Süddeutsche Zeitung

Asylbewerber in München:Fragebogen fragt Fluchtroute ab - Kritiker halten das für rechtswidrig

  • Zöllner haben in zwei Münchner Flüchtlingsunterkünften Fragebögen aus dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verteilt.
  • Darin sollen die Asylbewerber Angaben zu ihrer Fluchtroute machen.
  • Sozialarbeiter und ein Rechtsanwalt zeigen sich entsetzt. Das Bundesamt beruft sich auf EU-Vorgaben.

Von Inga Rahmsdorf

Es war ein ungewöhnlicher Besuch. Zöllner sind diese Woche in zwei Münchner Flüchtlingsunterkünfte gekommen, um die Asylsuchenden zu registrieren. Außerdem haben sie sechsseitige Fragebögen verteilt, die die Flüchtlinge innerhalb von einer Woche ausgefüllt an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) schicken müssen.

Elisabeth Ramzews, Leiterin der Asylsozialberatung der Inneren Mission München, zeigt sich entsetzt über das Vorgehen. So etwas habe sie noch nie erlebt. Viele der Flüchtlinge würden nun verunsichert in die Sozialberatung kommen, weil sie nicht wissen, wie und warum sie den Bogen ausfüllen sollen. Darin geht es um die Fluchtroute, um Aufenthalte in anderen EU-Staaten und um Familienangehörige.

Die Ausnahme zur Regel gemacht

Die Zöllner waren im Auftrag des Bamf unterwegs. Mithilfe des Fragebogens soll geprüft werden, ob Deutschland oder ein anderes Land für das Asylverfahren zuständig ist und ob Abschiebehindernisse dorthin vorliegen. Für den Flüchtling sind das wichtige Entscheidungen. Das in einem schriftlichen Fragebogen zu klären, ohne den Flüchtling weiter darüber zu informieren, sei rechtswidrig, kritisiert der Münchner Asylrechtsanwalt Hubert Heinhold. In der zuständigen EU-Verordnung, Dublin-III, heißt es in Artikel 5, dass die Frage, welches Land zuständig ist, in einem persönlichen Gespräch geklärt werden muss.

Allerdings kann das Bamf in zwei Ausnahmefällen von dem persönlichen Gespräch absehen. Wenn der Asylsuchende flüchtig ist oder wenn er bereits ausreichend informiert ist. Das Bamf beruft sich auf die zweite Ausnahmeregelung. Dem widerspricht jedoch Heinhold: Mit dem flächendeckenden Verteilen der Fragebögen mache das Bamf die Ausnahme zur Regel. Zudem wüssten die Flüchtlinge ja gerade nicht, worum es geht, wenn sie den Bogen in die Hand gedrückt bekommen.

Die Zöllner sind ohne Dolmetscher gekommen, die Flüchtlinge erhalten möglicherweise noch nicht einmal den Fragebogen in ihrer eigenen Sprache. Und Fragen wie "Haben Sie neue Gründe und Beweismittel, die nicht in dem früheren Verfahren geltend gemacht wurden und die ein neues Asylverfahren rechtfertigen sollen" können schon in der eigenen Muttersprache nicht ganz eingängig sein.

Seit Herbst sind mobile Bamf-Teams unterwegs

Dabei praktiziert das Bamf diese Vorgehensweise bereits seit Herbst 2015. Seitdem sind deutschlandweit mobile Teams unterwegs, insgesamt 350 Soldaten und Zöllner, die im Auftrag des Bamf und auf Anfrage der Bundesländer in Einrichtungen fahren. Sie sollen dem völlig überlasteten Bundesamt helfen, die Asylsuchenden schneller zu registrieren. 300 000 Menschen hätten sie so schon erfasst, sagt Natalie Psuja, Sprecherin der Behörde.

Und zu der Kritik, dass die Flüchtlinge nicht informiert werden, sagt sie, dass sie trotzdem anschließend noch zur Prüfung persönlich ins Bamf geladen werden. Aber warum braucht es dann überhaupt vorab den Fragebogen? Das hänge damit zusammen, dass Deutschland sich an Fristen halten müsse, um den Flüchtling an einen anderen Staat zu überweisen, sollte der zuständig sein. Und die Fragebögen sparen Zeit.

"Das Bundesamt wälzt seine Aufgaben auf die Sozialarbeiter ab", sagt Ramzews. Und die seien schließlich schon genug ausgelastet. Auf einen Sozialberater kommen in München 100 Flüchtlinge. Auch Heinhold sagt, er erhalte laufend Anfragen von Wohlfahrtsverbänden und Ehrenamtlichen, die mit den Fragebögen verzweifeln. Entweder man lasse die Dublin-Verordnung und Prüfung ganz fallen oder man mache es korrekt und halte sich an das Recht, so der Anwalt.

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SZ vom 26.02.2016/vewo
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