Von Inga Rahmsdorf

Es ist alles vorbereitet. Die Wasserflaschen stehen auf den Tischen, an den Seiten hängen leere Müllbeutel. Die Babywindeln sind nach Größen sortiert, die Westen für die Helfer nach Farben. In der Küche wird ein Eintopf gekocht, in Behältern ist heißer Tee und Kaffee. Das Kleiderlager ist gut gefüllt, 2700 Lunchpakete sind gepackt. Rund um die Uhr sind Helfer im Einsatz. Nur die Gäste kommen nicht. Seit Beginn des Oktoberfests war kein Flüchtling mehr in dem Aufnahmezentrum in der Richelstraße.

In München engagieren sich immer noch viele Menschen, um Asylsuchende bei ihrer Ankunft zu versorgen. Doch bei den Helfern wächst zunehmend die Frustration. "Es ist zermürbend. Für uns ist völlig unklar, wann und ob wieder Flüchtlinge kommen", sagt Schichtleiter Moritz Drotleff, der sich seit Wochen in dem Notaufnahmezentrum in der Richelstraße freiwillig engagiert. Gemeinsam mit anderen Helfern hat er Anfang September die leer stehenden Hallen der Deutschen Bahn kurzerhand hergerichtet, hat Tausende Menschen hier direkt nach der Ankunft am Hauptbahnhof versorgt.

Doch dann wurden an der österreichischen Grenze Kontrollen eingeführt und der Zugverkehr eingestellt. Erst hieß es, dass die Zahl der Flüchtlinge nach der Wiesn wieder steigen werde. Die Helfer haben die Zeit genutzt, um das Lager zu sortieren und ihre Strukturen zu verbessern. Die Hallen in der Richelstraße wurden umgebaut und winterfest gemacht, Notausgänge gekennzeichnet, die Heizungsanlage ausgebaut. Doch die Daten, die kursierten, wann München wieder als Drehkreuz genutzt werde würde, rückten immer weiter nach hinten.

Die Zahl der Richtung Deutschland Fliehenden ist konstant

Dabei hat sich an der Zahl der Richtung Deutschland fliehenden Menschen nichts geändert. Allein in Freilassing an der österreichischen Grenze kommen täglich 500 bis 2000 Flüchtlinge an. Und auch an anderen Grenzen drängen sich Schutzsuchende, von Serbien bis Deutschland.

Erst vergangene Woche hatte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) angekündigt, dass die Zahl der Ankommenden in München wieder steigen werde und gefordert, die Stadt müsse wieder stärker eingebunden werden. Dieter Reiter (SPD) bot daraufhin an, er sei dazu bereit und werde auch mehr Notplätze bereitstellen. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) erklärte dann diese Woche, dass München nicht mehr als Drehkreuz genutzt werde.

Die Stadt sowie die Regierung von Oberbayern äußern sich nicht dazu und verweisen an das bayerische Innenministerium, unter dessen Leitung die Verteilung der Menschen nun koordiniert wird. Es gehe darum, die Flüchtlinge direkt an der Grenze zu registrieren und von dort mit Sonderzügen bundesweit zu verteilen, sagt Stefan Frey, Sprecher der Innenministeriums. Natürlich würden München weiterhin Flüchtlingen zugeteilt, aber nicht als Verteiler-Drehkreuz. "Es kommen täglich 4000 bis 10 000 Menschen an, da ist es doch nicht sinnvoll, Sonderzüge nach München zu schicken. Das wäre ein Zeitverlust", sagt er. Laut Frey wird das voraussichtlich so bleiben.

Warum Däumchen drehen gewünscht sein könnte

Die Helfer in München kritisieren nicht nur eine fehlende Kommunikation und Transparenz von Seiten des Freistaates, sondern äußern auch Unverständnis darüber, dass sich viele Kommunen an der österreichischen Grenze überfordert fühlen, während in München alles bereit steht, die Kapazitäten und die Strukturen vorhanden sind. "Wir drehen hier Däumchen, während die Helfer in den Kommunen an der Grenze am Rad drehen", sagt eine Helferin in der Richelstraße.

"Es spielen sich dramatische Situationen an den Grenzen ab, die Menschen stehen im Regen, während wir hier weiterhin im Stand-by-Modus sind", sagt Dominik Herold vom Koordinationsteam der Flüchtlingshilfe am Hauptbahnhof. Auch der Chef der Münchner Caritas, Hans Lindenberger, hatte diese Woche gefordert, die Grenzstädte nicht alleine zu lassen und stärker zu unterstützen.

Asylpolitik: Anziehsachen liegen in großen Kisten bereit - bloß kommt niemand, um die gespendeten Kleider anzuziehen.

Anziehsachen liegen in großen Kisten bereit - bloß kommt niemand, um die gespendeten Kleider anzuziehen.

(Foto: Inga Rahmsdorf)

Am Hauptbahnhof organisieren die Freiwilligen ebenfalls weiter einen 24-Stunden-Betrieb. Donnerstagmorgen, acht Uhr: zwei Helfer verteilen Wasser und Decken an einige Ankommende, etwa zehn Flüchtlinge warten auf ihre Registrierung. Täglich versorgen sie hier derzeit etwa 100 Asylsuchende. Die Fernverkehrszüge zwischen München und Österreich sind eingestellt. Laut der Deutschen Bahn noch mindestens bis zum 1. November. Die Zelte für die medizinischen Untersuchungen, die auf der Nordseite des Bahnhofs standen, sind diese Woche abgebaut worden. Der Betrieb gehe weiter, versichert das Gesundheitsreferat, das Screening sei nur in das Gebäude verlegt worden und könne bei Bedarf wieder ausgebaut werden.

"Man muss die Gäste nur hineinlassen"

Auch in der Notunterkunft in Dornach organisieren die Freiwilligen sich weiterhin rund um die Uhr und auch dort sind sie zunehmend enttäuscht von der Politik. "Vor einigen Tagen wurde uns morgens gesagt, dass 900 Flüchtlinge ankommen werden", sagt ein Helfer aus der Notunterkunft in Dornach. "Wir haben Leute zusammengetrommelt, doch dann saßen wir stundenlang hier, bis abends um 23 Uhr der erste Bus eintraf, insgesamt kamen dann 150 Menschen."

Etwa 5000 Münchner haben sich bei der Flüchtlingshilfe am Bahnhof registriert. Die Situation sei demotivierend für die Freiwilligen, sagt Dominik Herold, aber vielleicht sei das ja so gewünscht. Dadurch werde das Bild vermittelt, dass die Kommunen völlig überfordert sind, sagen viele Helfer, während in München Kapazitäten und vorhandenes Engagement nicht genutzt werden. "Wenn wir sehen, was in anderen Städten und an der Grenze los ist, dann können wir nicht nachvollziehen, warum hier alles leer ist", sagt Karim Hamed, der als freiwilliger Dolmetscher in Münchner Unterkünften übersetzt.

In dem Ankunftszentrum in der Richelstraße haben die Helfer einen Raum mit Decken abgetrennt und Teppiche hineingelegt, als Gebetsraum für Muslime. Es gibt eine Halle für Familien, auf einem Tisch liegen Stifte und Papier. Daneben hängen gemalte Bilder, auf denen bunte Blumen ebenso wie Kriegsszenen zu sehen sind. Das Team der Volksküche, die Vokü-Muc, die ehrenamtlich für Menschen kocht, hat sich kurzerhand eine Küche aufgebaut, den Hygienestandards entsprechend, vom Gesundheitsamt abgenommen. Brauereien haben Bierbänke und Kühlschränke gespendet, das THW hat eine Feldküche bereitgestellt.

Anfang September haben sie hier 5500 warme Mahlzeiten an einem Tag gekocht. Jetzt sind es noch täglich etwa 100 bis 150 Essen, die von den Helfern am Busbahnhof, die sich ZOB-Angels nennen, dort an Flüchtlinge verteilen. "Es steht alles bereit in München", sagt Moritz Greil von der Vokü, "man muss die Gäste nur hineinlassen."

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