Asylpolitik:Bayern steckt Flüchtlinge mit U-Häftlingen in eine Zelle

Sie hoffen auf ein besseres Leben und enden im Gefängnis: In der JVA Stadelheim müssen sich weibliche Abschiebehäftlinge ihre Zelle mit Inhaftierten teilen. Die bayerische Staatsregierung sieht die Schuld dafür bei den Flüchtlingen selbst.

Moses Fendel und Andreas Schneider

Blessing C. wird die Erinnerungen an die Nächte in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim nicht mehr los: "Du schläfst mit einem offenen Auge, wenn du weißt, dass im gleichen Raum Frauen sind, die damit prahlen, schon jemanden umgebracht zu haben." Mit einer Schleuserbande war die junge Frau Anfang März aus Westafrika nach Europa gekommen. Am Münchner Flughafen wurde sie von der Polizei aufgegriffen. Damit begann für die Afrikanerin ein zweimonatiger Leidensweg.

Frauengefängnis in München Stadelheim, 2009

Der Blick in den Innenhof des Frauengefängnisses ist trist. Flüchtlingsinitiativen klagen über die Unterbringung von Abschiebehäftlingen in Stadelheim.

(Foto: Schellnegger)

Ihre Stimme klingt wütend, als sie erzählt, wie sie vom Flughafen Franz Josef Strauß direkt in die JVA Stadelheim gebracht wurde. Die Zellen im Frauentrakt des Gefängnisses waren schon belegt. Eine zusätzliche Matratze in der Mitte einer vollbelegten Vierer-Zelle musste als Schlafstätte reichen. Ihre wenigen Habseligkeiten konnte sie nur auf dem Boden daneben lagern.

Zwei Mal telefonierte sie in diesen zwei Monaten mit ihrer Familie in Westafrika, häufiger konnte sie es sich nicht leisten. Eine Vietnamesin war die einzige Frau, mit der sie in der Haft engeren Kontakt knüpfte - per Handzeichen. Seit Mai ist Blessing C., die im wirklichen Leben anders heißt, wieder auf freiem Fuß und wird von einer Flüchtlingsinitiative betreut. Ihr Asylverfahren läuft, der Ausgang ist offen. Immerhin in einem Drittel der 25.570 Fälle, über die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bis zur Jahresmitte entschieden hat, durften die Bewerber in Deutschland bleiben.

Richtlinie noch nicht umgesetzt

Dass Blessing C. zwei Monate unter diesen Umständen in Haft sitzen musste, obwohl ihr einziges Vergehen die Flucht aus ihrer Heimat war, ist kein Einzelfall in Bayern. 300 Männer und 20 Frauen durchliefen allein im ersten Halbjahr 2012 die Abschiebehaft in Stadelheim.

Während die männlichen Gefangenen zumindest in einer separaten Abteilung untergebracht sind, sitzen Frauen und minderjährige Häftlinge im regulären Strafvollzug ein - Seite an Seite mit Drogendealern und Gewaltverbrechern. Diese Praxis ist gesetzeswidrig, denn eine EU-Richtlinie zur Rückführung illegaler Einwanderer aus dem Jahr 2008 fordert eindeutig, dass Abschiebehäftlinge getrennt von Strafgefangenen untergebracht werden müssen.

Noch ist diese Richtlinie nicht in allen Bundesländern vollständig umgesetzt. Doch das könnte sich bald ändern. Im März hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe in einem Eilverfahren entschieden, dass die Inhaftierung eines 17-jährigen Somaliers in Bayern aufgehoben werden muss. Zwar argumentierte die Ausländerbehörde, ihr sei keine andere geeignete Einrichtung zur Aufnahme von Jugendlichen als die JVA Stadelheim bekannt. Der BGH wies die Begründung jedoch ab: Das sei keine Ausrede, die notwendige Trennung von Abschiebehäftlingen und Strafgefangenen nicht zu gewährleisten.

"Das Urteil ist richtungsweisend für ganz Deutschland", sagt Hubert Heinhold, Vorstand im Förderverein des Bayerischen Flüchtlingsrates und als Rechtsanwalt vertraut mit Asylfällen. Heinhold erwartet, dass sich die Lage für Abschiebehäftlinge bald grundlegend ändern wird. Drei Fälle sind derzeit am BGH anhängig, bei denen es um die Frage geht, wie die Abschiebehaft für Frauen künftig aussehen soll. Heinhold rechnet mit einer Entscheidung in den kommenden Monaten.

Zuständige Ministerien reden sich raus

Die bayerische Justiz dagegen argumentiert, dass die Asylsuchenden lediglich gemeinsam mit Untersuchungshäftlingen eine Zelle teilen - nicht mit verurteilten Straftätern. Für Hubert Heinhold keine stichhaltige Entgegnung. Auch eine Frau, die ihren Mann umgebracht habe, komme zunächst in Untersuchungshaft. Nicht nur von gewöhnlichen Strafgefangenen, sondern auch von Untersuchungshäftlingen könne also eine Gefahr für die Abschiebehäftlinge ausgehen.

Bis Karlsruhe entschieden hat, wird sich in Bayern wohl nichts ändern. Justiz- und Innenministerium erklären, es gebe kein Problem. In einer Antwort der beiden Ministerien auf eine Anfrage der Grünen im Landtag über eine mögliche Neugestaltung der Abschiebehaft in Bayern von Dezember 2011 heißt es: Abschiebehaft sei "keineswegs ein unabwendbares Schicksal, sondern Folge der selbst getroffenen Entscheidung, nicht freiwillig auszureisen".

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