Als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Diese Redensart benutzt man gern, wenn jemand zu viel verspricht, dann aber im Ergebnis stark nachlässt. Den Spruch kann man ganz gut auf die Situation um das Neu- und Umbauprojekt für Deutschlands älteste Stadtjugendherberge an der Wendl-Dietrich-Straße in Neuhausen, ganz in der Nähe des Rotkreuzplatzes, anwenden. Die Stadtgestaltungskommission hat nun mit nur einer Gegenstimme das ungewöhnliche und anfangs auch sehr spektakuläre Fassadenkonzept für den Neubau abgelehnt. Selbst ein "entschärfter" Entwurf des Berliner Architektenbüros Graft fand bei den Experten, die sich speziell um das Stadtbild kümmern, keinen Gefallen.
Weg vom Image einer urigen Billigunterkunft mit einem dauermürrischen Herbergsvater und hin zum attraktiven modernen Design-Komplex - das ist der Anspruch des Landesverbands Bayern des Deutschen Jugendherbergswerks. Vor drei Jahren lud er zum Architektenwettbewerb. Der Auftrag lautete, den denkmalgeschützten Altbau an der Wendl-Dietrich-Straße zu modernisieren und um die Ecke, gegenüber dem Winthirplatz, einen Neubau mit Innenhof zu errichten. Dort soll auch der künftige Hauptzugang zur Jugendherberge sein. Der Siegerentwurf des Büros Graft war in der Tat außergewöhnlich.
Den Berliner Architekten sagt man nach, sie hätten mit ihren hippen Entwürfen und ihrem unverwechselbaren Stil Trends gesetzt, vielleicht sogar auch Popstar-Status erreicht. Aktuell plant Graft in München das Design des sogenannten Apassionata Parks in Fröttmaning. In unmittelbarer Nähe zum Fußballstadion soll eine Pferde-Erlebniswelt mit Showpalast und verschiedenen Themenpavillons entstehen. Auch hier ist die Architektur ein ganz wesentlicher Faktor der Inszenierung mit einem hohen Anspruch an visuell spannende Bauten.
Der erste Entwurf für den Hauptzugang zur Jugendherberge in Neuhausen löste einen Aha-Effekt aus. Für die Fassade des Neubaus war eine schimmernde Metallverkleidung vorgesehen. Beherrschend war aber ein fast schon wild eingeschnittenes Foyer, das sich über zwei Geschosse erstreckte. Für Graft sollte dies die Visitenkarte der Architektur sein und einen besonderen Erlebnis- und Begegnungsraum für die meist jugendlichen Gäste markieren. Auch im Innern wirkt der Bau nicht wie das Bild, das man gewöhnlich von einer Jugendherberge hat. Hier soll man Lust haben sich aufzuhalten und zu treffen, heißt es bei Graft: Wie auf einem modernen "Schwarzen Brett" sollen Grafiken und QR-Codes, Miniscreens und Projektionen von Stadtplan, Facebook- und Twitterseiten Teil dieses Kommunikationsraumes sein.
Im Mai soll der Antrag auf Baugenehmigung eingereicht werden. Im Verlauf des bisherigen Planungsprozesses ist der Effekt-Faktor mit der Eingangsfassade schon sehr deutlich reduziert worden. Putz statt Metall heißt es nun für das Erscheinungsbild der Hausfront. Der Foyereinschnitt ist keineswegs mehr so spektakulär wie in der Ursprungsfassung.
Aber auch dieses abgespeckte Konzept kam bei den Architekturexperten der Stadtgestaltungskommission nicht gut an. Manfred Kovatsch sprach von einer "aufgeregten Gestaltung". Jürg Sulzer fragte: "Geht es nicht ein wenig bescheidener?" Architektenkollegen wie Jórunn Ragnarsdóttir, Ulrike Lauber, Andreas Meck und der Generalkonservator des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege, Mathias Pfeil, wandten sich klar gegen den Entwurf. Ihre Argumente: Der Neubau passe nicht in das Umfeld des Winthirplatzes. Wie ein Fremdkörper sprenge er den Maßstab des Ortes. Die formale Geste des Foyer-Einschnitts sei alles andere als überzeugend. Man müsse sich fragen, ob diese Art der Architektur überhaupt zu einer Jugendherberge passe.
Auch Matthias Sauerbruch äußerte sich kritisch zu Detailfragen der Planung. Grundsätzlich befürwortete er jedoch den Entwurf: "Wenn ein Bauherr schon einmal bereit ist, dieses Experiment zu wagen, dann sollte man es auch zulassen." Die Stadträtin und Vorsitzende des Bezirksausschusses Neuhausen-Nymphenburg, Anna Hanusch (Grüne), findet den überarbeiteten Entwurf "fast schon langweilig". Das ursprüngliche Konzept habe sie mehr angesprochen, obwohl es auch für Unruhe unter den Bewohnern des Viertels gesorgt habe. Hanusch gehörte der Kommission allerdings nur als Gast an.
Sauerbruch blieb bei der Abstimmung der einzige Befürworter des Konzepts. Nun muss dieses erneut überarbeitet und dann der Kommission wieder vorgelegt werden.