Es gibt da ein Foto aus dem Jahr 1931, das Oskar von Miller mit einer Delegation aus den USA zeigt. Der Gründer des Deutschen Museums dominiert die Aufnahme und blickt selbstbewusst in die Kamera, während schräg hinter ihm – man muss zweimal hinschauen, um ihn zu erkennen – ein weiterer Mann fast verstohlen zwischen zwei Köpfen hervorlugt. Dabei hätte dieser „Landesbaurat Schönberg“, wie es am Bildrand vermerkt ist, allen Grund, sich nach vorne zu drängen.
Schließlich ist er ein bedeutender Ingenieur und eine der prägendsten Figuren in den Anfangsjahren des Deutschen Museums. Doch der Mann hält sich im Hintergrund, und das nicht nur auf jenem Foto, das symptomatisch für Arthur Schönberg ist – in seiner Rolle direkt neben dem Technik-Pionier von Miller, aber dezidiert in der zweiten Reihe.
„Der Name Arthur Schönberg ist selbst im Deutschen Museum wenig bis gar nicht bekannt“, sagt Wilhelm Füßl. „Die Erinnerungen an ihn sind weitgehend verblasst.“ Um dies zu ändern, hat der langjährige Archivleiter des Museums eine Biografie über den Cousin des Komponisten Arnold Schönberg verfasst. „Arthur Schönberg. Ein Ingenieurleben im Schatten Oskar von Millers“ beleuchtet nicht nur das Leben und Werk des in Wien geborenen Juden, der unter anderem als „wahrer Schöpfer des Walchenseekraftwerks und des Bayernwerks“ gilt. Sondern Füßl blickt in seinem Buch auch auf sein schreckliches Ende im Ghetto Theresienstadt, wo Schönberg 1943 verarmt und verlassen verstirbt – angeblich an einer Lungenentzündung.

„Mir war es wichtig, diesen Akteur aus der zweiten Reihe zu untersuchen“, sagt Wilhelm Füßl, der für sein Buch mehr als 30 Jahre lang recherchiert hat – unter anderem wegen der spärlichen Quellenlage. „Es war ein unendliches Suchen nach Material. Und so habe ich Mosaiksteinchen für Mosaiksteinchen zusammengetragen.“ Erstmals, so Füßl, sei er bei der Recherche für seine Biografie über Oskar von Miller auf den Namen Arthur Schönberg gestoßen. Oder genauer gesagt: auf das Kürzel „Sch“, das in den Akten des Deutschen Museums allenthalben auftauchte. „Ich wollte wissen: Wer ist dieser „Sch“?“, sagt der heute 69-Jährige. „Und dann bin ich auf eine wirklich große Geschichte gestoßen.“
Diese handelt von einem 1874 in Wien geborenen Ingenieur, der 1900 zum Planungsbüro Oskar von Millers in München stößt. Dort avanciert er zum wichtigsten Mitarbeiter des Chefs und steigt später auch zum Gesellschafter auf. Unter anderem zeichnet Schönberg die Pläne fürs Walchenseekraftwerk und Bayernwerk – während den Ruhm dafür Oskar von Miller einheimst. Überdies könne der Ingenieur aus der zweiten Reihe als „Vater des Elektroherds in Deutschland“ gelten, sagt Füßl. „Denn er hat 1926 und 1927 in Schwandorf und Schweinfurt das elektrische Kochen eingeführt.“
Besonders eng verbunden ist Schönberg auch mit dem Herzensprojekt seines Chefs: dem 1903 gegründeten Deutschen Museum. „In den ersten drei Jahrzehnten war er bei allen Gremiensitzungen anwesend“, sagt Wilhelm Füßl. „Allerdings ist kein einziger Wortbeitrag von ihm überliefert.“ Dabei ist Schönberg wissenschaftlicher Sammlungsleiter, von ihm stammt die ursprüngliche Fachgebietseinteilung im Museum, und er kümmert sich auch um die Anwerbung von Objekten wie etwa den Kobell-Fotografien, den ersten Fotografien Deutschlands.

„Oskar von Miller war die Frontfigur, aber die Arbeit hat Arthur Schönberg gemacht“, sagt Füßl. Sein Wirken im Hintergrund sei dem zurückhaltenden Menschen dabei nicht ungelegen gekommen. „Einer der Gründe könnte gewesen sein, dass er eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte hatte und daher sehr undeutlich gesprochen hat“, mutmaßt Füßl. Womöglich hätten aber auch antisemitische Angriffe eine Rolle gespielt. Entsprechende Belege finden sich bereits 1907. „Diese Vorwürfe setzen sich danach fort bis in die NS-Zeit“, sagt Füßl. Nach der Machtergreifung der Nazis 1933 wird Arthur Schönberg als Jude zunehmend schikaniert, enteignet und entrechtet. Seine gegenüber der Tochter geäußerte Einschätzung „Was kann mir schon passieren?“ erweist sich bald als fatale Fehleinschätzung. So wird aus einem wohlhabenden Ingenieur binnen weniger Jahre ein mittelloser Mann, der nach einer Inhaftierung im KZ Dachau doch noch ausreisen will, was jedoch am Geld scheitert. Und so werden Schönberg und seine Ehefrau 1942 ins Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie nacheinander sterben.
In der Folge geraten Arthur Schönberg und seine Verdienste ums Deutsche Museum zunehmend in Vergessenheit – wegen seiner Rolle in der zweiten Reihe und weil sein Nachlass größtenteils zerstört wurde, aber auch aufgrund der Bemühungen des NS-Regimes, die Lebensverläufe von Jüdinnen und Juden aus dem historischen Gedächtnis zu löschen. „Es wäre höchst wünschenswert, wenn künftig in München, in der Stadt, in der Arthur Schönberg 42 Jahres seines Lebens wirkte und wohnte, seine Person und seine Leistungen öffentlich gewürdigt würden“, schreibt Wilhelm Füßl in seinem Buch. Sei es durch eine Straßenbenennung, in einer Ausstellung oder durch ein Denkmal – dann nicht in der zweiten, sondern in der ersten Reihe.
Wilhelm Füßl: Arthur Schönberg (1874 – 1943). Ein Ingenieurleben im Schatten Oskar von Millers, 272 Seiten, 30 Euro.