Armut in München:Von der Hand in den Mund

Sie gefährden ihr Leben, um ihr Nachtquatier zu erreichen: Nun wurden die Rumänen von der Polizei festgenommen. Bis zu 2000 Bettler leben in München. Doch die Beamten gehen nur gegen organisierte Banden vor.

Susi Wimmer

Sie zogen mit Decken, Rucksäcken und Matratzen über die Gleise, gefährdeten ihr Leben, um ihr Quartier erreichen zu können - den heruntergekommenen ehemaligen Güterbahnhof Steinhausen. 17 Frauen und Männer nahm die Polizei am Donnerstag vorläufig fest. Sie stammen aus einem kleinen rumänischen Dorf, gehören dort einer Minderheit an und versuchen sich in München mit Betteln über Wasser zu halten. Bis zu 2000 Menschen, schätzt Alexander Thal von der Caritas, schlagen sich auf diese Weise in der Landeshauptstadt durch.

Poverty in central Athens

Etwa 2000 Bettler gibt es in München - viele von ihnen kommen aus Rumänien.

(Foto: dpa)

Seit etwa drei Wochen tauche die Gruppe mit Männern und Frauen im Alter zwischen 17 und 41 Jahren immer wieder im Stadtbild auf, sagt Berti Habelt von der Bundespolizei. Untertags betteln sie, gegen Abend treffen sie sich an S-Bahnstationen und suchen ihr Nachtquartier auf. Am Donnerstag schrieben seine Kollegen eine Anzeige gegen die Gruppe wegen Hausfriedensbruch und unerlaubten Aufenthalts im Gleisbereich.

Die Menschen kommen aus Baraolt in Zentralrumänien, einem 9000-Einwohner-Ort, der in erster Linie von Ungarn bevölkert wird. Da die 17 Personen in Deutschland keine Adresse vorweisen konnten, wurde als Zustellungsbevollmächtigte für weitere behördliche Vorgänge eine Bundespolizistin eingesetzt. Dann durften die zwei Familien die Wache verlassen. "Sie waren kooperativ, wussten aber auch genau, was sie auszusagen hatten", sagt Berti Habelt. Das heißt, sie gaben ihre Personalien an, räumten ein, dass sie als Bettler unterwegs, aber nicht aufdringlich seien.

Das ist der Punkt: Denn die Stadt geht mit der Polizei seit Jahren rigoros mit Bettlern um. In der Fußgängerzone beispielsweise ist betteln generell verboten. Organisiertes Betteln wird als Verstoß gegen das Bayerische Straßen- und Wegegesetz geahndet. Nur, wer entscheidet, ob ein Bettler einer "Bande" angehört, ob es sich um organisierte Kriminalität handelt, also um eine Struktur mit Anführern, die andere zum Betteln zwingen, sie ausbeuten? Die Polizei gibt zum Thema nur ein schriftliches Statement ab: "Umfangreiche polizeiliche Maßnahmen haben in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass insbesondere Bettler aus südosteuropäischen Ländern oftmals organisiert der Bettelei nachgehen."

Als sich 2007 ausländische Bettler bei der Münchner Tafel Essen holten, war das Geschrei groß: Organisierte Banden! Alexander Thal von der Caritas schaltete einen Übersetzer ein. Und er entdeckte Menschen, die hier in großer Not leben. Bulgaren und Rumänen, Roma oder türkische Minderheiten, die in ihrer Heimat in Ghettos leben, keine Sozialleistungen erhalten, keinerlei Chance auf Arbeit haben. Menschen, die in einem Abrissbahnhof in Deutschland bessere Bedingungen vorfinden als zu Hause. Thal half damlas. Heute teilen sich zwei Caritas-Mitarbeiter eine halbe Stelle, um diese Menschen etwa bei Behördengängen oder der Suche nach Arbeit zu unterstützen. Denn die Neu-EU-Bürger dürfen eine Stelle nur antreten, wenn sich kein anderer Arbeitsloser dafür findet.

Bezahlbare Wohnungen zu mieten sei in München ohnehin utopisch, es bleibt nur die Obdachlosigkeit, ein Platz im Arbeiterwohnheim oder einem Vermieter ein paar hundert Euro zu zahlen, der in einem Abbruchhaus die Betten einzeln vermietet. Diskriminierung kennen diese Menschen zur Genüge, bei den Caritas-Helfern tauen sie auf, sind offen und vertrauensselig. Was Thal nervt, ist die Tatsache, dass immer "alle sofort in die Bettelbanden-Kiste gestopft" und von der Polizei verfolgt werden. Er ist der Meinung: "Im Zweifelsfall für den Angeklagten."

Die Gruppe vom Güterbahnhof wird laut Habelt "definitiv nicht verfolgt". Sie zieht weiter in der Stadt. Am Freitag wurde sie in Pasing gesichtet.

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