Süddeutsche Zeitung

Architektur:Von der Pappschachtel zur Architektur-Ikone

Die Ausstellung "Neue Nachbar*innen" in der Pinakothek der Moderne gibt Einblicke ins Archiv des Architekturmuseums.

Von Evelyn Vogel, München

Bei manchen Modellen ist man überrascht, wie simpel, ja fast grobschlächtig sie wirken. Als ob sie auf den letzten Drücker eben noch schnell aus Pappe zusammengeklebt und mit ein bisschen Farbe bestrichen worden wären. Andere wiederum sind so detailliert ausgearbeitet, als ob es sich ein Liebhaber von Laubsägearbeiten zur Lebensaufgabe gemacht hätte, die Modelle herzustellen. Wenn man sie mit all den computeranimierten Renderings aus den Büros der Star-Architekten vergleicht, die einem seit einigen Jahren fast perfekte Illusionen von Bauprojekten vermitteln, wird offensichtlich, wie viel Handarbeit Architekten früher investieren mussten, um ein Projekt zu planen.

Vieles davon landet irgendwann im Müll - selbst wenn das Projekt realisiert wurde. Manches aber fand und findet Eingang in ein Archiv, wie es das Architekturmuseum der TU München unterhält. Dabei handelt es sich um Planungsmaterial zu einzelnen Projekten wie auch um komplette Nachlässe von Architektinnen und Architekten - oder Vorlässe, falls die Übergabe zu Lebzeiten arrangiert wurde. Eine Auswahl von Neuzugängen aus den zurückliegenden Jahren sowie einige Objekte aus dem Altbestand stellt nun die Ausstellung "Neue Nachbar*innen" in der Pinakothek der Moderne vor. Nicht nur findet die Ausstellung mit einjähriger coronabedingter Verspätung statt, mittlerweile haben auch mehrere Kuratorinnen daran gearbeitet, zuletzt Barbara Wolf. Die Ausstellung soll die Vielseitigkeit der Sammlung sichtbar machen und zeigt neben den klassischen Handskizzen und Zeichnungen auch CAD-generierte Plansätze, Architekturfotos, Wettbewerbs-, Konstruktions- und Arbeitsmodelle sowie 3D-Renderings von Projekten in München, aber nicht nur. Ergänzt wird dies alles von Interviews, um, wie Andres Lepik, Direktor des Architekturmuseums, sagt, "die Objekte zum Sprechen zu bringen".

Am besten lässt man sich von Insel zu Insel treiben

Auf großen Tischen, die sich wie streng geordnete Inseln durch den Raum ziehen, wurde versucht, die ausgewählten Materialien nach Themen zu ordnen, wie Landschafts- und regionale Architektur, NS-Bauten und Wiederaufbau, Wohnen und Bildung für alle, Hochschul-, Museums-, Kultur- und Sakralbauten und vieles mehr. Was so gar nicht in eine der Kategorien zu passen schien, wurde unter dem Stichwort "Wunderkammer" zusammengefasst. Doch der Versuch, die Vielfalt der Projekte in eine Ordnung zu zwingen, ist nicht wirklich zielführend. Deshalb ist es besser, man lässt sich von Insel zu Insel treiben und hangelt sich mit Hilfe der Modelle, Texte, Fotos und Pläne von Projekt zu Projekt.

Dabei gibt es durchaus Entdeckungen zu machen. Eine davon ist die Wohnanlage am Dantebad, von der man zur Zeit der Ideenfindung viel gehört hatte, die dann aber aus dem Blickfeld verschwand, wenn man nicht gerade zu den Dantebadbesuchern zählt, die mit dem Auto den Parkplatz ansteuern. Als 2015 in der Folge der sogenannten Flüchtlingskrise die in München schon herrschende Wohnungsnot noch schlimmer wurde, erhielt Florian Nagler den Auftrag, den Parkplatz am Dantebad zu überbauen. Leicht, schnell, modular - und vor allem bezahlbar sollte die Lösung sein. Mit Hilfe eines vorgefertigten Holzbausystems, das vor Ort zusammengesetzt wurde, entstand in nur einem Jahr eine Wohnanlage mit 100 Wohneinheiten. Von den 111 Parkplätzen mussten gerade mal vier "geopfert" werden. Seither gilt die Anlage auf dem Dantebadparkplatz als Musterbeispiel dafür, wie auch in einer dicht bebauten Stadt schnell und kostengünstig Wohnraum geschaffen werden kann, "wenn Architekt*in, Bauträger*in und Genehmigungsbehörden kreativ und konstruktiv zusammenarbeiten", wie es im sehr empfehlenswerten Katalog zur Ausstellung heißt.

Doch nicht nur durch Schenkung kamen und kommen Materialien ins Archiv des Architekturmuseums. Mitunter werden sie gezielt eingefordert, um Lücken im Archiv zu schließen, wie das beispielsweise beim islamischen Forum in Penzberg der Fall war. Als Lepik feststellte, dass zwar diverse christliche Sakralbauten sowie Synagogen im Archiv dokumentiert waren, nicht aber Moscheen, bat er den Architekten Alen Jasarevic um die Unterlagen. Pläne, Zeichnungen und Modelle sowie sehr schöne Architekturfotografien künden von dem Projekt, das von 2003 bis 2005 umgesetzt wurde.

Um noch einmal zu den sehr verschiedenartigen Modellpräsentationen zurückzukommen: Wer häufiger die Leopold-Kinos besucht, sollte auch das Wohn- und Geschäftshaus in der Nummer 78 kennen, das Otto Steidle und Partner zwischen 1994 und 1999 realisierten. So richtig wahr nimmt man es nur, wenn man von Norden kommt oder von der gegenüberliegenden Seite. Kommt man von der U-Bahn und strebt gen Kinosaal, gerät das Gebäude gar nicht erst ins Blickfeld. Was schade ist, denn das gelbe Gebäude (die Farbgestaltung stammt von Erich Wiesner) mit dem abgerundeten Eck, dem auskragenden Dach und den unterschiedlichen, teils sehr hohen und schmalen sowie kleinen und quadratischen Fenstern ist ungemein markant und gerne auch zwei Blicke wert. Wer allerdings vor dem Modell in der Ausstellung steht, denkt sich erstmal: Was für eine seltsame Pappschachtel! Welch ein Glück, dass der Entwurf trotz der etwas bescheidenen Ausführung des Modells realisiert wurde.

Neue Nachbar*innen. Einblicke ins Archiv, Architekturmuseum der TUM in der Pinakothek der Moderne, Barer Str. 40, Di-So 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr, Katalog, Hg. Andres Lepik und Mariann Juha, 19,90 Euro

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