Süddeutsche Zeitung

Asylbewerber protestieren in München:"Wir werden bis zum Ende kämpfen"

Kein Handynetz, kein Zugang zu Informationen, kein Kontakt zu Menschen: Asylbewerber aus dem niederbayerischen Böbrach beschreiben ihre Situation als "unmöglich". Sie sind nach München geflohen und protestieren vor dem Sozialministerium. Die Polizei will unbedingt eine Eskalation wie auf dem Rindermarkt verhindern.

Von Anna Fischhaber

Es sind nur ein paar Meter Bürgersteig, auf denen sie bis Montagabend bleiben wollen. Schlafsäcke und Isomatten hat die Stadt München verboten, nur ein offener Pavillion und Decken sind erlaubt. Dennoch wirken vor allem die sieben Flüchtlinge aus Senegal entschlossen, in der Kälte auszuharren. Wenn die Polizei sie lässt.

Zahlreiche Einsatzfahrzeuge parken am frühen Donnerstagabend vor dem Hintereingang des bayerischen Sozialministeriums in München-Maxvorstadt. Auch das USK ist zunächst vor Ort, um die etwa 50 Demonstranten in Empfang zu nehmen. Vom Hauptbahnhof waren sie mit Plakaten zum Ministerium marschiert. Hier wollen sie gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in einer entlegenen Einrichtung im Bayerischen Wald protestieren. Unter ihnen: Die Männer aus Senegal, die vor einigen Tagen aus eben jener Unterkunft im niederbayerischen Böbrach geflohen sind.

Bei einer Pressekonferenz hatten drei der Asylbewerber am Vormittag mit Hilfe einer Dolmetscherin ihre Situation geschildert: "Die Isolation, die wir jeden Tag erleben, ist unerträglich. Wir wollen wieder Teil der Welt sein", sagt ein Mann. Er und elf weitere Senegalesen hätten ihr letztes Geld zusammengekratzt, um aus der Flüchtlingsunterkunft nach München zu fliehen. Er spricht von Schikane - die ersten Stunden hätten sie in Böbrach ohne Essen verbracht, der Heimleiter habe mit der Polizei gedroht. Es gebe keinen Handyempfang und kein Internet, das nächste Dorf sei Kilometer entfernt, Kontakt zu anderen Menschen so gut wie unmöglich.

"Wir können in Böbrach kein normales Leben führen, es ist niemand da, nur Bäume und Tiere", erzählt ein anderer Mann. Abends im Wald sei es dunkel, er habe Angst, vor die Tür zu gehen. "Wir werden auf keinen Fall zurückkehren. Wir werden bis zum Ende kämpfen, bis wir keine Kraft mehr haben", sagt er. Es klingt nicht so, als könnte man ihn umstimmen.

Die Unterkunft in Böbrach liegt abgelegen im Wald. "Dschungelcamp" wird sie von Organisationen wie der Karawane München und dem Bayerischen Flüchtlingsrat genannt. Nach einem Brand wurde sie geschlossen und erst am 16. Oktober 2013 wiedereröffnet. Zwölf Senegalesen wurden daraufhin von der Erstaufnahmeeinrichtung in München nach Niederbayern umverteilt. Doch bereits nach ein paar Tagen ergriffen sie die Flucht, seit einer Woche leben sie in wieder in der Landeshauptstadt, übernachten auf der Straße oder bei Freunden.

Nun haben sie einen offenen Brief an die neue bayerische Sozialministerin Emilia Müller, Ministerpräsident Horst Seehofer und die Regierung von Niederbayern geschrieben: "Das Leben in Böbrach bedeutet für uns permanente Trostlosigkeit und bereitet uns große Probleme", heißt es darin. Der Regierungspräsident von Niederbayern weist am Donnerstagnachmittag jede Kritik von sich: "Das ist eine unserer schönsten Einrichtungen, leider ist sie etwas außerhalb", sagt Heinz Grunwald am Telefon zu Süddeutsche.de. Selbstverständlich werde die Einrichtung nicht geschlossen. "Wir brauchen jeden Platz, um die vielen Asylbewerber unterzubringen."

Die Einrichtung sei nach dem Feuer saniert worden. Das Telefon soll bald repariert werden und inzwischen habe ein Asylbewerber auch Zugang zum Nottelefon - könne also nachts einen Notarzt verständigen. Auch einen Fernsehanschluss sollen die Menschen wieder bekommen. "Die neu eingebaute Heizung funktioniert selbstverständlich. Die Zimmer mussten am ersten Tag der Neubelegung der Unterkunft erst aufgeheizt werden", heißt es in einer Pressemitteilung, die die Regierung von Niederbayern später verschickt. Auch ehrenamtliche Deutschkurse wolle man wieder anbieten. Einen Anspruch auf ein Leben in einer größeren Stadt gebe es nicht.

Die Flüchtlinge in München reagieren skeptisch, als man ihnen die Stellungnahme überbringt. "Das ist keine echte Verbesserung", sagt jemand. Sie wollen nicht nach Böbrach zurückkehren - und die Polizei scheint unentschlossen, wie sie auf den Protest reagieren soll. "Wir wollen mit Sensibilität vorgehen", hatte ein Sprecher am Morgen erklärt. Aber auch: "Es wird keinen zweiten Rindermarkt geben." Im Sommer waren mitten in der Münchner Innenstadt Flüchtlinge tagelang in den Hunger- und Durststreik getreten, schließlich hatte die Polizei das Camp geräumt.

Inzwischen hat sich einiges getan: Just am Mittwoch verkündete Sozialministerin Müller, sie wolle von bisherigen Grundsätzen der CSU-Asylpolitik abrücken und Flüchtlingen das Leben erleichtern. Statt Essenspaketen sollen Asylbewerber künftig selbst einkaufen können. Von der Abschaffung der Residenzpflicht - die Grüne und SPD fordern - war nicht die Rede. Genau gegen jene Residenzpflicht verstoßen die Flüchtlinge aus Niederbayern aber jetzt. Fährt ein in Böbrach untergebrachter Asylbewerber mit dem Zug nach München, braucht er dafür eine Genehmigung. Wird er von der Polizei kontrolliert, kann die ihn zurückbringen.

"Wir wollen keine direkte Konfrontation"

Nach der Pressekonferenz stehen gleich mehrere Polizeiwagen vor dem EineWeltHaus. Die Beamten erklären, man werde Kontrollen durchführen, sollten sich die Flüchtlinge dem Ministerium nähern. Im Keller warten die Flüchtlinge deshalb zunächst auf Unterstützer. Mit einigen Stunden Verspätung setzt sich am Nachmittag der Protestzug doch noch in Gang, begleitet von zahlreichen Polizisten. Kontrollen gibt es keine. "Wir wollen keine direkte Konfrontation", sagt der Polizeisprecher am Abend und kündigt an, dass Polizeiaufgebot zu reduzieren. Ob und wann es Kontrollen gibt, will er nicht sagen. Und so bleiben die Flüchtlinge erst einmal vor dem Sozialministerium. Bewacht von einigen Beamten.

Am Freitagmittag sind die Flüchtlinge und einige Unterstützer noch immer da. Wie lange die Protestierenden durchhalten, will derzeit aber niemand voraussagen. Das Kreisverwaltungsreferat hat Gegenstände, die an häusliche Einrichtung erinnern verboten. Und nur mit Decken ist es nachts ziemlich kalt. Zumindest ein Hungerstreik wie am Rindermarkt ist aber erst einmal nicht geplant.

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