Baukultur in München:"Die 99-Meter-Grenze ist absolut lächerlich"

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Die Wohn-Hochhäuser "Friends" am Hirschgarten sind ein Beispiel für zeitgenössische Baukultur. (Foto: Michael Nagy, Landeshauptstadt München)

Die Münchner Architekten Andreas Hild und Dionys Ottl über Hochhäuser, die Zwänge ihrer Zunft und die Frage, was eine gute Baukultur ausmacht.

Interview von Sebastian Krass

Andreas Hild, 57, ist Dekan der Fakultät für Architektur an der Technischen Universität München. Zudem betreibt er mit zwei Partnern das Architekturbüro Hild und K, das unter anderem den Umbau des Wirtshauses Donisl am Marienplatz verantwortet hat. Dorthin führt Hild auch zum Gespräch über Baukultur, seinen Büropartner Dionys Ottl bringt er mit.

SZ: Nehmen wir an: Zu Ihnen kommt ein Studierender und will Tipps, wo er zeitgenössische Baukultur in München erleben kann. Wo würden Sie ihn hinschicken?

Andreas Hild: Die Frage zielt zunächst auf Gebäude. Spontan würden mir die Wohn-Hochhäuser "Friends" am Hirschgarten von Allmann Sattler Wappner einfallen, im Rest des Quartiers gibt es auch Ecken, die nicht so interessant sind. Das ist ganz normal, die Mischung aus guten und nicht ganz so guten Gebäuden konstituiert eine Stadt. Aber wenn wir über Baukultur reden, müssen wir über den kooperativen Gedanken sprechen.

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Was meinen Sie damit?

Kultur ist etwas, das uns von anderen Lebewesen unterscheidet: dass wir Menschen in großer Zahl zu Kooperationen fähig sind. Baukultur ist das Ergebnis einer Kooperation. Deswegen finde ich es nicht gut, wenn wir da nur nach der Arbeit der Architekten fragen. Baukultur sind wir alle: Bauherren und Grundstücksbesitzer mit ihren wirtschaftlichen Interessen; Politiker, die den gesetzlichen Rahmen schaffen; Bürger, die sich einbringen können und sollen.

Aber Architekten werden am ehesten herangezogen.

Ja, die kriegen auf den Hut. Aber das würde ich bis zu einem gewissen Grad von uns weisen. Es gibt Rahmenbedingungen, die der eine Architekt schlauer nutzt und der andere weniger schlau. Aber die Baukultur kann man nicht auf diese paar Prozent Entscheidungsfreiheit des Entwerfers reduzieren.

Seit knapp einem Jahr gibt es eine Debatte über die Qualität von neuen Gebäuden. Werden die Zwänge, in denen Architekten stecken, zu wenig berücksichtigt?

Wenn ich in ein tolles Restaurant gehe, ist es nicht meine Aufgabe wahrzunehmen, was der Koch für Zwänge hat. Ich kann verstehen, wenn eine Gesellschaft oder ein Passant sagt: Die Architektur schmeckt mir nicht. Das ist legitim. Wenn die Gesellschaft sagt: Es muss sensationell schmecken, darf aber nur 4,80 Euro kosten, dann wird es kompliziert. Und wenn der Politiker, der womöglich auf Stimmenfang ist, mit den gleichen Argumenten auf mich einhaut wie der Passant, dann finde ich das auch schwierig. Weil der Politiker darüber mitbestimmt, was der Bauherr für den Grund zahlen musste - und damit auch, was sich daraus für Zwänge in der Architektur ergeben. Wenn der Politiker nur sagt: Du blöder Architekt hast ein hässliches Gebäude gemacht. Das ist mir zu wenig. Die Politiker dürfen schimpfen. Aber sie müssen auch bereit sein, an den Schrauben zu drehen. Politiker sind Teil des Spiels.

Ein anderer sind Bürger. Ihre Beteiligung in der Stadtplanung ist viel ausgeprägter als früher. Wie erleben Architekten das?

Vor 50 Jahren hat manche Sachen vermutlich auch mal der OB allein entschieden. Als Demokrat muss ich eine zunehmende Demokratisierung begrüßen, das fällt mir als Architekt nicht immer leicht. Heute haben wir auch die Aufgabe, Bürgerinitiativen zu koordinieren. Dahinter steckt das Denken: Soll der Architekt doch einen Entwurf machen, mit dem alle zufrieden sind. Lösen Sie das bitte mit der Gestaltung, heißt es dann gern. Das geht aber nicht immer, weil der Druck von viel mehr Seiten kommt. Und dann heißt es: Warum baut ihr nicht mehr so schön wie 1890?

Und die Antwort darauf ist?

(Nun schaltet sich Hilds Büropartner ein.)

Dionys Ottl: Damals war zum Beispiel keine Tiefgarage mit vorgeschriebener Rampenneigung unterzubringen. Und in der Fassade war nicht die Einfahrt dafür zu sehen. Oder: Früher hatte ein Wohnhaus ein Untergeschoss. Heute geht ein Neubau mit den Untergeschossen fast so in die Tiefe wie die Obergeschosse in die Höhe: Lagerfläche, Tiefgarage für Autos und Fahrräder, Lüftungstechnik. Das kostet viel Geld. Früher musste man in einem Bürogebäude keine 80 Zentimeter abgehängten Decken haben, die Klimatechnik aufnehmen. Weil heute jeder Mensch das Anrecht hat, dass es nicht wärmer als 26 Grad wird am Arbeitsplatz. Das gehört zur Baukultur und prägt Gebäude heutzutage. Oder, anderes Beispiel, das Rathaus gleich hier gegenüber. Da ist die Fassade eine Ziegelmauer mit einer Natursteinschale im Verbund.

Das würde heute nicht mehr gehen?

Hild: Nein, erstens gibt es keine zugelassene Konstruktion mehr, die eine Ziegelschale mit einer Natursteinschale so verbindbar macht. Und zweitens ist die Dicke der Wand vermutlich mehr ein Meter. Da würde mir heute jeder, inklusive OB und Stadtrat, den Vogel zeigen, wie man so viel Nutzfläche verschenken kann.

Klingt, als hätten Architekten es heute schwerer als die Kollegen vor 100 Jahren.

Hild: Nicht unbedingt. Georg von Hauberisser, der das Rathaus gebaut hat, hat bestimmt genauso viel geklagt: weil er eigentlich gotisch bauen wollte, das aber gar keine gotische Konstruktion ist. Dafür hätte es massiven Naturstein gebraucht und nicht Ziegel mit vorgesetztem Naturstein.

Die Diskussion um die Akzeptanz von Architektur macht sich oft an einzelnen Gebäuden fest. Eines, das seit Jahren in der Kritik steht, sind die Welfenhöfe in der Au. Ihr Büro hat einen der Gebäudeteile entworfen. Wie sehen Sie die Welfenhöfe ?

Hild: Das ist aus unserer Sicht ein Drama, dass das so wahrgenommen wird. Sowohl der Bauherr, die Bayerische Hausbau, als auch alle Architekten haben auf höchste Qualität gesetzt. Aber das, was die Wahrnehmung am Ende bestimmt, ist die Farbe, die relativ einheitlich gewählt wurde, um die Blockbebauung - typisch für das Viertel - auch als solche lesbar zu machen.

Silbergrau in Schattierungen.

Hild: Na ja, es ist als Silber gedacht gewesen. Und es ist mit hohem Aufwand produziert worden, was von Architekten vorgeschlagen wurde. Der Bauherr ist mitgegangen und hat auf Rendite verzichtet.

Ottl: Dass das Ganze nun als "monotones Grau" wahrgenommen wird, hat seine Gründe vielleicht auch im gesellschaftlichen Bereich. Die Welfenhöfe wollen verschiedene soziale Gruppen unter einem Dach unterbringen. Die Hierarchisierung zwischen gefördertem und Eigentumswohnungsbau wurde bei der Entwicklung vermieden. Das scheint nicht überall gut anzukommen. Tatsache aber ist: Es gab einen hohen Ehrgeiz, im Sinne der Allgemeinheit etwas Schönes zu schaffen.

Gute Baukultur zu schaffen?

Hild: Genau. Zu sagen, dass die Gestalt der Welfenhöfe billig ist, das ist einfach falsch. Im Vergleich zur milchkaffeebraunen Hirschgarten-Bebauung, abgesehen von den Highlights dort, ist das eine deutlich teurere, engagiertere Ausführung. Die Produzenten haben alles gemacht, was sie tun können. Nur, der Rezipient, also der Passant, liest das nicht. Trotzdem behaupte ich: Die Welfenhöfe sind mit die aufwendigsten Wohnhäuser, die in diesem Marktsegment zehn Jahre vorher und 15 Jahre später gebaut wurden.

Für die Menschen, die drin sind.

Hild: Von den Menschen, die dort wohnen, habe ich tatsächlich noch nie eine Klage gehört. Das sind alles wunderbare Wohnungen. Die Kritiker sehen nur die Farbe. Und das Farbkonzept war offenbar ein Fehler. Aber ich als Architekt kann deswegen nicht aufgeben. Manchmal dauert es auch, bis etwas akzeptiert wird. Die Leute haben ja auch 1890 über die Bürgerhäuser gesagt: Was ist denn das für ein Mist, weil es zu nackert ist, zu billig gebaut.

Wenn wir in die Zukunft schauen: Die Politik ist mehrheitlich der Ansicht, dass München mehr und höhere Hochhäuser braucht. Bis zum Sommer soll eine Machbarkeitsstudie vorliegen. Wie sehen Sie das aus baukultureller Sicht?

Hild: Die Gesellschaft kann gern beschließen, dass München mehr Hochhäuser braucht. Die 99-Meter-Grenze ist in der Tat absolut lächerlich. Aber dass München damit dichter wird und dass wir damit mehr Leute in der Stadt unterbringen, das ist aus meiner Sicht ein Trugschluss. Im Gegenteil, Hochhäuser produzieren sogar eine niedrigere Dichte, wenn man die bayerische Bauordnung und darin vorgesehenen Abstandsfläche einhält. Hinzu kommen die gewaltig steigenden Baukosten, wenn es in die Höhe geht: für den Brandschutz, Aufzüge, Treppenhäuser, Klimaanlagen ...

Was wäre dann Ihr Vorschlag?

Hild: Generell kann man davon ausgehen, dass die Bebauung eines Grundstücks mit einem sechsgeschossigen Block die größte Zahl an Wohnungen bringt. Natürlich kann an der Ecke des Blocks ein höheres Haus sein. Die Leute, die oben in den teuren Wohnungen leben, finanzieren die günstigen Wohnungen im ersten Stock mit.

Ottl: Letztlich dienen Hochhäuser hauptsächlich der Repräsentation. Hochhäuser sind der SUV unter den Gebäudetypen.

© SZ vom 16.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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