Asylbewerber in München:Bayern privatisiert erstes Flüchtlingsheim

Asylbewerber in München: In dieses Haus in der ehemaligen Funkkaserne sollen die Flüchtlinge einziehen.

In dieses Haus in der ehemaligen Funkkaserne sollen die Flüchtlinge einziehen.

(Foto: Robert Haas)

350 Asylbewerber sollen in die frühere Funkkaserne ziehen. Erstmals wird in Bayern dort ein privates Unternehmen die Flüchtlinge betreuen. In der Schweiz steht die Firma jedoch immer wieder in der Kritik.

Von Katja Riedel und Ulrike Steinbacher

Es ist eine kleine Revolution im Asylwesen, und beinahe hätte sie keiner bemerkt. Verkündet hat sie die Regierung von Oberbayern am Dienstagabend, im Feriensenat des Bezirksausschusses Schwabing-Freimann. Erstmals wird nämlich in Bayern ein privates Unternehmen Asylbewerber in ihrer Unterkunft rundum betreuen: 24 Stunden, an allen Tagen, ist die ORS Deutschland GmbH für die komplette Versorgung in der Funkkaserne zuständig - vom Wachdienst bis zur Küche.

Und das schon von Ende dieser, spätestens kommender Woche an. Dann, wenn etwa 350 Flüchtlinge in zwei Häusern der ehemaligen Kaserne eine Unterkunft finden sollen. In der Funkkaserne entsteht derzeit die dritte Außenstelle der völlig überfüllten Erstaufnahmeeinrichtung in der Bayernkaserne. Dort, in der Bayernkaserne, bleibe alles beim Alten, betont Florian Schlämmer, Sprecher der Regierung von Oberbayern. Hier werde man mit den "bereits jetzt schon beauftragten Dienstleistern - zum Beispiel Wachdienst oder Verpflegung - weiterarbeiten".

Während andere Bundesländer seit Jahren die Unterbringung von Asylbewerbern nach diesem Modell zu einem großen Teil privatisiert haben, hatte Bayern bisher darauf verzichtet. Einen großen Schritt sieht die Bezirksregierung in ihrem Vorgehen nun dennoch nicht: Schon bisher habe man mit Dienstleistern zusammengearbeitet; neu sei allein, dass man die verschiedenen Aufgaben nun gebündelt einer Firma übertrage, erklärte Schlämmer.

Die Funkkaserne wird teilprivatisiert

Die Funkkaserne werde nicht komplett privatisiert, das Hausrecht behalte die Regierung. Doch den Betrieb hat künftig ORS in der Hand. Was der Staat dafür an die Firma zahlt und wie lange der Vertrag läuft, dazu wollten sich beide Seiten nicht äußern. Man habe Angebote von drei Anbietern eingeholt und sich für ORS entschieden, heißt es bei der Regierung. Ein Ausschreibungsverfahren habe es aufgrund der Dringlichkeit nicht gegeben, sagt Schlämmer. Die Regierung sei an das Unternehmen herangetreten, heißt es bei ORS.

Das verwundert: Denn für die Firma, die sich um Einrichtung, Verwaltung, Wachdienst, Küche, Transfers und Wäsche kümmern soll, ist es der erste Auftrag in Deutschland. Überhaupt ist die deutsche Tochter der Schweizer Aktiengesellschaft erst wenige Tage alt. Geschäftsführer Stefan Moll-Thissen, der am Dienstag eigens nach Freimann gekommen war, leitet auch die Tochterfirma in Österreich. Dort ist ORS seit 2012 aktiv und betreut mittlerweile acht Aufnahmeeinrichtungen komplett.

"Wir werden ein Gesicht haben"

In der Schweiz gibt es die Mutterfirma ORS Service AG und ihre Vorgängerin seit dem Jahr 1979. 1991 übernahm sie die erste Asylbewerberunterkunft in Liestal im Kanton Baselland. Inzwischen ist ORS ein großer Player: Schweizer Medien berichteten, dass die AG 2010 einen Umsatz von 55 Millionen Franken erzielt habe. Nach eigenen Angaben betreut die Firma in der Schweiz derzeit in fünf Kantonen und im Auftrag von 40 Gemeinden insgesamt 4500 Asylbewerber, sowohl in Erstaufnahmeeinrichtungen als auch in Gruppenunterkünften.

Die AG gehört zumindest teilweise einer Private-Equity-Firma und einer Holding, die im steuerlich attraktiven Kanton Zug beheimatet sind. Der Name des ORS-Geschäftsführers Moll-Thissen taucht auch bei der Holding auf. In der Schweiz steht das Unternehmen immer wieder in der Kritik: Weil es sich an den Flüchtlingen bereichere, so der Vorwurf, aber auch, weil die Zustände in einzelnen Unterkünften miserabel seien. Wirtschaftliches Handeln sei nicht losgelöst von ethischen-moralischen Grundsätzen, heißt es dazu bei ORS. "Wir arbeiten nach wirtschaftlichen Kriterien und gehen haushälterisch mit den Mitteln um."

Stadtrat billigt Geld für Sozialarbeiter

Ein bisschen knatschig sind sie schon im Münchner Stadtrat, dass nun die Kommune zahlen soll, damit der Freistaat seine Zusagen einhalten kann. "Zugegeben bin ich nicht gern über meinen Schatten gesprungen, um der bayerischen Staatsregierung Geld vorzuschießen", sagt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Nur: Es müsse schnell gehen, "wir können nicht über 2015 oder 2016 reden". Und so kann die Innere Mission, die die Flüchtlinge in der Bayernkaserne betreut, jetzt acht zusätzliche Mitarbeiter einstellen. Der Feriensenat des Stadtrats bewilligte einstimmig einen entsprechenden Zuschuss an die Innere Mission - knapp 164 000 Euro im bereits begonnenen Jahr, jeweils 491 000 für 2015 und 2016.

Ob der dafür eigentlich zuständige Freistaat das Geld zurückzahlt, ist offen. Zwar verweist Sozialreferentin Brigitte Meier (SPD) auf Zusicherungen des Sozialministeriums, einer Aufstockung des Personals positiv gegenüberzustehen. Konkret zugesagt ist bislang aber nichts; die Stadt hofft auf eine Erstattung von 70 Prozent. Es sei schon verwunderlich, dass der Freistaat in seinem 48-Milliarden-Haushalt keine 164 000 Euro auftreiben könne, erklärte Reiter. Nun springe eben die Stadt (Haushaltsvolumen: etwa sechs Milliarden Euro) ein. Mit den neuen Mitarbeitern kann der zwischen Stadt und Freistaat schriftlich vereinbarte Schlüssel von einem Betreuer je 100 Flüchtlinge erreicht werden. Ohnehin hält es das Sozialreferat für möglich, dass in absehbarer Zeit deutschlandweit verbindliche Standards für die Asylsozialarbeit eingeführt werden. Denn die Europäische Union hat eine Richtlinie verabschiedet, die allen Flüchtlingen umfassende Beratungsangebote garantiert.dh

Es gebe zudem viele positive Referenzen von Auftraggebern aus der Schweiz. Moll-Thissen sagte am Dienstag, dass die Firma die Flüchtlinge in München nicht nur versorgen, sondern auch deren Tage sinnvoll strukturieren wolle - zum Beispiel beim gemeinsamen Putzen der Unterkünfte. Vor Ort führe künftig ein Betriebsleiter die Geschäfte. "Wir werden ein Gesicht haben", sagte Moll-Thissen. Weitere konkrete Pläne für einen Ausbau des Geschäfts in Bayern oder in anderen Bundesländern gebe es noch nicht.

5,1 Millionen Euro für die Sozialberatung

Dass gewinnorientierte Unternehmen nun auch in Bayern die Betreuung von Asylbewerbern als Gesamtpaket übernehmen, sieht Andreas Herden von der Inneren Mission München als "spannende Entwicklung, die man gut beobachten muss". In Österreich sei der Einstieg von ORS nicht folgenlos geblieben: Dort hat sich die Diakonie inzwischen aus der Asylsozialberatung zurückgezogen, weil die ORS dies übernommen habe. "Ich hoffe, dass wir das in Bayern nicht tun." Positiv findet Herden nämlich, dass das Arbeitsfeld der Inneren Mission, die Sozialberatung also, geschützt wird. "Ich bin sehr gespannt. Das kann ein zukunftsfähiges Erfolgsmodell, aber auch durchaus schwierig werden."

ORS teilte mit, dass sich die Frage nach der Übernahme der Sozialberatung nicht stelle. Diese ist in Bayern nicht vertraglich vergeben. Die Wohlfahrtsverbände organisieren sie bisher selbst, der Freistaat fördert sie - freiwillig, wie das Sozialministerium betont. Dafür habe Bayern seit 2011 die Förderung von 1,4 auf derzeit 5,1 Millionen Euro erhöht. In den nächsten beiden Jahren sei geplant, die Summe jährlich um zwei Millionen Euro aufzustocken.

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